Düsseldorf Schauspielhaus reist zum Planeten Magnon

Düsseldorf · In der Romanvorlage von Leif Randt lebt der Mensch in einem emotionalen Schwebezustand, befreit von materiellen Sorgen, nüchtern regiert von einem Supercomputer. Regisseur Alexander Eisenach versucht, Bilder dafür zu finden, trifft aber nicht den Ton des Romans.

Plötzlich ist die Foyerbrücke nicht mehr von dieser Welt. Die Schauspieler haben die Bühne verlassen, sind hinausgelaufen in die Vorräume des Central am Hauptbahnhof und spielen dort weiter. Ein Videoteam folgt ihnen, überträgt in den Theatersaal, wie die beiden Helden des Stücks, Emma und Marten, beinahe der Liebe erliegen. Fast machen sie den Schritt zurück in die alte Welt, als die Menschen noch an individuellem Besitz hingen und in festen Paarbeziehungen nach dem Glück suchten. Doch die beiden sind Dolfins durch und durch, Menschen der Zukunft, die sich für emotionale Lässigkeit entschieden haben und sich überlegen fühlen in ihrer Überzeugungslosigkeit. Und wie die Foyerbrücke mit ihren Stahlträgern und dem nächtlichen Verkehr da draußen plötzlich zur Kulisse wird für den Moment des Triumphs der Coolness über die Liebe, ist ein überraschender Effekt.

Vielleicht empfindet man das aber auch nur, weil die Inszenierung bis zu dieser Flucht in das Jenseits der Bühne so bieder gewirkt hatte. Wie eingesperrt in die falsche Kulisse, in der nichts von der Atmosphäre aufkommt, die die literarische Vorlage ausmacht. Leif Randt hatte ja schon in seinem Roman "Schimmernder Dunst über CobyCounty" einen neuen Ton angeschlagen in der deutschen Gegenwartsliteratur, mit einer Sprache, die präzise, antipathetisch, wie unbeteiligt beschreibt und gerade durch ihren arroganten Minimalismus größte Beklemmung erzeugt. Es erschien schlüssig, dass Randt einen Science-Fiction-Roman folgen ließ, konnte er sich darin doch ein Planetensystem schaffen, in dem Menschen diese Ästhetik leben. Im "Magnon"-Zeitalter hat die Demokratie ausgedient; eine künstliche Intelligenz hat die Herrschaft übernommen. Mit den scheinbar neutralen Methoden der Statistik errechnet diese Macht, was zum Wohle aller - oder zumindest der Mehrheit ist, und verteilt die Ressourcen. Die Menschen haben sich zu Kollektiven zusammengeschlossen, die sich in erster Linie durch ihren Lifestyle unterscheiden, und leben friedlich getrennt auf diversen Planeten. Das ist alles kühl, rational, emotional heruntergefahren, ein Gegenentwurf zu den Kampf-der-Kulturen-Vorhersagen, auf die die Gegenwart gerade zuzusteuern scheint. Und doch ist "Planet Magnon" keine technikfrohe Utopie, sondern wirkt im Kern bedrohlich, ist der Zukunftsmensch doch keineswegs befreit. Er hat die Zwänge nur verinnerlicht, lebt ein selbstkontrolliertes Leben, in dem geregelte Drogenexperimente für den Gefühlsausgleich sorgen. Diese schöne neue Welt ist bereinigt von aller Leidenschaft. Friedliche Sterilität. Wer könnte das aushalten?

An der Bühnenfassung von "Planet Magnon" hat Leif Randt selbst mitgearbeitet, einige Szenen ganz neu geschrieben, und man kann der Handlung des Romans, der eine Art interstellares Roadmovie ist, gut folgen.

Allerdings steht das Theater mit Stoffen, die in der Zukunft spielen, stets vor der Herausforderung, für einen Abend eine neue Welt zu schaffen. Das Genre ist ja stark durch den Film geprägt, durch Special Effects und Illusionsüberwältigung, und natürlich würde das Theater einen Fehler machen, ließe es sich auf diese Konkurrenz ein. Der 1984 in Ostberlin geborene Regisseur Alexander Eisenach aber hat sich nicht entschieden, was er stattdessen will. So schickt er seine Darsteller in weißen Uniformen, die aus einer dieser Raumschiff-Fernsehserien stammen könnten, in ein sperriges Bühnenbild. Im Zentrum wölbt sich eine Kupferkugel, die aussieht wie der Kessel aus einem Brauhaus. Um diesen Planeten wird beliebig herum gespielt, es gibt Live-Videoprojektionen, manchmal müssen die Schauspieler in der Kulisse turnen oder mit einer Säule ringen, die irgendwann auf die Bühne kippt.

Das ist weder bewusster Trash, noch erschließt sich das Gehampel aus dem Text. Dafür gerät eine Komik ins Spiel, die sich gegen den Text wendet, ihn der Lächerlichkeit preisgibt. Etwa als Emma und Marten zu Recherchezwecken in einer Badetherme auf einem fremden Planeten haltmachen. Da wird eine Holzkiste auf die Bühne gerollt, aus der es qualmt wie im Puppentheater. Die Darsteller müssen mit Hach-ist-das-Heiß-Getue einsteigen, ernten dafür Lacher, doch passt derlei Klamauk nicht in eine Inszenierung, die es mit Leif Randts Roman ernst meint.

Da nützt es auch nichts, dass Hanna Werth und Niklas Maienschein in den Hauptrollen ideal besetzt sind. Ihnen gelingt das elitär-schnöselige der Dolfins gut, und auch Nina Steils, Rainer Philippi und Sebastian Tessenow in wechselnden Nebenrollen versuchen einen Text zu beglaubigen, den die Inszenierung längst verraten hat.

Natürlich ist Leif Randt ein ironischer Autor. Sein "Planet Magnon" steckt voller Anspielungen auf Science-Fiction-Filme, deren Pathos und Überwältigungsernst er durch die Lakonie seines Erzählens bricht. Auch das Theater kann mit diesem Bildvorrat in den Köpfen seiner Zuschauer spielen. Und es besitzt das Abstraktionsvermögen, um den Blick auf existenzielle Fragen des Romans freizulegen. Etwa darauf, was vom Menschen bleibt, wenn er sich den Regeln eines Computers für ein schmerzfreies Leben unterwirft. Auf dieser Reise zum Planeten Magnon war davon nichts zu sehen.

(dok)
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