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Düsseldorf Wenn Geburtstage "kostbarer" werden

Düsseldorf · Die Düsseldorfer Schriftstellerin Ingrid Bachér feiert morgen im Palais Wittgenstein ihren 85. Die Urenkelin Theodor Storms war deutsche PEN-Präsidentin und ist bis heute eine kritische Mahnerin des Landes.

Was Ingrid Bachér noch weniger schätzt als das Feiern ihres Geburtstags, sind Festivitäten zu den sogenannten runden Geburtstagen. Also die Lebenserinnerungs- und Werkgedächtnisfeiern mit allem Pipapo. So dürfte auch der morgige Donnerstag nicht unbedingt nach dem Geschmack der Autorin sein, wenn im Palais Wittgenstein Freunde, Leser und sonstige Buchmenschen ihren 85. Geburtstag persönlich und literarisch feiern wollen.

Dabei ist Bachér weder zurückhaltend noch mehr als nötig bescheiden. Aber sie ist keineswegs so laut, dass sie im manchmal arg lauten Öffentlichkeitsgetümmel sonderlich auffiele. Ihre Zurückhaltung gründet in ihrer überzeugten Anschauung von Person und Leben: Nicht um sie soll es gehen, sondern um die sogenannte Sache, für die sie mit ihren Büchern seit so vielen Jahren streitet: für die Liebe und das Leben miteinander ("Der Liebesverrat"), gegen den Wahnsinn des Krieges ("Sarajewo 96"), um unseren Umgang mit der Natur ("Die Grube") und dem Alter.

Ein historisches Buch entführt den Leser nicht nur ins 19. Jahrhundert, sondern auch in den so oft kolportierten Teil ihrer eigenen Familiengeschichte. In "Woldsen oder es wird keine Ruhe geben" erzählt sie vom eigenen Urgroßvater, von Theodor Storm, und von einem vielschichtigen Vater-Sohn-Konflikt. Das Werk ist - dezent überarbeitet - dann vor zwei Jahren noch einmal erschienen, diesmal unter dem ungewöhnlichen, an einen Nouveau Roman erinnernden Titel "Theodor Storm fährt nach Würzburg und erreicht seinen Sohn nicht, obwohl er mit ihm spricht".

Das ist nur ein Ausschnitt ihres umfänglichen Werks, wobei auch das Werk selbst nur einen Teil ihres Wirkens beschreibt. Denn Bachér ist eine engagierte Autorin geblieben. Mit einfachen Worten: Ihr ist es schlicht und einfach nicht egal, was in diesem Land geschieht und geschehen ist. So schrieb sie über den Majdanek-Prozess, an dessen Sitzungen sie in Düsseldorf teilnahm.

Dazu zählt auch ihr Einsatz im deutschen PEN-Zentrum, zu dessen Präsidentin sie 1995 gewählt und mit der schwierigen Aufgabe betraut wurde, den westdeutschen PEN mit dem ostdeutschen irgendwie zu verschmelzen. Das konnte ihrer Meinung nach nicht ohne Aufklärung geschehen. Sie forderte eine Vereinigung "mit offenen Augen und klarem Kopf". Ihr ging es dabei nicht um Nötigung der politisch diskreditierten Kollegen aus der DDR; aber: "Es wäre großartig, gäbe es Schuldeingeständnisse", schrieb sie damals. Denn nur dann könne Schuld verstanden und vergeben werden. Bachér scheiterte und trat zurück.

Nachzulesen ist dies mit vielen anderen Texten in einem von Bernd Kortländer betreuten Lesebuch, das jetzt zum Fest erscheint. Darin findet sich auch ein frühes Zeugnis ihres Schreibens, "Unaufhaltsam vor Jamaica", mit dem sie 1958 bei der Gruppe 47 debütierte. Mit großem Erfolg übrigens. Den Preis gewann sie dennoch nicht, da ausgerechnet damals sehr große Konkurrenz auftrat: mit dem Lyriker Günter Grass, der überraschenderweise aus seinem ersten Roman las, "Die Blechtrommel". Weil Schreiben keine Arbeit ist, sondern erinnerte Erfahrung ist, wird es von Ingrid Bachér bald einen neuen Roman zu lesen geben. "Die Eröffnung" heißt er, und ein paar Seiten davon sind im neuen Lesebuch schon veröffentlicht. Um Tod und Sterbehilfe geht es darin, aber auch um das unstillbare Verlangen zu leben. "Das Echo unseres Lebens ist das Echo der anderen, die gelebt und es weitergegeben haben."

In der Anthologie findet sich ein Glückwunschbrief an Günter Kunert. Geburtstage, so schreibt sie dem Kollegen, "werden von Jahr zu Jahr kostbarer". Und sie wünscht ihm eine ungewöhnlich ausgiebige und zugleich melancholisch gelassene Feier. Vielleicht wird es ja so auch Morgen im Palais Wittgenstein zugehen. Schließlich findet sich im Kunert-Brief auch dieser Satz: "Ich liebe die Einmaligkeit jedes Tages."

(RP)
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