Homosexuelle in der NS-Zeit KZ oder Kastration — Düsseldorf und der Paragraf 175

Düsseldorf · In Düsseldorf wurden während des Nationalsozialismus besonders viele Schwule verhaftet und verurteilt - allein im Jahr 1938 gab es 400 solcher Fälle. Ein Historiker erklärt, wie es dazu kam.

 Justizminister Heiko Maas (SPD) besucht das Denkmal für im Nationalsozialismus verfolgte Homosexuelle.

Justizminister Heiko Maas (SPD) besucht das Denkmal für im Nationalsozialismus verfolgte Homosexuelle.

Foto: afp

Es hat lange gedauert, bis Homosexualität in Deutschland nicht mehr gesetzlich verfolgt wurde: Erst 1994 wurde der Paragraf 175 des Strafgesetzbuches aufgehoben, 1998 fiel er ganz weg. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) arbeitet derzeit daran, in der Nachkriegszeit verurteilte Homosexuelle zu entschädigen. Am Freitag wurde der Gesetzentwurf dazu erstmals im Bundestag beraten. Auf der Besuchertribüne saßen dabei auch fünf Zeitzeugen.

Vor der Diskussion im Parlament besuchte Maas am Freitag mit den Zeitzeugen das Denkmal für im Nationalsozialismus verfolgte Homosexuelle in Berlin - eines der wenigen Denkmäler in deutschen Großstädten, die an Lesben und Schwule als Opfer nationalsozialistischer Gewaltherrschaft erinnern. Auch in Düsseldorf fordert eine Interessengruppe ein solches Mahnmal.

Und dafür gibt es gute Gründe: Denn in Düsseldorf wurden ab 1938 mehrere hundert Männer wegen des Paragrafen 175 verhaftet und verurteilt. Allein 400 Fälle sind für das Jahr 1938 dokumentiert, auch danach kam es zu Verfahren. Diese Zahlen hat der Düsseldorfer Historiker Frank Sparing für seine Untersuchung "Wegen Vergehen nach §175" in Gerichtsakten recherchiert. In Düsseldorf wurden damit im Vergleich zu anderen westdeutschen Städten besonders viele Männer verhaftet. Zu diesem Schluss kommt jedenfalls Markus Velke. Der Kölner Historiker arbeitet für das Centrum Schwule Geschichte (CSG) in Köln.

Der Paragraf 175 stellte seit dem Kaiserreich sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe. "Schon in der Kaiserzeit galt der Verdacht, ein 175er zu sein, als sozialer Ruin", sagt Velke. In der Weimarer Zeit entwickelte sich aber überall im Reich eine homosexuelle Subkultur. Es entstand zum Beispiel der "Bund für Menschenrechte", in dem auch SA-Chef Ernst Röhm Mitglied gewesen sein soll.

Auch in Düsseldorf entwickelte sich eine Schwulenkultur. "Nach der Machtübernahme haben die Nationalsozialisten erst schwule und lesbische Zeitschriften verboten und Szenelokale geschlossen", sagt Velke. In Düsseldorf war auch der "Tosca-Palast" an der Rethelstraße betroffen. "Einige Treffpunkte blieben geöffnet, vermutlich, weil die Verfolgungsbehörden Männer dort auf frischer Tat ertappen oder in die Falle locken wollten." Treffpunkt für Homosexuelle war unter anderem eine öffentliche Toilette, eine sogenannte "Klappe" in der Nähe des Kaufhofs am ehemaligen Hindenburgwall (heute Heinrich-Heine-Allee) und in den Abendstunden der Hofgarten in der Nähe des Ratinger Tors.

Nach der Machtübernahme durch die Nazis sei es darum gegangen, Homosexualität aus moralischen Gründen zu verbannen, sagt Velke: "Zunächst mit dem Wohlwollen der Katholischen Kirche." 1935 wurde der Paragraf verschärft - auf gleichgeschlechtliche "Unzucht" standen jetzt bis zu fünf Jahre Gefängnis oder Zuchthaus, und nun galten schon Händchenhalten, Streicheln oder Umarmungen als homosexuelle Handlungen, die bestraft werden mussten. Außerdem wurde der Paragraf 175a hinzugefügt, der schwere Unzucht unter Strafe stellte, darunter fiel etwa Sex mit Minderjährigen oder gleichgeschlechtliche Prostitution.

Ab 1936 existierte dann eine "Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und der Abtreibung" in Berlin. "Ab da war die ideologische Stoßrichtung der Nationalsozialisten klar: Für die Nazis war Homosexualität eine staatsgefährdende Straftat, weil sich diese Männer der Reproduktion entzogen und somit in den Augen der Nazis dem deutschen Volk schadeten." Weibliche Homosexualität stand übrigens nicht unter Strafe. "Wegen ihrer anatomischen Beschaffenheit standen sie ja ohnehin für die Reproduktion zur Verfügung, wenn man sie nur den richtigen Männern zuführte. Weibliche Sexualität spielte dabei keine Rolle."

Schwule wurden ab 1936 in Duisburg und Düsseldorf von der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) und der Kriminalpolizei gleichermaßen verfolgt. "In Düsseldorf gab es sogar ein Sonderkommando der Gestapo, das später auch in Köln tätig wurde", sagt Velke.

In Düsseldorf existierte außerdem in der Haftanstalt Derendorf ein Gefängniskrankenhaus, das ein "Zentrum" für Kastration in der ganzen Region war. "Kastration war zwar nicht das erste Mittel der Wahl der Nationalsozialisten als Strafe für Homosexuelle", sagt Velke, "aber verurteilte Schwule konnten mit einer freiwilligen Kastration einer KZ-Haft entgehen."

Zwischen 1937 und 1941 wurden 49 Männer in Derendorf kastriert, dazu kommen 19 sogenannte freiwillige Kastrationen. Unter den Zwangskastrierten waren natürlich nicht nur Homosexuelle, sondern vor allem Triebtäter und Schwerkriminelle. "Schwulen, die schon vorbestraft waren oder mit mehr als einem Mann Geschlechtsverkehr hatten, drohte nach einer Gefängnishaft oder dem Zuchthaus oft das KZ. Sie willigten dann in eine Kastration ein, um dem KZ zu entgehen", sagt Velke. Zahlen für die Zeit nach 1945 existieren nach Aussage der Historiker wohl nicht.

15.000 wegen Paragraf 175 Verurteilte kamen im Reichsgebiet während der NS-Zeit in Konzentrationslager, "diese Zahl geistert zumindest durch die Forschung", sagt Velke. "Die Dunkelziffer dürfte höher liegen, denn auch unter Juden, Kommunisten und anderen verfolgten Gruppen dürfte es Schwule gegeben haben". Homosexuelle wurden in den Lagern für schwere Arbeit herangezogen, sie mussten einen rosa Winkel als Zeichen ihrer Homosexualität tragen. "In den Lagern wurden auch Menschenversuche mit ihnen gemacht. Man hatte die Auffassung, Homosexualität lasse sich durch schwere Arbeit kurieren", sagt Velke. Die meisten Homosexuellen überlebten das KZ nicht.

(heif)
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