Düsseldorf-Rath Zu Besuch bei der vergessenen Kommune

Hippies, Aussteiger oder Rebellen – all das wollen die neun Bewohner der letzten Künstler-Kommune in Düsseldorf-Rath nicht sein. Stattdessen leben sie ihre Version von Freiheit – mit Führerschein und Krankenversicherung. Ein Besuch.

Ein Besuch in der letzten Künstler-Kommune Düsseldorfs
15 Bilder

Ein Besuch in der letzten Künstler-Kommune Düsseldorfs

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Hippies, Aussteiger oder Rebellen — all das wollen die neun Bewohner der letzten Künstler-Kommune in Düsseldorf-Rath nicht sein. Stattdessen leben sie ihre Version von Freiheit — mit Führerschein und Krankenversicherung. Ein Besuch.

Die Früchte an der Brombeerhecke werden langsam reif. Wie Gestrüpp wuchert die Hecke entlang der Straße am Mühlenbroich im Düsseldorfer Stadtteil-Rath. Die ersten Beeren sind schon tiefschwarz. Lange dauert es nicht mehr, dann kommt Lücke und pflückt. Aus der Ernte macht er Marmelade.

Die Marmelade, der Briefkasten am Gatter und die Hausnummer 34A — das alles passt nicht so recht in das Bild einer Kommune aus lauter Lebenskünstlern, die abseits der Konventionen lebt. So abseits sogar, dass selbst die Stadt, der das Grundstück am Mühlenbroich gehört, sie zwei Jahrzehnte lang übersah. Erst jetzt ist die Künstler-Kommune zum Thema geworden wegen des Schaustellergeländes in der direkten Nachbarschaft. Da gibt es eine illegale Halle, die versetzt werden soll, und das ausgerechnet auf das Gelände, auf dem Lücke, Rudi und die sieben anderen wohnen. Die Stadt dachte schließlich, das Gelände sei unbewohnt.

Wie das passieren konnte, ist Lücke und seinem Freund Rudi ein Rätsel. "Wir sind ja hier alle gemeldet”, sagt Rudi. Davon zeugen ja die drei Briefkästen und die Ziffern am Gatter.

Seit etwas mehr als 25 Jahren lebt Lücke, dessen richtiger Name eigentlich Friedhelm ist, auf dem Grundstück am Mühlenbroich. "Früher war hier eine Müllhalde mit Elektroschrott”, erzählt Lücke. Mit seinem Spitznamen verhält es sich wie mit den meisten anderen Spitznamen auch, sagt er. Sinn ergeben sie keinen. "Es war Zufall, dass wir hier gelandet sind. Ich kannte hier einen Bauern, dem die Wiese früher gehört hat. Dass ich meinen Bus hier hingestellt habe, hat sich so ergeben.” Wie vieles andere auch.

Lücke und Rudi sind beide Düsseldorfer und kennen auch ein Leben nach bürgerlichen Regeln. Lückes Mutter war Hausfrau, der Vater ein normaler Angestellter. Doch für Lücke kam so ein geregeltes Erwerbsleben nicht in Frage. Seit 45 Jahren lebt der 70-Jährige im Wohnwagen, die Kommune am Mühlenbroich hat er vor 25 Jahren gegründet.

Lücke wollte immer Musik machen. Rudi hat eine kaufmännische Ausbildung gemacht und war jahrelang als Speditionskaufmann selbstständig. Ende der 90er kam er in die Kommune am Mühlenbroich, nach einem Herzinfarkt ist der heute fast 60-Jährige arbeitsunfähig.

Lücke bekommt Rente. Alle Bewohner der Siedlung sind krankenversichert ("Muss man ja heutzutage sein”), und den Führerschein haben sie auch. Einmal hat Lücke versucht, über die Telekom einen Telefonanschluss zu bekommen. "Aber dat war nicht möglich”, sagt er. Die Erschließung wäre zu teuer gewesen. Mittlerweile sind sie mobil erreichbar, Internet gibt es über einen Stick. Viel bleibt da nicht übrig vom Aussteiger-Klischee, das Leben hier fühlt sich eher an wie ein ausgedehnter Campingurlaub. Mit den üblichen Problemen einer Wohnungsgemeinschaft. Auch hier sind es immer dieselben, die alles in Schuss halten, erzählt Lücke.

