Düsseldorf Tierisch ernstes Drama am Rande eines KZ

Düsseldorf · Mit einer Art Fabel eröffnet das Junge Schauspiel am Sonntag die Saison. Regie führt Hausherr Christof Seeger-Zurmühlen.

 Masken und tierische Kostüme: Szene aus der neuen Produktion im Jungen Schauspielhaus, in der ein totes Nashorn eine Hauptrolle spielt.

Masken und tierische Kostüme: Szene aus der neuen Produktion im Jungen Schauspielhaus, in der ein totes Nashorn eine Hauptrolle spielt.

Foto: Sebastian Hoppe

Probenbesuch im Jungen Schauspielhaus, wenige Tage vor der Premiere von "Was das Nashorn sah, als es über den Zaun schaute" ist der erste Durchlauf angesetzt. Die Schauspieler tragen ihre Kostüme und Masken, Licht und Ton werden justiert. Auf der Bühne türmt sich ein riesiger Haufen kunterbunter Kleidung.

Obendrauf turnt eine "Pavianfamilie" wie auf einem Affenfelsen im Zoo. Ein realer Tierpark mit grausigen historischen Bezügen lieferte Jens Raschke die Kulisse für sein 2014 mit dem Deutschen Kindertheaterpreis ausgezeichnetes Stück, das Christof Seeger-Zurmühlen nun an der Düsseldorfer Bühne inszeniert.

Uraufgeführt wurde das "Nashorn" im April 2015 am Ort des düsteren Geschehens, in Weimar. Dort hatte man 1938 am Rande des Konzentrationslagers Buchenwald zur Belustigung der Bürger und der Nazi-Schergen einen Zoo errichtet, in dem sich Murmeltiere, Mufflons, Eichhörnchen, Enten und Schwäne tummelten. Jens Raschke erzählt die Geschichte aus der Tierperspektive und dachte sich ein Nashorn aus.

Eines Tages liegt es tot im Gehege. Über den Grund können die anderen nur rätseln: Starb es an gebrochenem Herzen? Aus Trauer, Zorn oder Heimweh nach Bengalen? Als "Nachschub" trifft ein kleiner Bär ein. Wie einst in Weimar - als Geschenk von Reichspropagandaminister Joseph Goebbels. Christof Seeger-Zurmühlen besetzte die Hauptrolle mit Maëlle Giovanetti. "Bei mir ist die Revolution weiblich", sagt er.

Das Bärenmädchen stellt sich unvermutet quer und stört das Gefüge mit aufmüpfigen Fragen. Die anderen Tiere hatten sich längst arrangiert mit ihren menschlichen Nachbarn. Den Gestreiften, die hin und wieder über den Zaun lugen. Den Gestiefelten, die mit Getöse durch den Zoo marschieren. Und sogar mit dem Qualm, der aus dem hohen Schornstein steigt und durch das Gitter wabert. "Warum stinkt es hier so?", will die Bärin wissen. "Daran gewöhnst du dich, ich rieche das gar nicht mehr", antwortet Papa Pavian, dessen Welt schlicht und überschaubar ist: "Die Gestiefelten sind die Bosse, die Gestreiften sind gar nichts."

Doch das Bärchen wird zum Rebellen. Es erkundet diesen sonderbaren Ort, an dem die Vögel verstummt sind, und versucht das Gefängnis im Alleingang zu zerstören. "Es ist ein Stück über Mitläufertum, Zivilcourage und das Aufstehen im richtigen Moment", sagt Christof Seeger-Zurmühlen. "Mich interessierte das Tier im Menschen. Wie animalisch wird er unter bestimmten Voraussetzungen? Die Tiere spiegeln die menschliche Gesellschaft wider."

Er wählte die Parabel aus mehreren Gründen aus. Ihre Kernfrage "hinschauen oder wegsehen" sei auch 70 Jahre nach Kriegsende unverändert aktuell und sehr gut auf andere Lebenssituationen übertragbar, sagt er. Außerdem füge sich das "Nashorn" hervorragend in das Spielzeit-Motto "Dein Sehnsuchtsort" ein. "Der Traum vom eigenen Paradies zieht sich durch unser Programm", beschreibt der Theaterleiter. "Wie könnte dieses Paradies aussehen? Oder befinden wir uns schon mittendrin und wollen anderen den Weg versperren?"

Lange dachte er darüber nach, ab welchem Alter das "Nashorn"-Stück zu empfehlen sei und legte sich nach Testbesuchen von Schulklassen auf 11 Jahre fest. "Wir finden es wichtig, Kinder schon früh mit solchen Themen zu konfrontieren und sie zu sensibilisieren. Andererseits hat das Stück aber auch drastische Momente." Er macht deutlich: "Natürlich habe ich eine Verantwortung, was das Alter angeht, aber nur nach unten. Nach oben will ich keine Regeln aufstellen. Zielgruppentheater würde bei uns auch gar nicht funktionieren. Für Kinder muss es mindestens genau so gut sein wie für Erwachsene. Es ist mir ein großes Anliegen, dass sich alle Generationen zu uns eingeladen fühlen."

Das Konzept fruchtet. Seit Seeger-Zurmühlens Übernahme im Vorjahr konnte das Junge Schauspielhaus 10 000 Besucher dazugewinnen. Viele Vorstellungen sind ausverkauft, immer öfter wird auch abends gespielt. "Unabhängig von den Zuschauerzahlen ist die spürbare Resonanz für die Künstler sehr beglückend", sagt er. "Wenn das Haus voll ist und sämtliche Altersklassen sich mischen, liegt eine tolle Spannung in der Luft."

(RP)
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