Düsseldorf Roter Teppich für Aufsteiger

Düsseldorf · Die 71-jährige Berliner Bildhauerin und Beuys-Schülerin Inge Mahn zeigt in der Akademie-Galerie eine Auswahl aus ihren stillen, überwiegend weißen Skulpturen. Darin äußert sie hintergründige Sozialkritik.

Nur der rote Teppich, der über Hindernisse hinweg einen Flur durchzieht und am Ende zur Decke emporsteigt, setzt einen kräftigen Farbakzent. Die übrigen Werke der Ausstellung "Inge Mahn", die zurzeit in der Akademie-Galerie am Burgplatz zu sehen ist, führen den Besucher zunächst auf eine falsche Spur. Denn man glaubt unwillkürlich, in eine Schau des amerikanischen Pop-Künstlers George Segal geraten zu sein.

Auch Segal gestaltete Skulpturen aus unbemaltem Gips, doch handelt es sich dabei meist um Figuren. Inge Mahn, die an der Düsseldorfer Akademie bei Joseph Beuys und Karl Bobek studierte, hat sich auf Dinge konzentriert - Gegenstände allerdings, die sich fast durchweg auf Menschen oder Tiere beziehen. Ohne einen Schreitenden nämlich wäre jener rote Teppich sinnlos. Die Tatsache, dass er am Ende des Flurs überraschend gen Himmel fährt, zeugt bereits von der stillen Ironie, welche die Künstlerin in ihre Objekte legt.

Diese Objekte stehen jeweils in einem unmittelbaren Zusammenhang mit Architektur. Schon im ersten Raum der Schau fühlt man sich durch die geweißten Skulpturen an Bauten auf griechischen Inseln erinnert. Ein miniaturisierter Glockenturm steht da, nebenan ein überdachtes Podium für einen Polizisten, wie man es früher einmal auf großen Straßenkreuzungen sah.

Der nächste Raum enthält das verspielteste Objekt der Ausstellung: ein Karussell, über das ein Karton geschleift wird und an dem von Zeit zu Zeit ein Glöckchen erklingt. Es folgen eine Staffelei ganz in Weiß und ein in einer Ecke unter der Decke sitzendes, überdimensioniertes Vogelnest.

Eine riesige, selbstverständlich weiße Kugel versperrt den Durchgang in den nächsten Saal, so dass man über den Flur mit dem roten Teppich ausweichen muss und dann durch eine andere Tür eintreten kann. Unterwegs trifft man auf eine Baustelle, auf der sich weiße Quader für den Hausbau auf einer Grundfläche von einem Quadratmeter türmen.

Etliche dieser Objekte werden in einem Zusammenhang mit der Biografie der Künstlerin stehen. In einem Fall kann man dessen sogar gewiss sein: Die aus zwei Reihen gipserner Bänke und Schülerschreibpulte sowie einem Lehrerpult bestehende "Schulklasse" von 1970 war Inge Mahns Abschlussarbeit an der Kunstakademie. Kaum hatten die Dozenten noch darüber gerätselt, ob man mit so etwas überhaupt eine Prüfung bestehen könne, wurde schon Harald Szeemann darauf aufmerksam und buchte das Ensemble für seine "documenta 5" im Jahr 1972.

Nicht nur rückständige Akademielehrer, auch Erbsenzähler aller Art werden der Künstlerin auf die Nerven gegangen sein. So wird sich die Skulptur "Erbsenzähler" erklären: eine auf einem kleinen Tisch ruhende metallene Schüssel, die mit Erbsen gefüllt ist. Wenn sich ein Besucher nähert, setzt ein Bewegungsmelder einen Motor in Gang, der dafür sorgt, dass sich das Tischlein rüttelt und schüttelt und die Kügelchen rotieren.

Inge Mahns weißer Winterwelt haftet etwas Märchenhaftes an, ein stiller Zauber, der nirgends böse wirkt, sondern der Welt lediglich hier und da etwas von ihrem übertriebenen Ernst zu nehmen sucht.

(RP)
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