Sportfreunde Stiller Schlicht und ergreifend

Düsseldorf · Die Sportfreunde Stiller traten im Zakk auf. Sie machen seit 21 Jahren Indie-Pop, der teils kitschig oder albern ist, aber zu Herzen geht. Eine Würdigung.

 Pädagogisch wertvoll: die Sportfreunde Stiller.

Pädagogisch wertvoll: die Sportfreunde Stiller.

Foto: Label

Wer behauptet, Peter Brugger habe eine Singstimme, die nur eine Mutter lieben kann, liegt gleich auf zweierlei Art falsch: Diese Frechheit ist nicht nur schamlos übertrieben (da sind ja all die Fans!), sondern zugleich verharmlosend. Tatsächlich hat nämlich selbst seine eigene Mutter schon versucht, den Frontmann der Sportfreunde Stiller zum Aufhören zu überreden: "Das mit dem Musizieren sei ja okay", habe sie einmal gesagt, "aber ob ich das Singen nicht lassen könne?"

Dass er die Töne längst deutlich besser trifft als anfangs, ist nur eines von vielen Zeichen der Professionalisierung. 21 Jahre nach ihrer Gründung hat die einstige Indierock-Band sieben Studioalben und ein MTV-Unplugged-Konzert eingespielt, 2,5 Millionen CDs verkauft, bald steht das 1000. Konzert an.

Zu ihren offensichtlichen Schwächen - schräge Stimme, simple Melodien, Texte von überschaubarem Tiefsinn - stehen die Sportfreunde mit Koketterie, aber auch so etwas wie echter Demut. Dankbar ist diese Rolle, diese Nische obendrein: Nur zu gern geben die routinierten Profis die Zweitligisten, die mit Energie und Willen auftrumpfen, im Selbstporträt "Zweite Wahl" heißt es: "Wir können auch nicht singen, haben wir auch nie gesagt / Niemals hat uns wer geprüft, wie fähig wir denn sind / und dass wir ins Studio Polen holen, weiß doch jedes Kind."

Fast beängstigend eingängig besingen Brugger, Bassist Rüdiger "Rüde" Linhof und Drummer Florian "Flo" Weber die Liebe in allen Formen: zum Partner und zum Leben, zu Familie und Freunden, zum Fairplay und eben zum Sport (Fußball vor allem, aber auch Hockey, Wellenreiten und Tischtennis). Gut gemeint ist das alles - aber manchmal trotzdem das Gegenteil von gut. Wenn die "Sportis" übermütig werden, steigt die Kitsch- und Pathosquote steil, ihr Hang zu antiquiertem Vokabular und Zweckreimen schlägt durch. Dann klingen sie kindisch statt im besten Sinne kindlich.

Von Literatur sind auch die gelungenen Lieder weit entfernt, aber erstens sind sie auch nicht als Literatur gedacht, sondern zum gemeinsam Herausschmettern, und zweitens vermitteln sie nie gefährlich falsche Ideale. Geschmachtet wird ohne Ende, ja, aber nie wird die wurstige Selbstaufgabe gefeiert wie bei Philipp Dittberner ("Lieber Wolke vier mit Dir als unten wieder ganz allein") oder Revolverheld ("Ich würde meine Lieblingsplatten sofort für dich verbrennen").

Vor allem live entfalten diese Songs ihre Wirkung, wie zuletzt am Montagabend im Zakk zu spüren war. Mit Inbrunst sangen hunderte vor allem die alten Hymnen auf den Sommer, die Jugend und die Freundschaft, und bei "Ich wollte dir nur mal eben sagen, dass du das Größte für mich bist!" waren Ehepartner und Freundinnen gemeint, aber auch beste Kumpels, Zwillingsschwestern, Mama und Papa. Wärme und Dankbarkeit, Empathie und Optimismus fluteten den Raum.

Uncool finden das natürlich die selbsternannten coolen Kids, keine Eklats und Exzesse, nirgends. Doch all das Einrennen offener Türen, die Lästereien über das Finden von Seelenverwandten, Händchenhalten und Blümchensex riechen nach mühsam unterdrücktem Neid.

Die unerträgliche Nettigkeit des Seins dieser Gruppe ist ja unbestritten: "Mit seinem Lächeln kann man Bio-Obst bewerben", schreiben Journalisten zurecht über Brugger, oder dass die Sportfreunde Stiller "keine Band, sondern ein Wellnesshotel" seien. Das RP-Urteil zum zweiten Album lautete 2002: "ebenso belang- wie zeitlos schön".

Die Sportfreunde Stiller sind der Inbegriff der jungenhaften Nettigkeit, ihr Indie-Rock-Elektropop steht für das Richtige wie Pfadfinder oder Messdiener oder Anrufe bei der Oma. Wie Lego, als Lego-Raumschiffe noch von lächelnden, friedlichen Astronauten mit Autolenkrädern gesteuert wurden statt von grimmigen "Star Wars"-Kämpfern mittels der ominösen "Macht". Pädagogisch wertvoll eben. Sie sind wie AnnenMayKantereit, nur ohne Reibeisenstimme und fröhlicher. Das mag man furchtbar spießig finden, grundfalsch kann es nicht sein.

Die Musik dieser Gutband ist schlicht und ergreifend schlicht, aber ergreifend. Für manche Machwerke aus ihrer Feder schämen sie sich durchaus. "Natürlich schüttelt man da im Nachhinein schonmal den Kopf", gibt Schlagzeuger Florian Weber im RP-Interview zu.

Auch abseits der Bühne sagen und tun die drei einfach die richtigen Dinge. Nennen die Fifa einen "korrupten Drecksverein". Engagieren sich gegen Rechts ("Antinazibund") und spielen Dankeskonzerte für Flüchtlingshelfer. Zur Kritik daran sagt Weber: "Minderheiten gegeneinander auszuspielen, ist das Letzte. Was wäre denn aus Sicht dieser Leute das richtige Vorgehen? Überhaupt nicht helfen, niemandem?"

Für Obdachlose, auf deren Kosten die Flüchtlingshilfe ja angeblich gehen soll, obwohl keine Zahlen darauf hindeuten, setzen sich die Sportfreunde übrigens auch ein. Kritik am sozialen Engagement von Prominenten, weil das stets auch einen PR-Effekt habe, nennt Weber wohlfeil: "Wenn dabei Millionen Euro für Hilfsprojekte rumkommen, dann verdammt noch mal rein mit Bono in jedes Rampenlicht, das sich irgendwo auftut."

Sie selbst standen im Sommer 2006 im grellsten Rampenlicht, als sie mit der Nationalelf vor 100.000 Fans Platz drei bei der Fußball-WM im eigenen Land feierten, zum Soundtrack ihres Überraschungs-Mitgrölhits "'54, '74, '90, 2006".

Danach kam, wie Brugger selbst sagt, eine "Rechtfertigungsplatte" samt Tour, bei der viele Plätze leer blieben. Im Nachhinein sei er dankbar dafür, sagt der Frontmann: So ein Tief sei "eine total wichtige Erfahrung". Diesem Mann, dieser Band kommt man einfach nicht bei.

Was daran liegen könnte, dass sie einfach recht haben.

(tojo)
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