Serie "So wohnt Düsseldorf" Leben auf dem Gut

Düsseldorf · Auf Mydlinghoven in Hubbelrath verwirklichen 100 Menschen ihre Vision vom gemeinsamen Leben. Sie teilen Freizeit und Gutsarbeit.

 Durch das Tor kann man den Innenhof des Ritterguts aus dem 15. Jahrhundert sehen.

Durch das Tor kann man den Innenhof des Ritterguts aus dem 15. Jahrhundert sehen.

Foto: Hans-Juergen Bauer

Wer hat nicht schon mal davon geträumt, mitten in der Natur zu leben? Umgeben von sanften Hügeln, Wald und Wiesen, guter Luft. Und Stille. Ja, aber dann - melden sich die Bedenken - wären die Freunde weit weg, der Hausarzt, ein Kino, das Lieblings-Café nur nach längerer Autofahrt zu erreichen. Und was wäre, wenn man das alles einfach mitnehmen könnte in sein ländliches Idyll? Wer in Hubbelrath die Erkrather Landstraße entlangfährt, sieht plötzlich ein Plakat mit großen grünen Buchstaben: "Wir vom Gut". Drei Worte, ein Bekenntnis. Denn hier wird gerade eine Vision auf ihre Alltagstauglichkeit getestet.

"Alles ist neu, für jeden von uns." Dieser Satz beschreibt die Gegenwart auf Gut Mydlinghoven. Die wechselvolle Vergangenheit bildet das Fundament: Das Rittergut aus dem 15. Jahrhundert war einst Wasserburg, später Gestüt, dann Senioren-Residenz, schließlich nach einer Kernsanierung in den 1990-er Jahren Hotel mit Restaurant, beliebt bei Hochzeitspaaren. Dann stand es eine Weile leer und wurde zum Kauf angeboten.

 Christa Geßner und Gunhild von Poser stehen am Kuchenbuffet in der ehemaligen kleinen Reithalle.

Christa Geßner und Gunhild von Poser stehen am Kuchenbuffet in der ehemaligen kleinen Reithalle.

Foto: Hans-Juergen Bauer

Davon erfuhren Mitglieder des Vereins "Lebensraum", eine Initiative, die zur Keimzelle der späteren Genossenschaft wurde, gegründet Ende 2014. Sie ist Eigentümerin des Gutes mit 45 Wohneinheiten (vom Appartement bis zum kompletten Haus) und 77.000 Quadratmetern Land. Heißt: Allen gehört alles. Heute leben auf dem Gut 73 Erwachsene (die Älteste ist 87) und 27 Kinder (das Jüngste wurde im Januar geboren). Aber vor allem: Wie sie leben, ist zukunftsweisend. Starke Inspirationsquelle war dabei die "Co-Housing"-Bewegung in Skandinavien.

Das Prinzip ist simpel: Jeder hat eine eigene Wohnung, jeder kann für sich sein. Darüber hinaus werden Gemeinschaftsräume eingerichtet - sie sind Zentrum des Alltagslebens. Im skandinavischen Co-Housing ist jeden Abend das gemeinsame Essen am großen Tisch üblich. Dass jeder kochen kann, wird als Selbstverständlichkeit vorausgesetzt.

 Heinz Bielefeldt steht im Wintergarten des Herrenhauses, der als Gemeinschaftsraum genutzt wird.

Heinz Bielefeldt steht im Wintergarten des Herrenhauses, der als Gemeinschaftsraum genutzt wird.

Foto: Hans-Juergen Bauer

Auch in Hubbelrath ist erklärter Wunsch aller Bewohner, gemeinsam miteinander Zeit zu verbringen, von den Talenten anderer zu profitieren und eigene Fähigkeiten einzubringen. Unter dem Motto: Du bringst mir Schach bei, ich zeig dir, wie man ein Fotobuch am Computer gestaltet. Jeden Samstag verbindet die gemeinsame Arbeit auf dem Gut, "jeder macht das, was er am besten kann", erläutert Heinz Bielefeldt, der mit seiner Familie in der ehemaligen Scheune lebt.

Die einen stutzen Rosenbüsche im Innenhof, andere sind, in Abstimmung mit dem Landschaftsschutz, im Gelände aktiv. Und andere kochen. Denn am Samstagmittag essen alle zusammen im Herrenhaus des Gutes, das für Seminare auch vermietet wird. Dass dessen Restaurantküche noch intakt ist, wird als Glücksfall gesehen. "Aber auch die Wohnungen waren in gutem Zustand, so konnten wir möglichst viel vom Vorhandenen nutzen", sagt Marc Grönnebaum, der sich mit seiner Familie für die ehemaligen Remisen entschied. Jeder Bewohner hat zu Beginn in die Genossenschaft eingezahlt, 860 Euro pro Quadratmeter, dazu kommt heute eine Warmmiete von rund zehn Euro - davon werden auch die Darlehen abgezahlt.

In der "kleinen Reithalle", dem kollektiven Wohnzimmer mit altem Gebälk und mit mehreren Sitzgruppen, wird soeben das Kuchenbüffet eröffnet - wie jeden Freitagnachmittag. "Alles selbst gebacken", versichert Gunhild von Poser und schneidet die Ananas-Krokant-Torte in Stücke. Die 65-Jährige lebt mit ihrem Mann seit einem Jahr auf dem Gut, "das war die beste Entscheidung". Mittlerweile sind auch ihre Kinder mit den Enkeln nachgezogen.

Entscheidend dafür war sicher auch, dass Jung und Alt Angebote finden, die das Leben erleichtern. Eine Erzieherin kümmert sich um die Jüngsten, eine Ärztin (mit offizieller Sprechstunde) um die Gesundheit ihrer Mitbewohner. Rege besucht werden auch der Fitnessraum und der regelmäßige Kinoabend. Sogar die Mobilität soll geteilt werden, die Lösung nach Gutsherrenart: Gemeinschaftsautos.

Und wenn die Harmonie doch mal getrübt ist? "Hier ist viel Platz, man kann sich auch mal aus dem Weg gehen", meint Heinz Bielefeldt. Wenn das nicht reicht, bieten sich Mitbewohner mit ausgleichendem Naturell an, um die Streitenden wieder zu versöhnen. Ob das immer klappt, wird die Zukunft zeigen. Friedensstiftend sind sicher auch die regelmäßigen Feste, wie das Apfelfest im letzten Herbst, als viele Hände 185 Kilo Früchte in Saft, Kuchen und Kompott verwandelten.

Wer jetzt auf den Geschmack gekommen ist, muss wissen: Das Leben auf dem Gut ist ausgebucht. Alle Wohnungen waren schnell vergeben, eine Warteliste wächst. Wer trotzdem schon mal testen möchte, wie es sich in Gemeinschaft lebt, kann sich in einem der Gästezimmer für ein Wochenende einmieten - und zumindest Gutsbesitzer auf Probe sein.

(RP)
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