Kolumne Mein Düsseldorf Kunstrasen statt Kö und Kaviar

Düsseldorf · Wer lange in dieser Stadt lebt und arbeitet, der weiß - Düsseldorf ist mehr als Kö und Kaviar, Schicki und Micki, Pomelato und Prada. Das zeigt zum Beispiel ein x-beliebiger Sonntagvormittag am Rand des Fußballplatzes des SC West in Oberkassel.

 Längst nicht überall entspricht Düsseldorf seinem Schickimicki-Image - zum Beispiel am Rand eines Fußballplatzes. Dort wird über Transfers, Aufstellungen, Millionengagen und die eigene Familiengeschichte philosophiert.

Längst nicht überall entspricht Düsseldorf seinem Schickimicki-Image - zum Beispiel am Rand eines Fußballplatzes. Dort wird über Transfers, Aufstellungen, Millionengagen und die eigene Familiengeschichte philosophiert.

Foto: dpa

Die B-Jugend des Vereins spielt gegen die Gäste des VfB Benrath. Wie die meisten anderen Fußballplätze der Stadt ist auch dieser mit Kunstrasen belegt. Schilder regeln das Vereinsleben, Hunde dürfen nur bis zur Terrasse. Dort sitzt man direkt an der Balustrade zwei Meter über dem Feld, Stehtische laden zum Plausch ein. Überall Aschenbecher - man ist draußen, Rauchen ist also nicht verboten. Auch auf einer Sportanlage nicht.

Terrassen-Chefin ist eine - sagen wir: burschikos-sympathisch-handfeste Mittvierzigerin in engen schwarzen Jeans und passendem T-Shirt. Schwarze Haare, Kajalstift um die Augen, auf dem linken Unterarm sind ein paar spanische Worte eintätowiert. Nennen wir sie Lilly. Um ihre Füße wuselt ein Hund - ein Mix zwischen Yorkshire und Dackel. Luis heißt er. Ein kluges Tierchen. "Aus einer Tötungsstation auf Mallorca!", sagt Lilly. Wäre ein Jammer gewesen um den Vierbeiner. Lässig lehnt Lilly an ihrem Verkaufstresen.

"Haben Sie ein Weizenbier?" Sie grinst: "Klar, so viel, dass ich es verkaufen kann!" Wie Kaffee, Wasser oder Fassbrause. Auf einem Teller unter einer Plastikhaube liegen ein Dutzend halbe Brötchen, belegt mit Käse und Salami. Eine Stunde vorher waren sie noch frisch, jetzt wellt sich der Käse ein bisschen nach oben. Na ja, wir sind ja nicht an der Kö. "Lilly, machse mir noch nen Kaffee? Mit vier Stück Zucker!" tönt es von einem Tisch direkt am Geländer. Drei Fußballfans, männlich, sitzen dort. Sie sind dieser Jahrgang, der sich noch erinnern kann, wo er war, als Fortuna-Torwart Toni Turek 1954 in Bern zum Fußballgott und der Ruhri Helmut Rahn zum Helden wurde.

Das ist geballte, über die Jahre gewachsene Fußballkompetenz - nicht nur in der Beurteilung des Spiels der 15-/16-Jährigen auf dem Feld, sondern auch vom Rest der deutschen Kicker. Podolski, Götze, Lahm, Schweinsteiger - wenn das Spiel da vor der Nase gerade nicht so viel hergibt, wird im Brustton der Überzeugung eigener Kompetenz gefachsimpelt über Transfers, Aufstellungen, Millionengagen, Chancen und Niederlagen in der Bundesliga und Nationalmannschaft. Jogi Löw, Guardiola, Klopp, warum seid ihr jetzt nicht hier - alle Eure Probleme sind in Wahrheit keine. Hier sitzt die Lösung, griffig, nachvollziehbar, simpel - sozusagen mit präzisen Verbal-Pässen im breiten Rheinland-Slang weit nach vorn geschlagen. Großes Kino, dem Trio zuzuhören, angesiedelt irgendwo zwischen Dieter Nuhr und Konrad Adenauer. Da ist so viel Weisheit, so viel Lebenserfahrung. Zwischendurch wird der Bekanntenkreis gecheckt, Familien- und Gesundheitsinfos ("Hasse gehört, dä Müllers Pitt is jestorve?!") werden auf den neuesten Stand gebracht: Hochzeit, Scheidung, Tod, Geburt - das pralle Leben. Was aber nicht daran hindert, ein Foul auf dem Platz oder eine Schwalbe - erstens - zu bemerken und - zweitens - zu verdammen (wenn von der gegnerischen Mannschaft!). Fouls des eigenen Teams sind keine oder "jing nit anders!", also: taktisch zwingend. Ergo: eine lässliche Sünde.

Dazwischen immer wieder Lilly - mit Kaffee, an ihrer Zigarette ziehend, kurze Bemerkungen verteilend.

Ein japanisches Ehepaar nebenan hat dafür weder Auge noch Ohr. Weil: Der Sohn spielt mit auf dem Platz. Jede seiner Bewegungen wird mit der Kamera festgehalten, die beiden platzen vor Stolz. Wortfetzen sind von unten zu hören - die deutschen Spieler erklären einem anderen Japaner auf Englisch, was sein Landsmann tun soll. Das wird dann ins Japanische übersetzt. Leider ist der junge Mann sehr höflich. Zwar verbeugt er sich nicht gerade vor den gegnerischen Spielern, vom bedinglosen Einsatz eines Samurai ist er jedoch weit entfernt. Aber immerhin - er geht in die Zweikämpfe, aber will den Benrathern offenbar nicht zu nahe treten. Es hilft ihnen nicht: SC West gewinnt am Ende mit 4:0.

Und die Spielermütter (eine Art pro-pubertäre Variante der späteren Spielerfrauen), die in der Terrassenecke mitgefiebert haben, klatschen begeistert.

Lilly ist auch zufrieden - Spiel läuft, Weißbier läuft, Kaffee läuft.

Düsseldorf - an einem x-beliebigen Sonntagvormittag auf einem Düsseldorfer Fußballplatz.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort