Düsseldorf Wladimir Kaminer lädt zur Russendisko

Düsseldorf · Der russisch-deutsche Autor erzählte im Zakk von nationalen und anderen Besonderheiten. Nach über 20 Jahren in Deutschland ist Wladimir Kaminer immer noch leicht verwundert, wenn er im Ausland als Aushängeschild deutscher Literatur gilt.

Mittlerweile führen seine Reisen ihn und auch seine legendäre "Russendisko", bei der er mit DJ Yurij Gurzhy Tanzbares aus dem Osten auflegt, bis in die USA. Zuletzt in eine Kleinstadt in der Nähe von Knoxville, Tennessee, "in das Herz Amerikas", dorthin, wo "die Menschen bewaffnet sind, keine Zähne und keine Krankenversicherung haben".

Von derlei obskuren Begebenheiten erzählt Kaminer dem Publikum im fast ausverkauften Zakk, liest mit immer noch starkem russischen Akzent aus Unveröffentlichtem. Das tut er stehend, wühlt sich durch einen Wust von Blättern und verbeugt sich nach jeder Geschichte, die Hand auf die Brust gelegt. Er ist ein charmanter, gut aussehender Mann, mit dem wohl jeder gern mal ein Gespräch über den Gartenzaun führen würde. Nur die Verwalter der Schrebergartenanlage nicht, auf der Kaminer einst eine Parzelle besaß. Die stießen sich an der "spontanen Vegetation" in Nachbars Garten und verwiesen ihn der Scholle.

Und da sind wir schon im Herzen von Kaminers Humor. Gern geht er nationalen Klischees auf den Grund. "Von der gut begründeten Grimmigkeit der Russen" heißt ein solcher, fast kann man sagen: Essay, der mit diesen Stereotypen spielt. Von den Deutschen heißt es dort, dass sie Welt als Chaos sehen, in das Ordnung gebracht werden muss. "Die Deutschen möchten die Welt als Königsberger Klops."

Ein Thema liegt Kaminer an diesem Abend besonders am Herzen: die Pubertät seiner in Deutschland geborenen Kinder. "In der Sowjetunion gab es keine Pubertät", schickt er voraus und widmet sich um so verwunderter seinen eigenen aufbegehrenden Sprösslingen. Das ist manchmal ein wenig betulich, aber immer wieder blitzt seine witzige Weisheit auf. So wie er in seiner eigenen Schulzeit aneckte, weil er statt des einst revolutionären, damals aber staatstragenden Poeten Wladimir Majakowski die Songtexte einer Moskauer Rockband im Unterricht vorstellte, gerät seine Tochter in Schwierigkeiten, weil sie statt Tucholsky das Gedicht "Das Fest der Eidechsen" von The-Doors-Sänger Jim Morrison interpretiert. Die Zeiten ändern sich doch nicht. Dank erntet Kaminer für die Verteidigung gegen die ungerechten Lehrerinnen nicht. Nach einem Streit weist ihn die Tochter in die Schranken: "Du kommst aus einem Land, das es nicht mehr gibt, und aus einem vergangenen Jahrhundert." Was weiß so einer schon! Zur Verteidigung des Vaters sei gesagt: Er weiß schon eine ganze Menge. — Nach der Lesung wartet vor dem Zakk die sparsame Jugend und bittet die weniger Tanzwütigen um die Tickets zur Lesung, die auch zum Eintritt in die Russendisko berechtigen.

(RP/EW)
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