Düsseldorf Surrealismus auf Ägyptisch

Düsseldorf · Die Kunstsammlung beleuchtet ein kaum bekanntes Thema. Es geht um die "Art et Liberté", die zwischen 1938 und 1948 in Ägypten den Surrealismus verbreitete.

 Die Arbeiten in der aktuellen Ausstellung der Kunstsammlung NRW wie das unbetitelte Werk von Ramsès Younane stammen aus der Zeit zwischen 1938 und 1948.

Die Arbeiten in der aktuellen Ausstellung der Kunstsammlung NRW wie das unbetitelte Werk von Ramsès Younane stammen aus der Zeit zwischen 1938 und 1948.

Foto: Haitham Shehab / Kunstsammlung NRW

Längst hat die Globalisierung als Zumutung auch die Kunst erreicht. Während die Documenta zum Gipfeltreffen unbekannter Namen der Gegenwart geworden ist, erschließen Museen zusehends bislang unentdeckte Kapitel der Kunstgeschichte. Der jüngste Beitrag, den die Kunstsammlung NRW dazu in ihrem Projekt "Museum global" liefert, ist eine Ausstellung über "Art et Liberté", eine Gruppe, die zwischen 1938 und 1948 in Zeiten des Umbruchs und des Kriegs den Surrealismus in Ägypten einführte.

 Abdel Hadi El-Gazzar schuf mit "Mahasseb Il-Sayyidah" (Die Glücklichen von Sayyidah) ein Werk des ägyptischen Surrealismus.

Abdel Hadi El-Gazzar schuf mit "Mahasseb Il-Sayyidah" (Die Glücklichen von Sayyidah) ein Werk des ägyptischen Surrealismus.

Foto: Kunstsammlung NRW

Auch in den Sälen am Grabbeplatz findet man sich zwischen unbekannten Namen wieder: Georges Henein, Fouad Kamel, Ramses Younane und Inji Efflatoun - wer soll sich das merken? Die Antwort lautet: wir alle, die wir zwar Nolde, Kirchner und Kandinsky kennen, jenseits des Abendlandes aber gerade einmal die Krisenherde der Gegenwart aufzuzählen vermögen.

 Das Stillleben ("Still Life") von Ida Kar nutzt Motive aus der ägyptischen Kultur des Altertums.

Das Stillleben ("Still Life") von Ida Kar nutzt Motive aus der ägyptischen Kultur des Altertums.

Foto: Kunstsammlung NRW

Allerdings eignet sich "Art et Liberté" eher für eine Dokumentation zwischen Buchdeckeln als für eine Ausstellung. Darauf deutet die hohe Anzahl von Wandtexten hin, von Fototapeten und schriftlichen Dokumenten in Vitrinen. Die Malerei, von Ausnahmen abgesehen nur ein Abklatsch des Pariser Surrealismus, liegt weit unter dem Niveau dessen, was man aus dem K 20 gewöhnt ist. Sie nimmt zu viel Raum ein, während die schwarz-weiße künstlerische Fotografie in dieser Ausstellung mehr als ein Nischendasein verdient hätte.

Worum geht es? Im Jahr 1938, als in Deutschland, Italien und der Sowjetunion Diktatoren fest im Sattel saßen und Spanien kurz vor der Machtübernahme durch den Faschismus stand, schlossen sich in zahlreichen Ländern Dichter und Maler, Filmemacher und Fotografen, Wissenschaftler und Journalisten zusammen, um zumeist interdisziplinär Widerstand gegen Diktatur, Kolonialismus und Nationalismus zu leisten, und zwar mit den Mitteln des Surrealismus.

In Ägypten hielt die 1938 in Kairo gegründete Gruppe "Art et Liberté" die Fahne des Widerstands hoch. Ihr paradox provozierendes Motto lautete: "Es lebe die Entartete Kunst". Und in einem Aufruf heißt es: "Lasst uns gemeinsam das Mittelalter besiegen, das im Herzen des Okzidents entsteht."

Am Anfang stand Georges Henein, ein in Kairo lebender Dichter und Literaturkritiker, der Kontakt zu den Pariser Surrealisten um André Breton hatte und die Fackel der Revolte übers Mittelmeer trug. Um ihn bildete sich eine Künstlergruppe, die der nationalistisch gefärbten Kunstschule von Kairo entgegentrat und die demokratischen Ideale der Moderne zu verbreiten suchte. Das bedeutete nicht nur den Kampf gegen faschistische Landsleute, sondern auch Kritik an den britischen Soldaten, die in Ägypten stationiert waren. Armut zwang viele Frauen zur Prostitution.

Diese "Stadtfrauen" sind eines der bildnerischen Themen in der Ausstellung. Fouad Kamel hat es in einer Reihe monumentaler Akte in Anlehnung an Picasso in Malerei umgesetzt, Amy Nimr zeigt in Pastellfarben einen weiblichen Akt, der sich in einem Fischernetz verfangen hat, und unter der malenden Hand von Ramses Younane werden Frauen in einem gespenstischen Raum, der von de Chirico stammen könnte, zu Torsi.

Andere Maler wie Samir Rafi setzen symbolistisch Krieg in Szene, zeigen Erniedrigte, Beleidigte und Gefangene und bedienen sich dabei immer wieder surrealistischer Verfahren. Mayo (Antoine Malliarakis) zeigt in seinem großformatigen Ölgemälde "Knüppelschläge" in abstrahierter Form, wie die Polizei in Kairo auf Demonstrationen von Gewerkschaftern und Studenten antwortet.

Die in der Ausstellung unterbelichtete Abteilung Fotografie erzählt in Schwarz-Weiß davon, wie die ägyptischen Surrealisten Solarisation und Fotomontage dazu nutzten, hochästhetisch Widerstand vor dem Hintergrund der eigenen Kultur anzuzetteln. Die Ägypterin und gebürtige Russin Ida Kar stellt in einem "Stillleben" eine selbstgenähte Stoffpuppe der Plastik eines Pharaonenkopfes gegenüber und wendet sich damit gegen diejenigen, die damals die Pharaonen für ihren Nationalismus beanspruchten. Abduh Khalil zeigt von hinten eine junge Frau, die sich entspannt und selbstbewusst vor einer Pyramide sonnt und deren Beine sich bis zum Gipfel zu strecken scheinen.

Wollte man in der Schau nach Meisterwerken Ausschau halten, würde man am ehesten bei der Fotografie fündig. Doch Meisterwerke waren nicht das Ziel von "Art et Liberté", weder in der Fotografie oder Malerei, noch in den interdisziplinären Arbeiten, die an das Zusammenspiel der Künste in der russischen Avantgarde erinnern.

1945 verlor die Gruppe ihre Bedeutung. Nach politischem Streit um Israel hatte sie sich zuvor von den Pariser Surrealisten losgesagt. Ein vor allem für Ägypten bedeutendes Kapitel der Kunstgeschichte ging zu Ende. Vermutlich hätte man die verdienstvolle, durch viel Forschungsarbeit untermauerte Ausstellung für Spezialisten einem breiteren Publikum öffnen können, hätte man sie an ägyptische Kunst der Gegenwart gebunden.

Info K 20, Grabbeplatz, bis 15. Oktober, Di.-Fr. 10-18, Sa./So. 11-18 Uhr, zwölf Euro, ermäßigt zehn Euro, Katalog für 35 Euro.

(B.M.)
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