Düsseldorf Musik? Einfach nur Krach

Düsseldorf · Manche Menschen sind unfähig, Musik wahrzunehmen. Eine junge Sprachwissenschaftlerin erforscht diese Störung.

 Sprachwissenschaftlerin Jasmin Pfeifer ist mit ihrer Forschung über "Amusie" eine Pionierin auf dem Gebiet.

Sprachwissenschaftlerin Jasmin Pfeifer ist mit ihrer Forschung über "Amusie" eine Pionierin auf dem Gebiet.

Foto: HHU

Ihre Mutter ist hochmusikalisch, singt im Chor, hört ständig Mozart. Melanie nicht. In den Ohren der 15-Jährigen klingt Musik wie "das Scheppern eines Presslufthammers". Wenn ihre Freundinnen tanzen, sitzt sie am Rand, im Musikunterricht trifft sie keinen Ton, und die wöchentlichen Klavierstunden sind "der Horror". Völlig unmusikalisch. Aber jetzt weiß Melanie, dass mehr dahintersteckt. Dass sie an "Amusie" leidet, an der Unfähigkeit Musik wahrzunehmen. "Man muss sich diese Störung als eine Art Farbenblindheit fürs Gehör vorstellen", sagt Jasmin Pfeifer. Die Sprachwissenschaftlerin ist eine Pionierin, sie gilt als einzige, die an deutschen Unis zu diesem Thema forscht.

Die junge Wissenschaftlerin, die soeben ihre Doktorarbeit abschließt, hatte schon früh ein offenes Ohr für Amusie. Sie ist selbst betroffen von dieser Störung. Kennt deshalb genau das Gefühl, nicht dazu zu gehören, wenn sich zum Beispiel die Mitschüler über Lieblingssongs austauschen und verzückt einer Musik lauschen, während sie selbst ein Scheppern, "einfach nur Krach" hört. Als sie 2008 mit ihrer Forschung begann, existierten gerade mal fünf Publikationen zu dem Thema, ein doppelter Ansporn: "Das war echtes Neuland."

Es dauerte eine Weile, bis sie eine Gruppe von 30 Probanden zusammen hatte, bisherige Studien gehen davon aus, dass vier Prozent der Bevölkerung unter dieser Musiktaubheit leiden, "möglicherweise sind es noch weniger". Ihre Testgruppe hat Jasmin Pfeifer intensiv befragt: Wie wird Musik empfunden, was lösen Tonfolgen aus? "Bei manchen heftige Kopfschmerzen." Sie hat herausgefunden, dass sich die Unfähigkeit Musik wahrzunehmen, bei etlichen Menschen auch auf die Sprache auswirkt, "dass sie Rhythmus oder Satzmelodie zum Beispiel, wenn eine Frage gestellt wird, nicht erkennen".

Bei ihren künftigen Untersuchungen will die Wissenschaftlerin nachweisen, ob Amusie vererbt wird, "einiges spricht dafür". Auch Melanies Vater bezeichnet sich als "absolut unmusikalisch". Zusätzlich zu ihren Befragungen nutzt Jasmin Pfeifer auch technische Möglichkeiten und misst per EEG die Hirnströme. Diese Methode könnte einen Weg in die Zukunft weisen.

Bisher ist "Amusie" nicht therapierbar, eventuell gibt es irgendwann die Möglichkeit, durch Stimulierung bestimmter Hirnregionen den Defekt zu beheben. Doch das ist noch Zukunftsmusik. "Heute ist es für viele Betroffene schon ein großer Gewinn, überhaupt einen Grund für ihre Störung zu kennen", sagt sie. Die Wissenschaftlerin hört inzwischen sogar manchmal Musik, "aber nur mit Text". Auf den konzentriert sie sich, die Töne blendet sie dabei einfach aus.

(ur)
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