Düsseldorf Nichts für Mädchen

Düsseldorf · Wenn die Deadly Darlings zum Roller-Derby auflaufen, sieht das gefährlich aus, endet aber meist mit Umarmungen.

Roller-Derby: Die Deadly Darlings aus Düsseldorf
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Roller-Derby: Die Deadly Darlings aus Düsseldorf

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Wenn das kein Krieg sein soll, warum sieht es dann wie Krieg aus? Zehn junge Frauen auf Rollschuhen, über-, unter- und nebeneinander in einem Pulk, ein einziges Stolpern und Fallen und Ellbogen ausfahren. Und die Bilanz soll tatsächlich nur eine blutende Nase und viele blaue Flecken sein? Dieses Roller-Derby ist schon ein denkwürdiger Sport.

An einem Samstagabend macht Unterrath einem das Einschlafen normalerweise einfach. Doch in der Halle des TuS Nord an der Eckenerstraße läuft: Punkrock. Heute ist Spieltag, heute ist Roller- Derby. Heute treffen die Mannschaften der Deadly Darlings aus Düsseldorf und der Rolling Zombie Dolls aus dem belgischen Tournai aufeinander. Türkis gegen Schwarz. Auf der Spielfläche fahren sich junge Frauen in Rollschuhen in einem Oval warm. Keine Inline-Skates, sondern diese längst in Vergessenheit geratenen Rollschuhe. Für die nächsten Stunden heißen sie nicht Silke oder Melanie, sondern Kamikaze Queen oder Panzerfee oder Rocket Ladybird. Je martialischer, desto besser. Sie tragen Helme und Ellbogenschoner und Handgelenkschoner und Knieschoner, und wenn eine von ihnen den Mund aufreißt, blitzt auch ihr Mundschutz auf. Unter ihrer Schutzkleidung tragen sie enge Hosen, Leggins, Strumpfhosen, Röcke. Viele haben sich tätowieren lassen, die Augen sind dunkel geschminkt. Auf den Rängen sitzen viele Zuschauer, es werden immer mehr, am Ende sind es beinahe 150. Das Publikum ist so alternativ und tätowiert wie die Sportlerinnen. Spielerinnen, die man sonst selten in Sportvereinen findet, werden gefeiert von Menschen, die sich normalerweise keine Sportveranstaltungen ansehen.

Die Deadly Darlings sind die einzige Roller-Derby-Mannschaft Düsseldorfs. Gegründet im August 2012, Training ist jeden Samstag. Männer dürfen nur als Trainer oder Maskottchen ran. Der Sport wird von Frauen dominiert. Was auch damit zu tun hat, dass er Ende der 90er Jahre in den USA vor allem von Feministinnen wiederbelebt wurde, nachdem er Anfang der 70er in der Versenkung verschwunden war. Bis auch Europa von dem Revival erfuhr, war es bereits 2006. Eine Bundesliga hat sich in Deutschland gerade erst gegründet, die Darlings wollen dort aber noch nicht antreten.

Die Krake führt die Düsseldorferinnen aufs Feld. Die Krake, das ist Maskottchen Dennis Reinholz, er trägt ebenfalls Rollschuhe. Die Spielerinnen fahren ihm so lange hinterher, bis alle vorgestellt und mit Applaus bedacht worden sind, die Belgierinnen sind bereits eingelaufen. Zehn von ihnen versammeln sich dann an der Längsseite und warten auf den Anpfiff des Schiedsrichters. Doch weil gleich etwas ausbricht, was nur so aussieht wie Krieg, und weil sich das alles nicht so leicht erschließt wie Fußball, erklärt die Moderatorin, was die nächsten zwei Stunden passieren wird.

Die Grundprinzipien von Roller- Derby sind einfach, die Details aber füllen dicke Regelbücher. Zwei Teams treten in zwei Hälften von je 30 Minuten gegeneinander an, die wiederum unterteilt sind in so genannte Jams von höchstens zwei Minuten. Jedes Team schickt fünf Spielerinnen aufs Feld, eine von ihnen ist die Jammerin, die Frau, die die Punkte holt. Ihre Aufgabe ist es, die Gegner zu überholen, für jede Überholung gibt es einen Punkt. Um das zu verhindern, schließen sich die Gegner zusammen und setzen ihre Körper ein. "Man darf kein Problem damit haben, jemandem wehzutun", sagt Silke Wirschinger von den Deadly Darlings.

Da fängt es an, kompliziert zu werden. Sie dürfen nur Schultern, Hüften, Oberarme, Oberschenkel, Po und Oberkörper einsetzen und treffen dürfen sie nur Schultern, Arme, Hände, Seiten, Oberkörper, Hüfte und Oberschenkel. Wer sich nicht daran hält, muss für 30 Sekunden auf die Strafbank. Weil es noch viel mehr zu beachten gibt, gibt es sieben Schiedsrichter auf Rollschuhen und weitere Offizielle.

Weil wir aber alle nur zwei Augen haben, erscheint dem Neuling die Zeit nach dem Anpfiff wie Chaos. Stolpern, Rempeln, Fallen, und dann Jubel aus einem der beiden Fanlager. Die Deadly Darlings geraten schnell ins Hintertreffen, zur Halbzeit steht es bereits 44:116, das Team von Trainer Bastian Blumental, ein 35-Jähriger mit Pferdeschwanz und Bäuchlein, hat kaum noch Chancen auf den Sieg.

Im Laufe der zweiten Halbzeit wird einiges klar. Zum Beispiel, dass es deshalb so viele Regeln gibt, um Verletzungen zu vermeiden. Zum Beispiel, dass die Spielerinnen zwar bereit sein müssen, dem Gegner wehzutun, aber das nicht Ziel des Spiels ist. Der Gegner darf bloß nicht vorbei, und es tut leider manchmal weh, wenn man auf dem Hallenboden landet. Trotzdem aber gibt es keine Aggressionen. Niemand brüllt den anderen an, niemand beschwert sich über eine Schiedsrichter-Entscheidung. Als eine Belgierin mit Nasenbluten auf dem Boden liegt, knien sich alle Spielerinnen aus Respekt hin.

Wer am Ende gewinnt, ist dritt- bis viertrangig. Die Düsseldorferinnen unterliegen deutlich mit 105:235. Aber das scheint bereits drei Sekunden nach dem Abpfiff vergessen zu sein. Gegnerinnen umarmen sich, wählen gegenseitig die beste Spielerin und kommen für ein Foto mit allen Beteiligten zusammen.

Silke Wirschinger alias Kamikaze Queen grummelt noch kurz über die Niederlage, die siebte im achten Spiel. "Wir haben die Ärsche nicht zusammengehalten", analysiert sie, während sie auf dem Hallenboden sitzt. Dann aber ruft sie einem Bekannten zu: "Warum kriege ich eigentlich kein Bier?"

(RP)
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