Düsseldorfer Geschichte(n) Nach dem Abi als Helfer ins Hospiz

Düsseldorf · Daniel aus Freiburg macht ein Freiwilliges Soziales Jahr im Regenbogenland. Eine Erfahrung, die ihn immer begleiten wird.

 Er lacht gern und liebt es, andere zum Lachen zu bringen. Wenn ihm das bei seinen Schützlingen im Regenbogenland gelingt, ist das für FSJler Daniel Hengel ein Geschenk.

Er lacht gern und liebt es, andere zum Lachen zu bringen. Wenn ihm das bei seinen Schützlingen im Regenbogenland gelingt, ist das für FSJler Daniel Hengel ein Geschenk.

Foto: Andreas Endermann

Er ist gerade erst 19 geworden. Er ist gesund und intelligent, hat zwei ebensolche Geschwister und auch noch alle Omas und Opas, und er liebt es, andere zum Lachen zu bringen. Warum geht so ein Teenager nach dem Abitur nicht wie die meisten seiner Mitschüler auf Reisen, sondern für ein Jahr ins Kinderhospiz Regenbogenland? "Weil es mich weiterbringen wird", hat Daniel Hengel vorher gehofft. Jetzt, nach einem Dreivierteljahr, ist er sicher: Diese Hoffnung hat sich erfüllt.

Dass er nach dem "Turbo-Abi" nicht gleich studieren, sondern ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) einlegen würde, war irgendwie immer schon klar. Sein Bruder hat das gemacht, in einem Krankenhaus, und seine Schwester in einem Armenkrankenhaus in Peru. "Unsere Familie ist sehr sozial", sagt Daniel. Außerdem sei so ein FSJ "auch gut für die charakterliche Entwicklung. Mit 18 sind wir vielleicht erwachsen. Aber noch lange nicht fertig."

Seine Mutter, die als Pfarrerin die soziale Prägung mitverantwortet, hatte ihm einen Bericht über einen Jugendlichen gezeigt, der sein Soziales Jahr in einem Kinderhospiz in Hamburg machte. Nach der Lektüre stand für Daniel, der ohnehin am liebsten mit Kindern arbeiten wollte, fest: "Das mache ich auch." So sicher war er, dass er sich erst gar nicht an die verschiedenen FSJ-Anbieter, sondern direkt an mehrere Kinderhospize wandte. "Die Hoffnung, dass ich es mit ehrenamtlicher Arbeit schaffe, einem Kind [...] ein Lächeln abzugewinnen und hoffentlich seine Zeit im Hospiz schön zu gestalten, lässt mich weiterhin an diesem Wunsch festhalten", schrieb er daheim in Freiburg unter anderem ans Regenbogenland.

Er hätte auch nach Berlin gehen können, aber da siegte die Vernunft. "Mit 18 das erste Mal von zuhause weg und dann gleich ein ganzes Jahr in Berlin - das hätte mich überfordert", glaubt er. Auch das Hospiz in Wilhelmshaven schied aus, obwohl er sich bei einem Kurzpraktikum zwischen den Abiturklausuren dort sehr wohlgefühlt hat. Und das FSJler-Taschengeld von 320 Euro hätte an der Nordsee auch für eine Wohnung gereicht. Aber die große Entfernung von der Familie in Freiburg schreckte ihn am Ende ab - zum Glück fürs Regenbogenland.

Dort schätzt man den fröhlichen FSJler sehr, weil er engagiert und hilfsbereit ist, und weil er schnell einen Draht zu den Kindern gefunden hat, um die sich im Hospiz alles dreht. Daniels Familie ist oft umgezogen, er kennt das, irgendwo neu anzukommen und "dabei habe ich gelernt, auf Menschen zuzugehen". Das merken die Kollegen, und die Kinder spüren es auch. Daniel hilft beim Waschen und Anziehen, füttert oder reicht das Essen an, er geht mit seinen Schützlingen spazieren, spielt mit ihnen oder verbringt mit ihnen Zeit im Snoezelraum.

Dieser abgedunkelte Raum mit seinen gemütlichen Sitzlandschaften, dem Wasserbett und der Hängematte, mit den sphärischen Klängen und Lichteffekten ist einer von Daniels Lieblingsplätzen im Haus. Den Namen haben zwei holländische Zivildienstleistende in den 70er Jahren für das Konzept erfunden, das dazu dient, Reize zu stimulieren und zu ordnen, Erinnerungen zu wecken und Ängste zu bekämpfen. Die Wortschöpfung aus den niederländischen Begriffen für Kuscheln und Dösen hat sich wie die Idee auch in den deutschen Hospizen durchgesetzt. Im Regenbogenland nutzen ihn oft auch die Eltern und Geschwister lebensverkürzend erkrankter Kinder.

Als Daniel sich für sein Soziales Jahr entschied, war ihm gar nicht so klar, dass die Arbeit im Kinderhospiz auch die mit den Familien sein würde. Überhaupt ist ihm vieles erst in den ersten Praktika bewusst geworden. "Ich hatte irgendwie gedacht, hier kommen Kinder her, die nach wenigen Wochen sterben - aber so ist es eben nicht." Viele der kleinen Gäste kommen immer mal wieder ins Regenbogenland, etwa, wenn die Familien eine Pause brauchen, um Kraft für den Alltag zu tanken. Geschwister treffen sich hier, und eben auch die Eltern, die sich oft nur hier verstanden fühlen.

Auch vom neuen FSJler. Der hatte, gibt Daniel zu, nicht wirklich damit gerechnet, dass im Kinderhospiz so viel gelacht wird. Seine Freunde stellen sich seinen Arbeitsplatz immer noch so vor, als einen düsteren, traurigen Ort mit schwerstkranken Kindern und gramgebeugten Eltern. Dabei ist es "so ein warmes, fröhliches Haus", sagt Daniel. Und die Familien, die er hier trifft, sind alles andere als gramgebeugt. Im Gegenteil. Immer wieder ist Daniel beeindruckt, wie positiv viele Eltern trotz eines schweren Schicksalsschlages sind. "Man merkt schon manchmal, dass diese Familien stärker beansprucht sind als andere. Aber bei uns sind sie das nicht. Wir können ihnen helfen, weil wir wissen, wie es ihnen geht."

Auch Daniel kann es inzwischen zumindest erahnen. Einer seiner frühen Schützlinge ist im Hospiz gestorben. Von den Kollegen hat er gelernt, damit umzugehen. "Die Gewissheit, dass ich dazu beitragen konnte, dass es dem Kind hier gut gegangen ist, dass es schöne Tage hatte, die hilft mir sehr." Und natürlich seine Familie und seine Freunde, mit denen er über seine eigene Traurigkeit sprach.

Seine wichtigste Erkenntnis aus dem Regenbogenland? "Dass es mir gut geht. Dass ich alle Möglichkeiten habe", sagt Daniel. Das hat er früher ein bisschen für selbstverständlich gehalten. Im Kinderhospiz hat er verstanden, "wie klein manche Probleme sind". Und er findet die "Gesundheitswünsche" auf Geburtstagskarten nicht mehr doof wie früher. Natürlich ist er mit seinen 19 Jahren auch noch ein Teenager, der an die eigene Unverwüstlichkeit glaubt - aber einer, der mit seinen Eltern über das Thema Patientenverfügung diskutiert.

Nachdenklicher sei ihr Jüngster geworden, das fällt vor allem Daniels Mutter auf. Der empfindet eine andere Veränderung viel stärker: Nicht dass er früher unzufrieden gewesen wäre, aber "eine sinnvolle Aufgabe zu haben, und dafür von seinen Schützlingen so viel Freude und Herzlichkeit zurück zu bekommen, das schafft eine ganz andere Art von Zufriedenheit". Und Geduld, die hat er früher nicht gehabt. Auch das hat sich geändert. Wenn er eins der Kinder füttert, dann kann eben schon mal eine Stunde vergehen, bis ein halbes Brötchen aufgegessen ist.

Dass er verantwortungsbewusster geworden ist, hängt nicht nur mit dem Regenbogenland zusammen, sondern auch damit, dass Daniel zum ersten Mal auf eigenen Beinen steht, neben dem Schichtdienst im Hospiz seinen eigenen kleinen Haushalt in einer siebenköpfigen WG versorgen muss. In Düsseldorf hat er sich schnell zurechtgefunden, schon, weil einer der früheren Familienumzüge schon hierher geführt hatte. In Vennhausen ist Daniel eingeschult worden, in Benrath kam er aufs Gymnasium, und so hatte er nun das Glück, in der neuen alten Stadt seinen besten Freund und viele alte Bekannte wieder zu treffen, mit denen er seine Freizeit verbringt, am liebsten beim Doppelkopf.

Daniel ist der sechste FSJler im Kinderhospiz an der Torfbruchstraße. "Wir machen das noch nicht so lange", sagt Melanie van Dijk, "aber seit wir FSJler haben, suchen wir ganz bewusst junge Männer." Weil es eine gute Gelegenheit ist, ihnen die Tür in einen Bereich zu öffnen, den sie sonst womöglich nie kennenlernen würden. Einmal hat's schon geklappt, da hat der freiwillige Helfer alle vorherigen Ideen über Bord geworfen und lässt sich nun zum Pfleger ausbilden.

Das wird bei Daniel nicht passieren. Der muss sich bis zum Monatsende um einen Studienplatz bewerben und schwankt noch zwischen Medizin und BWL. Wirtschaft, sagt er, war schon in der Schule sein Lieblingsfach.

Wofür er sich auch entscheiden wird: Eine Familie zu gründen, steht fest in seinem Lebensplan. Auch wenn ihm im Kinderhospiz sehr deutlich geworden ist, was alles passieren kann. Gerade deshalb, sagt Daniel. "Wenn man das weiß, kann man alles bewusster genießen."

(RP)
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