Düsseldorf Von wegen "Hallelujapumpe"

Düsseldorf · Klaus Langer hat eine Leidenschaft: das Harmonium. Er spielt und repariert alte Instrumente und kämpft gegen ihr betuliches Image.

 Klaus Langer und ein Harmonium aus seiner Sammlung. 20 Exemplare des Instruments stehen in seiner Werkstatt.

Klaus Langer und ein Harmonium aus seiner Sammlung. 20 Exemplare des Instruments stehen in seiner Werkstatt.

Foto: Anne Orthen

Das konnte Klaus Langer einfach nicht stehen lassen. Er habe die Besprechung des jüngsten Ballettabends von Martin Schläpfer gelesen. Darin sei er auf eine Formulierung gestoßen, die er entschieden zurückweisen müsse: "Blasebalg-Naivität". Damit hatte die Kritikerin versucht, die Wirkung jenes Instruments zu charakterisieren, mit dem sich Langer nun schon seit Jahrzehnten als Musiker, Komponist und Restaurator befasst: mit dem Harmonium. Das Naivitäts-Etikett werde dem Instrument völlig zu Unrecht angehängt. "Leider verbinden die, die sich mit der kulturhistorischen Bedeutung des Harmoniums nie beschäftigt haben, nur die choralspielende, ältliche Jungfer mit Dutt damit (Choralvergaser, Psalmenquetsche, Hallelujapumpe), oder den von dieser begleiteten Männerchor ("Harmonium und Männerchor - so stell' ich mir die Hölle vor")", schrieb Langer in seiner launigen Beschwerde an die Redaktion.

Wie kommt es, dass einer so viel Leidenschaft für ein Instrument entwickelt, das "Hallelujapumpe" genannt wird und weitgehend in Vergessenheit geraten ist? "Lieber Herr Langer", schrieb ich zurück, "wir müssen uns kennenlernen."

Ein Hinterhof in Unterbilk: Klaus Langer, 57, langer grauer Haarzopf, Nickelbrille, Tüftlertyp, öffnet die Tür in die Vergangenheit. 20 Harmoniums stehen in seinem Studio, kleine, zierliche Instrumente mit Beinen zum Wegklappen neben wuchtigen Varianten mit doppeltem Manual, glänzenden Registerknöpfen, prächtigen Intarsien, geschmiedeten Tragegriffen. Wie an Särgen, denkt man, aber da ist man ja schon wieder auf der Hallelujapumpenfährte - und damit für Klaus Langer auf völlig falschem Weg.

In einem gleichen sich alle Harmoniums: Unten in der Mitte ragen zwei breite Pedale aus ihrem Korpus, die sogenannten Tretschemel. Darüber wird das Harmonium beatmet - der Spieler muss lernen, die Pedale mit den Füßen gleichmäßig in Gang zu halten, um die Luftbälge aus gummiertem Leinentuch im Inneren des Instruments gefüllt zu halten. Durch diesen kontinuierlichen Luftstrom kann der Spieler die Töne stufenlos lauter und leiser werden lassen. Diese dynamische Gestaltungsmöglichkeit hat das Harmonium der Orgel voraus. Und das war auch das Ziel jener Orgelbauer, die sich Anfang des 19. Jahrhunderts daran machten, ein neues Instrument zu entwickeln, das den dynamischen Anforderungen der Komponisten ihrer Zeit genügen würde. Es war die Epoche der Romantik - Musik sollte expressiv und überwältigend sein.

Unter anderem in Paris und Wien wurde gleichzeitig an Harmoniums getüftelt. Die "Orgue expressive", wie das Instrument im Französischen genannt wird, sollte nicht über Pfeifen Klang erzeugen, sondern über Metallzungen, die durch den Wind aus dem Blasebalg in Schwingung versetzt werden. Und wie bei einem Blasinstrument oder der menschlichen Stimme eröffnet dies eine ausdrucksstarke Tongebung und Klanggestaltung.

Weil ein Harmonium einfacher zu bauen ist, als die hochkomplexe Mechanik eines Klaviers oder das Pfeifenwerk einer Orgel, wurde es bald zum Liedbegleiter in Kirchen und zum gefragten Saloninstrument in Bürgerhäusern. Damit hat es wohl auch zu tun, dass die damals erschwinglichen Instrumente bis heute leicht abfällig behandelt werden.

Klaus Langer dagegen ist dem Harmonium schon als Junge verfallen. Aufgewachsen ist er in Grevenbroich, schon als Schüler sang er im Chor, bekam Orgelunterricht. Damals sollte ein Harmonium in der Kapelle des örtlichen Krankenhauses entsorgt werden. Langer kaufte das seltsame Instrument für 50 Mark, organisierte den Transport nach Hause, doch dann ruhte die Leidenschaft erst einmal, das Leben lief zu schnell: Langer ging zum Studium nach Düsseldorf, wurde Toningenieur, baute sich einen eigenen Übertragungswagen, arbeitete als Tonmeister bei CD-Einspielungen und Konzertübertragungen. Er gründete eine Familie, fing an, Hörspiele zu produzieren, gab Vorleseseminare, wurde Chorleiter, studierte nebenher noch Kirchenmusik. 2009 komponierte er eine Lukas-Passion - und plötzlich kam ihm das Harmonium wieder in den Sinn. Diese Klangfarbe hatte ihm gefehlt. Für einen Euro ersteigerte er im Internet ein Instrument, musste es reparieren und fing an, sich mit Geschichte, Bauweise und Restaurierung der Instrumente zu beschäftigen.

Das ist inzwischen sein Hauptberuf. In seiner Werkstatt in Grevenbroich restauriert er alte Instrumente, in seinem Studio in Düsseldorf bietet er sie zum Kauf und zur Miete an. Er liefert Harmoniums für Aufführungen in historischer Praxis, gibt Unterricht und spielt selbst. Er organisiert Festivals für Harmonium, spielt Konzerte wie "Harmonium trifft Tango", bemüht sich auf allen Ebenen darum, mit den Vorurteilen gegenüber dem Instrument aufzuräumen. "Das Harmonium bietet so viele Klangmöglichkeiten und ist auch für geübte Musiker eine riesige Herausforderung", sagt Langer, "es ist einfach schade, das alles zu verpassen."

Auch das Harmonium, das beim Ballettabend von Martin Schläpfer in Rossinis "Petite Messe solennelle" erklingt, hat Langer geliefert und den Pianisten und Dirigenten Patrick Francis Chestnut, der an der Rheinoper spielt, am Instrument eingewiesen. "Es ist toll, wenn Opernhäuser sich die Mühe machen, ein Originalinstrument zu beschaffen", sagt Langer, "der Klang des Harmoniums ist einfach durch nichts zu ersetzen." Und dann stellt er die Füße auf den Tretschemel, setzt die Pedale in Bewegung, greift in die Tasten und eine Harmonie dringt in den Raum, erst leise wie von weit her, dann mächtig wie eine Orgel. "Na", sagt Klaus Langer, "klingt doch kein bisschen naiv und wirklich nicht nach Blasebalg!"

(dok)
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