Miriam Koch "Ich war nicht auf Wolke sieben"

Düsseldorf · Die Flüchtlingsbeauftragte Miriam Koch über sinkende Flüchtlingszahlen, die Sicherheitslage und eine neue Runde von Informationsveranstaltungen.

 Miriam Koch wurde 2015 die erste Flüchtlingsbeauftragte der Stadt. Sie ist unter anderem für Unterbringung und Betreuung zuständig.

Miriam Koch wurde 2015 die erste Flüchtlingsbeauftragte der Stadt. Sie ist unter anderem für Unterbringung und Betreuung zuständig.

Foto: Andreas Endermann

Flüchtlingspolitik hat sich zwischen Euphorie und Ernüchterung bewegt. Wie ist Ihr Gemütszustand?

Koch Es stimmt, die Euphorie haben wir im Sommer 2015 auch in Düsseldorf am Hauptbahnhof erleben können. Der Drehkreuz-Betrieb am Fernbahnhof des Flughafens mit den Sonderzügen lief jedoch ohne Besucher ab, da gab es keine Jubelszenen wie andernorts. Ich erinnere mich an einen Comedian, der von einem lange in Deutschland als Arzt arbeitenden Syrer berichtete, der am Münchner Hauptbahnhof mit Kuscheltieren beworfen wurde. So etwas ging mir ohnehin zu weit. Ich war damals nicht auf Wolke sieben und deswegen später auch nicht im Meinungstief oder bin der Panikmache erlegen. Ich bin eine Pragmatikerin und war erfreut, dass die Kooperation vieler Beteiligter in Düsseldorf so gut geklappt hat. Da gab es eine Flexibilität, die man sich auch für andere krisenhafte Situationen wünscht. In anderen Städten sind immer noch Turnhallen mit Flüchtlingen belegt, das war bei uns nur ganz kurz ein Thema.

Wann ist die Stimmung gekippt?

Koch Die Kölner Silvesternacht 2015/'16 war entscheidend. Aber auch der Brand der Lagerhalle an der Messe im Juni vorigen Jahres war ein Desaster. Die Akzeptanz für die vielen Menschen, die aus Kriegs- und Krisengebieten zu uns geflüchtet sind und sich ordentlich verhalten, hat darunter gelitten.

Der Hauptangeklagte aus dem Prozess um die Lagerhalle ist abgeschoben worden. Sie haben gesagt, die Stadt schaue, dass "die Richtigen" abgeschoben würden. Wie sieht es damit aktuell aus?

Koch Wir haben eine enge Kooperation mit der Polizei und dem Ausländeramt. Wer sich strafbar gemacht und sein Aufenthaltsrecht verwirkt hat, muss damit rechnen, rasch in ein Flugzeug gesetzt und in sein Heimatland gebracht zu werden. Intensivtäter, die bei uns in der Unterkunft ankommen und kurz darauf als Straftäter in der Altstadt auffallen, haben die Behörden sofort im Blick. Derzeit handelt es sich laut Polizei um weniger als 20 Personen.

Der Fall Amri hat dazu geführt, dass die Bevölkerung besorgt ist. Wissen Sie, wie viele Kriminelle sich in Düsseldorfer Unterkünften aufhalten?

Koch Ganz wenige, da bin ich sicher. Amri war zudem ein Gefährder. Aktuell liegen uns keine Angaben zu solchen Fällen in Düsseldorf vor.

Wissen Sie denn genau, wer in den Düsseldorfer Unterkünften lebt?

Koch Das schon, es mussten ja viele im Herbst zur Nachregistrierung. Unerfindlich ist aber, warum die Anerkennungsverfahren nach wie vor so lange dauern. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ist sehr träge, die Kommunen wissen nicht, wann sie welche Folgemaßnahmen zur Integration einplanen können. Unser Bundesinnenminister fordert ja gerne Kommissionen, zum BAMF würde sich eine lohnen.

Hat die Hilfsbereitschaft der Bevölkerung abgenommen?

Koch Das würde ich nicht sagen. Wir haben am Anfang um die 3000 Freiwillige gehabt, die sich auf der Internetseite der Stadt gemeldet haben. Hinzu kamen Ehrenamtler bei Wohlfahrtsverbänden und Kirchen. Es gibt nach wie vor viele tolle Initiativen. "Hispi" beispielsweise, ein Projekt für Sprache und Integration an der Lacombletstraße, wo sich mehr als 100 Menschen engagieren, ehemalige Lehrer, Studenten, Berufstätige. Sie starten jetzt das zweite Projekt an der Oberlöricker Straße. Da werden unter anderem Deutschkenntnisse vermittelt und es gibt klare Regeln. Zum Unterrichtsstart wird die Tür geschlossen. Wer zu oft fehlt, darf nicht mehr teilnehmen, es gibt auch eine Scheckkarte mit Daten zum Lernstand. Ich finde das sehr gut, "Hispi" hätte ich am liebsten in jedem Stadtbezirk.

