Julia Fischer "Von CDs werden wir uns verabschieden"

Düsseldorf · Die 34-jährige Stargeigerin gastiert am 31. Januar mit ihrem Streichquartett in der Tonhalle. Im Interview erzählt sie von ihrer neuen Internet-Plattform, von unbekannten Kompositionen und der Endlichkeit des CD-Marktes.

 Julia Fischer hat den "JF Club" auf ihrer Website geschaffen, um klassische Musik noch stärker ins Bewusstsein zu rücken.

Julia Fischer hat den "JF Club" auf ihrer Website geschaffen, um klassische Musik noch stärker ins Bewusstsein zu rücken.

Foto: Felix broede

Maximal 60 Konzerte im Jahr - "mehr will ich aus familiären Gründen nicht spielen", sagt Julia Fischer. Statt auf ausgedehnte Tourneen durch die Welt konzentriert sich die Star-Geigerin aus Gauting bei München auf ihre Familie. Was die 34-Jährige nicht davon abgehalten hat, ein neues Internet-Portal aufzubauen: Im "JF Club" bietet Julia Fischer in Videos und Texten Einblicke in ihre Arbeit und ihr Leben sowie neue Aufnahmen, die nicht auf CD erhältlich sind - für zahlende Mitglieder. Am 31. Januar gastiert die Künstlerin in der Tonhalle.

Wie ist die Idee des "JF Clubs" entstanden?

Fischer Ich habe einen recht unabhängigen Geist und freue mich, wenn ich Sachen selbst in der Hand habe. Es ist die Idee des Clubs, Grenzen zu sprengen und Barrieren abzubauen, die viele Menschen haben, wenn sie ins Konzert gehen wollen.

Welche Barrieren?

Fischer Ich bin mit sehr vielen Leuten befreundet, die mit Musik wenig am Hut haben - gebildete, auch Kultur-interessierte Menschen, die sich aber scheuen, ins Konzert zu gehen, wenn da auf dem Programm Szymanowski steht. Und da sehe ich mich in einer gewissen Bringschuld.

Inwiefern?

Fischer Nehmen wir die Szymanowski-Sonate: Ich hatte Zeit, konnte mich mit dem Werk auseinandersetzen, es mir anlesen und mich informieren, es üben und mir Aufnahmen anhören. Und dann finde ich das Werk fantastisch, gehe auf die Bühne und freue mich auf das Konzert . . .

. . . während im Publikum kaum einer das Werk kennt.

Fischer Und das ist ja auch nicht zu erwarten! Doch vielleicht könnte ich ja denjenigen, die Interesse haben, sich vorab fünf oder zehn Minuten mit dem Werk auseinanderzusetzen, meine Erfahrungen zusammenfassen und erzählen, was an dem Werk so interessant ist und warum ich es spielen möchte. Denn ich glaube, dann wäre die Vorfreude auf ein Konzert eine ganz andere.

Eben dies versuchen Sie ja nun in Ihren Video- und Text-Beiträgen im "JF Club". Kann das das Interesse für unbekannte Werke steigern?

Fischer Vor 200 oder 300 Jahren gab es sehr viele Leute, die neugierig waren auf die jeweils neue Sinfonie von Beethoven, Mozart oder Haydn. Darüber wurde in der Stadt gesprochen, man freute sich auf die neue Oper - wenn ich heute sage, ich spiele das Violinkonzert von Andrey Rubtsov, dann heißt es: "Ach verdammt, warum spielst Du denn nicht Tschaikowsky?" Und eben das möchte ich über meine Web-Plattform wieder umdrehen, um dann zu hören: "Interessant - wer ist das? Was ist das Spannende an dem Stück?"

Und Sie glauben auch, dass die Leute sich auf ein Konzert vorbereiten, indem Sie auf Ihre Webseite gehen und in den "JF Club" eintreten?

Fischer Sicherlich nicht alle - aber manche stellen dann vielleicht im Nachhinein fest: Es wäre interessant gewesen, wenn ich es im Vorfeld gemacht hätte. Solch eine Gemeinde aufzubauen, wird Monate, wenn nicht Jahre dauern. Aber die Club-Mitglieder haben ja etwa auch die Möglichkeit, an Proben teilzunehmen - und selbst wenn es nur wenige sind, so wächst doch die Neugier auf Neues. Und das ist mir wichtig.

Nun sind ja an den Proben noch weitere Musiker oder gar Orchester beteiligt - was sagen die denn zu solchen Probenbesuchen?

Fischer Von der Idee sind eigentlich alle begeistert - und alle sind überrascht, dass jemand bereit ist, die Zeit zu investieren. Denn es ist ja vor allem ein Zeitfaktor, denn ich muss mir Gedanken machen: Wo kann ich das Publikum einbeziehen? Was schreibe ich zu einem Werk?

Für unbedeutend halten Sie offenbar auch CD-Einspielungen bei Klassik-Labels. Stimmt es, dass Sie keine CDs mehr aufnehmen wollen?

Fischer Ja, das stimmt.

Wer also von Ihnen daheim ein Werk hören möchte, muss Clubmitglied werden und sich vor den PC hocken?

Fischer Noch gibt es zwar keine Möglichkeit, die dortigen Aufnahmen abzuspeichern, aber das Schöne an der ganzen Club-Geschichte ist ja, dass es sich um einen Prototyp handelt und ich das Konzept jederzeit verändern kann. Möglicherweise bringe ich die eine oder andere meiner Club-Aufnahmen in einer "Limited Edition" auf CD heraus und verkaufe diese dann bei Konzerten. Und vielleicht stelle ich die älteren Projekte auch auf iTunes und Co. ein, so dass die Leute sie sich dann dort besorgen können.

Nehmen Sie damit aber nicht einem großen Teil des Klassik-Publikums, das nach wie vor auf die gute alte CD setzt, die Möglichkeit, Sie daheim zu erleben?

Fischer In meinem Umfeld gibt es einige aus der Generation 60+, und die haben sich alle beim "JF Club" angemeldet und hören sich die Aufnahmen dort gerne an. Da muss man auch ein bisschen Vertrauen haben - zudem: Reden wir nicht immer davon, das Klassik-Publikum sei überaltert und wir bräuchten jüngere Zuhörer? Und wenn ich eine Gruppe tatsächlich außen vor lasse aufgrund der technischen Herausforderung, habe ich ja immer noch die Möglichkeit einer "Limited CD-Edition".

Ist der CD-Markt tot?

Fischer Tot ist er natürlich nicht, doch der CD-Markt im herkömmlichen Sinne wird nicht überleben. Es gibt einen Aufnahmemarkt, der riesig ist und auch riesig bleiben wird - aber von der Idee der CD werden wir uns verabschieden. Das Problem ist ja auch: Nehme ich eine CD auf, bin ich limitiert auf eine Spielzeit zwischen 60 und 80 Minuten - ein völliger Quatsch in der heutigen Zeit!

Wer in Ihr Konzert geht, sollte sich also auf die Musik konzentrieren.

Fischer Inseln wie der Konzertsaal und das Konzert sind für die weitere geistige Entwicklung der Menschheit extrem wichtig, um zu sich und zur Ruhe zu kommen. Man muss dann ja nicht zwei Stunden über Beethoven nachdenken: Es genügt, wenn man über sich selbst und sein Leben nachdenkt - nur wäre es verkehrt, dem Publikum mundgerechte Happen zu präsentieren.

Ihr Appell gegen die Oberflächlichkeit klingt fast nach Mission.

Fischer Der Unterschied zwischen Unterhaltung und Kunst ist nun einmal, dass Unterhaltung immer einer Mode unterliegt und über ein paar Monate funktioniert - und dann muss die nächste Unterhaltung her. Während die Kunst bleibt: Warum ist denn eine Mozart-Sinfonie auch nach 250 Jahren immer noch da? Und die Tiefe, die in diesen Werken steckt, muss auch meiner Interpretation und meinem Auftritt im Konzertsaal zugrunde liegen.

CHRISTOPH FORSTHOFF FÜHRTE DAS INTERVIEW

(RP)
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