Tanzhaus in Düsseldorf Polarisierender Abend mit Choreograf Raimund Hoghe

Düsseldorf · Der Choreograf präsentierte sein neues Stück "La Valse" im Tanzhaus. Wer sich darauf einließ, wurde reich belohnt.

 Der Meister ist Minimalist: Raimund Hoghe in seinem Stück "La Valse".

Der Meister ist Minimalist: Raimund Hoghe in seinem Stück "La Valse".

Foto: Theater

"Hoghe polarisiert" ist im Foyer zu hören. Das sei schon immer so gewesen. Trotz zahlreicher Lobeshymnen in den Feuilletons ist das Tanzhaus am ersten von zwei "La Valse"-Abenden nicht ausverkauft. Sondern "nur" gut gefüllt. Die Besucher blicken auf eine karge, von einem schwarzen Vorhang eingefasste Bühne. Der Meister ist Minimalist. Wo andere sich in Materialschlachten verlieren, konzentriert er sich auf das Wesentliche. Die Musik. Und den Tanz.

Von letzterem fehlt allerdings zunächst mal jede Spur. Hoghe, schwarze Hose, knallrotes Hemd, liegt auf dem Bühnenboden. Hinten rechts, in maximaler Entfernung vom Publikum. Er rührt sich nicht. Pianist Guy Vandromme nimmt am Flügel Platz und beginnt mit Ravels "La Valse". Maximale Aktion jenseits der schwarz-weißen Tasten: das Umblättern der Partitur.

"Sieh es als Meditation", hatte eine Kennerin vor Beginn der Aufführung kundig geraten. Und genauso fühlt es sich an. Man schaut auf den regungslos Liegenden. Lauscht der Musik. Und spürt tatsächlich bald ein leises Glücksgefühl in sich aufsteigen. Das nimmt weiter zu, immer weiter, als sich hinten rechts in der Ecke etwas regt. Da währt der Abend bereits zwanzig Minuten.

Hoghe richtet sich auf. Windschief steht er da. "Behinderungen schockieren auf der Bühne mehr als Gewalt." Das Zitat stammt von ihm. Er wickelt seinen schmächtigen Körper mit dem durch Skoliose verformten Rücken in Goldfolie, geht ein paar Schritte, verschwindet hinter dem Vorhang. In dem insgesamt dreistündigen Abend reiht der Choreograf unzählige solcher Szenen aneinander. Jedes Stück Musik, allesamt Walzer, bekommt ein eigenes Bild. Flüchtige Poeme, dargebracht von sieben Tänzern. "Meine Stücke sind Meditationen über Sehnsucht und Angst, Liebe und Trauer, Vergessen und Erinnern, Schmerz und Schönheit", hat Raimund Hoghe mal gesagt.

Er bewegt sich anfangs an der Peripherie der Bühne. Dort steht er, wirkt unbeteiligt und ist doch das Herz des Ganzen. Mal trägt er eine schwarze Augenbinde. Mal lässt er sein Gesicht hinter einem roten Tuch verschwinden. Mal wässert er den Bühnenboden mit einer Gießkanne. Das Geschehen: weniger Tanz, mehr Performance. Die Tänzer sind dennoch unglaublich. Großartig. Präzise. Jede Bewegung wird bis in die Fingerkuppen ausgeführt. Vieles geschieht in gedrosseltem Tempo. Wie in Zeitlupe schreiten sie über unsichtbare Linien auf dem Bühnenboden. In einer der schönsten Szenen falten sie graue Wolldecken, legen sie aus und nehmen zu Rod Stewarts "Waltzing Mathilda" wechselnde Positionen auf den Decken ein. Ein zarter Zauber legt sich wie Raureif über die Szenerie.

Leider wird er aus dem benachbarten Capitol jäh gestört. Was von dort herüberdringt, klingt nach Kirmesplatz. Vielleicht ist das auch der Grund dafür, dass einige Zuschauer den Saal vorzeitig verlassen (oder es ist der Polarisierung geschuldet). Jene jedenfalls, die bleiben, erleben Hoghe auch im Bühnenzentrum. Die Goldfolie kommt dabei erneut zum Einsatz. Wie ein Kleid hält er sie sich vor den Körper, wiegt sich zur Musik. Als er die Bühne verlässt, dreht er sich kurz um und offenbart seinen nackten, deformierten Rücken. "Es gibt eine Schönheit, die nichts mit Makellosigkeit zu tun hat", hat er mal gesagt. Raimund Hoghe ist wunderschön.

(RP)
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