Düsseldorf Warten auf Alfred

Düsseldorf · Der Pianist und Schriftsteller Alfred Brendel und der Verleger Michael Krüger sprachen über "Unsinnspoesie" im Heine-Haus.

 Verleger und Autor Michael Krüger (r.) trägt vor, Pianist und Lyriker Alfred Brendel wartet auf den Einsatz.

Verleger und Autor Michael Krüger (r.) trägt vor, Pianist und Lyriker Alfred Brendel wartet auf den Einsatz.

Foto: Endermann

Diese beiden Herren auf der Bühne bräuchten nur das Füllhorn ihrer Lebenserfahrungen auszuschütten, schon könnten wir im Saal eine vergnügliche Überschwemmung erleben. Links sitzt der 85-jährige Pianist, der das 20. Jahrhundert als grübeliger, unbestechlicher Schubert- und Beethoven-Interpret bewegte. Rechts sitzt der 72-jährige Poet und Verlegerfürst, der die Welt der Literatur lenkte wie kaum ein anderer. Beide, Alfred Brendel und Michael Krüger, sind jetzt ins Heine-Haus gekommen, um uns an ihrer Sicht auf "Unsinnspoesie" teilhaben zu lassen.

Zuvor aber tritt zur Überraschung fast aller im Saal der sehr bekannte Autor und Büchner-Preisträger Durs Grünbein auf die Bühne, rezitiert Richard Huelsenbecks unverwüstliches "Ende der Welt" und preist die beiden Herren so wortreich an, dass die Spannung ins Unerträgliche steigt. Nun, von Brendel weiß man, dass auch die Musen der Literatur ihn geküsst haben, weswegen er den musikwissenschaftlichen Essay ebenso beherrscht wie die geschliffene Lyrik. Gern dichtet er Humoresken, verspukte Nonsens-Verse, die mit dem Samt des schwarzen Humors ausgeschlagen sind. Von Krüger weiß man, dass er die Welt der Dichter durch die Jahrhunderte trefflich überblickt. Von diesen Granden wollen wir viel hören. Es verspricht ein großartiger Abend zu werden.

Den Anfang scheint eine Art überdimensionales Präludium zu bilden. Krüger breitet die Themen aus wie einer, bei dem sich Ordnung eher beiläufig einstellt, wenn überhaupt. Er extemporiert und fabuliert über Dada, Rainer Maria Rilke und "das Spießige bei Schwitters". Für uns ist es ein bisschen wie Oberseminar mit Hörschein, ohne Leistungsnachweis. Doch zum Vergnügen sind wir nicht hier, denn Krüger trägt zu Beginn ein Gedicht vor und lässt uns den Autor raten: Es ist Paul Celans "Großes Geburtstagsblaublau mit Reimzeug und Assonanz", das ziemlich offensiv auf Düsseldorf anspielt.

Brendel gibt gelegentlich eher milden Mostrich dazu, den wir ohnedies nur begrenzt schmecken, denn Brendel und sein Kopf haben zum Mikrofon im Heine-Haus weder ein emotionales noch ein räumliches Verhältnis. Dasjenige Krügers knackt und ploppt dagegen, wenn er in seiner Vorleselust hineinbeißt.

Krüger ist zwar vernehmlich begeistert, dass "der liebe Alfred" neben ihm sitzt (den er als Verleger betreut hat), doch hält er ihn bei aller Verehrung für seinen erweiterten Zuhörerkreis. Alles läuft auf einen Krüger-Abend hinaus. Das hat auch Vorzüge: Mitunter kommt es zu Sentenzen, die man augenblicklich notiert wie in der Germanistik-Vorlesung, etwa diese: "Der Reim ist Form und Verstärker des Komischen" oder "Wer immer das Gegenteil von Sinn produziert, geht in die Falle". Derlei hört man mit Gewinn.

Krügers liebster Zuhörer - der Leser ahnt es längst - ist Michael Krüger. Kaum hat er den "Alfred" angekündigt, der nun auch etwas lesen werde, greift Krüger selbst wieder zum Buch und trägt weitere Gedichte vor. Sein Motto: Einer muss es ja tun. In jedem Fall füllt konzentrierte Andacht den Raum, was aber auch daran liegt, dass jeder bei diesem Gipfeltreffen zweier Großdenker sehr aufmerksam ist, dass er einen möglicherweise weiteren Einwurf Brendels nicht verpasst. Zudem hoffen wir alle weiterhin, dass der Abend nach all den Einleitungen, Anbahnungen und Vorbereitungen bald richtig losgeht.

Indes lässt sich Brendel, wenn er zu Wort kommt oder es gar von sich aus ergreift, nicht lumpen. Natürlich trägt er wieder die Schmonzette vom Kamel ohne Höcker vor, die ein Kichern auslöst, das sich vorteilhaft auf Brendels lebhaft leidendes Mienenspiel auswirkt. Leider hört er nicht mehr gut und droht im Gespräch auf dem falschen Ohr verloren zu gehen. Man sollte jedoch auf der Hut sein: Brendel, einmal bei sich und im Film, ist ein hinreißender Universalist. Auch von Kunstgeschichte versteht er allerhand und gibt Tipps für Kunstbesuche in Zürich, was nicht so weit vom Thema wegführt, wie es scheint, denn irgendwie ist an diesem Abend alles erlaubt. Rechtzeitig doziert er dann auch über Dadaisten als Doppelbegabungen, über die Wichtigkeit, dass ihre Texte auch rezitiert werden, und über den Exzentriker Francis Picabia.

Mancher hat Mühe mit diesem Abend; vor allem weiß man bei Krügers Gedichten nie, wann sie am Ende angekommen sind, weswegen dann stets ein Loch des Schweigens im Heine-Haus aufreißt. Dann aber erlöst uns ein Lacher aus Reihe sieben, und alles ist wieder gut.

Ja, nach all den Präludien könnte jetzt der Abend beginnen, wir freuen uns ja vornehmlich auf Brendel-Texte, und intellektuell wäre es im Sinne aller hilfreich, wenn Krüger mal verschnaufen könnte. Doch in genau diesem Moment ist der Abend vorbei. Kurzer Applaus. Die Künstler erheben sich. Sie haben es richtig gemacht. Denn nun müssen sie erneut eingeladen werden für einen zweiten Abend, der das hält, was man sich vom ersten versprach.

(w.g.)
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