Zwischen sechs und sieben Uhr steht Lücke jeden Tag auf. "Ich bin kein Langschläfer.” Dann gibt es erstmal einen Kaffee, bevor er rüber zu Rudis Wagen geht und klopft, manchmal ist es auch umgekehrt. Dann gibt es nochmal Kaffee und schließlich drehen die beiden mit ihren Hunden eine große Runde. Jeden Tag, bei jedem Wetter, ist gut für die Gesundheit. Danach wird Musik gemacht, oder es kommen Leute vorbei. Gekocht und gegessen wird manchmal gemeinsam. So wie es gerade passt.

Die Idee kommt von den Musiker-Kommunen

"Es ist die Musik, die uns alle verbindet”, sagt Lücke. Er selbst macht seit 1965 Musik, hatte mehrere Bands. Angefangen hat er mit Beat-Musik, dann kam Soul, Rock, Reggea, Jazz, Musiktheater. Lücke hat fast nichts ausgelassen. "Die Idee, so zu leben, kommt aus den 70er Jahren von den Musiker-Kommunen, Bands, die zusammen gelebt und Musik gemacht haben.” Und so haben am Anfang auch seine Bandkollegen mit auf dem Gelände gewohnt. Einmal waren es mal 30 Leute.

Auch Frauen leben mit auf dem Gelände. Lückes Tochter lebt mit ihrer Familie dort. Und vergangene Woche ist Lückes Frau gestorben, Tina. Mit ihr war er 28 Jahre zusammen, sie hat von Beginn an mit ihm in seinen blauen Bus hier gelebt. Tina war jahrelang Bardame im Luxusbordell an der Rethelstraße 75 von Bert Wollersheim. Der Bordell-Besitzer ist ein Kumpel von Lücke.

"So wie ich lebe, wäre es in einer Wohnung nicht möglich”, sagt Lücke. "Hier stören wir niemanden, können mitten in der Nacht einfach Musik machen." Das Herzstück des Geländes ist ein Tonstudio, das Lücke aus drei alten Bauwagen zusammengebaut hat. Es steht immer noch auf Rollen. Drinnen steht Equipment, das man nicht in einem alten Bauwagen vermuten würde. Ein Mischpult, eine Sitzecke mit Ledersofas und einem Flachbildfernseher. Der Aufnahmeraum ist mit Holz verkleidet und mit rotem Teppich ausgelegt. Das ganze Zeug sei irgendwie so bei ihnen gelandet. "Vom Himmel gefallen”, sagt Lücke etwas vage und lacht dabei. Das meiste seien Spenden von Leuten, die den Lebensstil der Künstler unterstützen. So wie zum Beispiel der Fernseher. Wenn irgendwo was übrig bleibt, nimmt Lücke das gerne an.

Und als gelernter Dekorateur hat Lücke sich allerhand Mühe gegeben, dass es drinnen gemütlich ist. "Natürlich leben wir hier lieber mit Stil”, sagt er. Von seinen Reisen nach Indien, Asien und Lateinamerika hat er viele Figuren mitgebracht. An der Wand hängen Holzmasken, auf einem Schrank steht ein Buddha. Flower Power ist nur in der Deko angesagt. Die Decke des Studios ist mit bunten Stoffbahnen mit Blumenmuster verkleidet.

"Das ist ja hier keine Wagenburg”, sagt Rudi. "Wir haben das Gelände kultiviert.” Lücke hat sogar mal einen Teich angelegt mit Kois. Doch die sind in einem Winter erfroren. Man sieht die schwarze Teichplane noch, aus den Ritzen wachsen jetzt Brennesseln und noch mehr Brombeeren. Zwischen den Brennesseln versucht sich ein Igel zu verstecken.

Neben dem Klohäuschen mit Dusche wachsen Tomatenstauden, alles exotische Sorten. "Wir leben hier mitten in der Natur”, sagt Rudi. "Aber wir sind keine Ökos”, ergänzt Lücke. Womit man bei der Frage wäre, als was sie sich eigentlich sehen. Hippies, Aussteiger, Rebellen — das alles wollen sie nicht sein. "Wir sind ja nicht ausgestiegen”, erklärt Rudi.

Damit die Künstler-Kommune auch in der nächsten Generation fortbesteht, will Rudi jetzt Rechtssicherheit für die Kommune, sagt er. Am besten in Form eines Mietvertrags. Und wenn das nicht klappt? "Dann machen wir Revolution”, sagt Lücke und lacht.

(heif)
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