Düsseldorf Tschaikowski darf ruhig nach Oper klingen

Düsseldorf · Die Kanadierin Keri-Lynn Wilson dirigierte das städtische Symphoniekonzert in der Tonhalle.

 Keri-Lynn Wilson setzte in der Tonhalle die Impulse.

Keri-Lynn Wilson setzte in der Tonhalle die Impulse.

Foto: Susanne Diesner

Sie ist eine Powerfrau, ganz gewiss. Keri-Lynn Wilson, zu Gast in der Tonhalle, gehört zum Dirigentinnen-Jetset. Heute Stockholm oder Tokio, morgen in Italien, Spanien, Israel oder Warschau oder sonst wo auf der Welt. Ihre Facebook-Seite und ihr Terminkalender wissen davon ganze Ouvertüren zu spielen. Dort sind auch deutsche Spielorte, etwa Leipzig und die Bayerische Staatsoper in München, verzeichnet. Oper scheint ihre Leidenschaft zu sein. Dabei ist die Kanadierin eigentlich studierte Flötistin.

Es stand allerdings keine Oper auf dem Programm im neunten städtischen Symphoniekonzert unter dem Sternenhimmel der Tonhalle. Auf den ersten Blick war es eher ein Programm wie zu einer Bewerbung, mit sehr unterschiedlichen Arbeitsproben zwischen Hochromantik und Neuer Musik. Das Konzert zeigte, was Wilson kann. Und das war sehr viel.

Keine Geringere als die Sopranistin Marisol Montalvo sang zwei Vokalisen-Partien: zunächst die Tonhallen-Auftragskomposition von Helmut Oehring, einem Komponisten mit ungewöhnlicher Biografie, ist er doch bei gehörlosen Eltern aufgewachsen. Seine eindringliche "Vokalise eines untröstlichen Engels" nutzt neben der Musik einige Elemente der Gebärdensprache, aber auch das von den Orchestermitgliedern gesprochene Wort. Die Bläserfraktion der Symphoniker erzeugte aus der Partitur mal schimmernde Klänge, mal solche von massiver Schlagkraft. Dem ernsthaften Werk verlieh die Sängerin ihre goldene, warm strahlende Stimme. Eine verzerrte und rückgekoppelte E-Gitarre (Daniel Göritz) bot diesem Engelsgesang einen starken Kontrapunkt. Musikalischer Gegenpol war später Rachmaninows einschmeichelnde, aber unter die Haut gehende Vokalise, gesungen wie von einem tröstenden Engel.

Dazwischen stand Strawinskys "Psalmensinfonie". Ihre eher raue Klanglichkeit mit archaischen Rhythmen füllten die Dirigentin, das Orchester und der Städtische Musikverein (Einstudierung: Marieddy Rossetto) mit höchster Eindringlichkeit aus. Der Chor war nicht nur in die Linearität des Notentextes vertieft (der zu Strawinskys großen neoklassizistischen Werken zählt), sondern gab auch den Laudate- und Alleluja-Rufen Nachdruck, Würde und Tiefe. Eine sehr schöne Interpretation.

Keri-Lynn Wilson zeigte schon in dieser ersten Programmhälfte bestes dirigentischen Handwerk, geschult im Orchestergraben der Opernhäuser. Auch bei dem Schlachtross nach der Pause, Peter Tschaikowskys 5. Symphonie e-Moll, waren ihre Zeichen klar wie aus dem Lehrbuch, dabei lebendig und mitteilsam. Sie galten den Musikern, die vor ihr saßen, nicht dem Publikum im Parkett. Sie dirigierte für die Kunst, nicht für die Galerie. So konnte Wilson unmissverständliche Impulse setzen, die von den Symphonikern unmittelbar aufgegriffen wurden, konnte Linien formen, die zu wunderschönen Soli führten. Der Symphonie ließ sie Zeit zum Schwingen, Zeit zum Aufbau gewaltiger Steigerungen. Das war auf gewisse Weise große Oper.

(RP)
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