Sie haben früh selbst Daten erhoben, um Qualifikationen der Geflüchteten zu erfassen. Wie klappt es mit der beruflichen Integration?

Koch Unsere Befragung lief in Zusammenarbeit mit dem Integration Point der Agentur für Arbeit und des Jobcenters, der auch die Vermittlung in die Arbeitswelt vornimmt. Der nächste Schritt wäre, dass die nach dem Datenaustauschverbesserungsgesetz gesammelten Daten auf Bundesebene auch den Städten und Gemeinden zugänglich gemacht werden. Dann wird eine effektivere Betreuung möglich. Im Juni findet eine Jobmesse statt, an der 30 Unternehmen und rund 300 potenzielle Bewerber teilnehmen. Da gibt es zuvor Bewerbungstrainings, Mappen werden erstellt. Integration läuft über Sprache, Wohnen und Arbeit.

Finden anerkannte Flüchtlinge in Düsseldorf Wohnungen?

Koch Das ist ein ganz großes Problem. Mehr als die Hälfte der Menschen in unseren Unterkünften, rund 4000, könnten in eine Wohnung umziehen. Wir benötigen dringend mehr preiswerten Wohnraum für Menschen mit niedrigeren Einkommen. Am besten wäre am Ende eine Durchmischung, da leben dann Studenten, Familien oder Alleinerziehende mit den anerkannten Flüchtlingen unter einem Dach.

Wie entwickeln sich die Flüchtlingszahlen?

Koch Wir sind bei etwas unter 7400, im vierten Monat hintereinander sind die Zahlen rückläufig. Es besteht die Möglichkeit, sofern die Entwicklung sich fortsetzt, dass am Ende des Jahres die Zahl unter 7000 rutscht, jedoch könnten aufgrund der weltpolitischen Entwicklungen jederzeit die Zuströme nach Deutschland und damit die Zuweisungen für Düsseldorf wieder steigen. Verbindliche Zahlen zu nennen, ist fast nicht möglich.

Wie sieht es mit den Unterkünften aus? Gibt es überhaupt noch Landesunterkünfte?

Koch Wir haben mehr als 50 Unterkünfte, das Land unterhält keine Einrichtung mehr in der Stadt. Übers Jahr werden die Leichtbauhallen leergezogen. Die Menschen der Itterstraße sind zur Oberlöricker Straße umgezogen, wo Platz für 420 Menschen ist. Dort handelt es sich ebenso um Holzhäuser wie an der Völklinger Straße, wohin die Menschen von der Further Straße ziehen. Dort ist Platz für 320 Personen, am 12. Mai ist Eröffnungsfest. Wir geben zudem die Standorte Am Wald, Borbecker Straße und Bergische Kaserne auf. Es leben auch immer noch 659 Asylsuchende in Hotels, auch dies wollen wir dieses Jahr beenden. Denn dies ist teuer und keine gute Art der Unterbringung. Am besten sind feste Wohnhäuser oder Module mit der Möglichkeit, selbst zu kochen.

Nach anfänglichen Beschwerden ist nicht mehr viel Protest gegen Unterkünfte zu hören.

Koch Wir müssen die Nachbarschaft mitnehmen. In Lörick hatten wir zwei Besichtigungstermine für die Menschen aus der benachbarten Seniorenresidenz. Das kam sehr gut an. Wir planen jetzt Informationsveranstaltungen an den schon länger bestehenden Standorten. Wir möchten wissen, was die Menschen in den Stadtteilen heute denken.

Im Sommer sollen Sie das neue Amt für Integration übernehmen. Wie soll das Amt aussehen?

Koch Erst einmal muss ich den Job ja bekommen. Das Amt selbst soll viele Aufgaben vereinen, die mit Integration zu tun haben, unter anderem wechselt die Ausländerbehörde dorthin, ebenso einzelne Abteilungen aus dem Amt für soziale Sicherung und Integration. Unklar ist, wie das Amt heißen soll - vielleicht DAMF, das würde passen.

UWE-JENS RUHNAU FÜHRTE DAS INTERVIEW

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort