Brutale Kantholz-Attacke in Düsseldorf Notwehr - was ist erlaubt?

Düsseldorf · Wie kam es dazu, dass in Düsseldorf ein offenbar angetrunkener Mann von einem Jugendlichen mit einem Kantholz niedergeschlagen wurde? Der mutmaßliche Täter spricht von Notwehr. Den Fall aufzuklären, wird nicht leicht sein - es fehlen nicht nur Zeugen, auch der Tatbestand der Notwehr ist kompliziert.

Der 44 Jahre alte Italiener Massimiliano L., der am Wochenende in Düsseldorf von einem Jugendlichen mit einem Kantholz schwer verletzt worden war, schwebt noch immer in Lebensgefahr. Er hatte sich in der Straßenbahn mit drei Jugendlichen wegen angeblich zu lauter Musik gestritten.

Er habe aggressiv und angetrunken gewirkt, berichteten später die jungen Leute der Polizei. Als sie aus der Bahn ausgestiegen seien, habe der Mann einen von ihnen mit einem Gürtel auf den Rücken geschlagen. Dieser 17-jährige Jugendliche hatte jedoch ein Kantholz in der Hand, das er nach eigenen Angaben an seinem Sitz in der Straßenbahn gefunden hatte. Der Straßenbahnfahrer hat bestätigt, dass ein Fahrgast das Holzstück dort liegen gelassen habe.

Mit diesem Kantholz schlug der 17-Jährige zweimal auf den Italiener ein — einmal auf die Rippen und einmal auf den Kopf. Massimiliano L. sank zu Boden; die Ärzte stellten bei ihm einen Schädelbruch fest. Die Polizei ermittelte zunächst wegen eines versuchten Tötungsdelikts.

Tags darauf stellten sich die drei Jugendlichen und erschienen mit ihren Eltern auf der Polizeiwache. Es habe sich um Notwehr gehandelt, beteuerten sie. Dies aufzuklären, wird nicht leicht sein. Noch ist nicht bekannt, ob es Zeugen des Streits in und außerhalb der Straßenbahn gibt. Die Kripo Düsseldorf ermittelt offenbar inzwischen in beide Richtungen — gegen die Jugendlichen und gegen den Italiener. Schließlich habe der Mann die drei Jungen bedroht, heißt es. "Man darf sich gegen jeden Angriff, gegen jede gefährliche Körperverletzung wehren", so Staatsanwalt Christoph Kumpa.

"Es kommt immer auf den Einzelfall an"

Er bezieht sich auf Artikel 32 des Strafgesetzbuches (StGB), der Notwehr als die Verteidigung definiert, "die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden" (siehe Info-Kasten). Doch so eindeutig sich das auch anhören mag — "es kommt immer auf den jeweiligen Einzelfall an", betont das NRW-Justizministerium.

Erst am 15. Juli hat das Oberlandesgericht (OLG) Hamm dazuein wegweisendes Urteil erlassen: Ob die Verteidigungshandlung im Sinne von Paragraf 32 StGB erforderlich sei, "hängt im Wesentlichen von Art und Maß des Angriffs ab. Dabei darf sich der Angegriffene grundsätzlich des Abwehrmittels bedienen, das er zur Hand hat und das eine sofortige und endgültige Beseitigung der Gefahr erwarten lässt.". Das Gericht stellt zugleich klar, dass es sich dabei auch um den Einsatz lebensgefährlicher Mittel handeln kann (in dem vorliegenden Fall ging es um einen Schlag mit einem Bierglas gegen den Kopf).

Ein Einsatz solcher lebensgefährlicher Dinge kann laut OLG zwar "nur in Ausnahmefällen in Betracht kommen und darf auch nur das letzte Mittel der Verteidigung sein". Doch sei der Angegriffene "nicht genötigt, auf die Anwendung weniger gefährlicher Verteidigungsmittel zurückzugreifen, wenn deren Wirkung für die Abwehr zweifelhaft ist". Auf einen Kampf mit ungewissem Ausgang brauche sich der Angegriffene nicht einzulassen, betonen die Richter. Und weiter: "Bei mehreren Einsatzmöglichkeiten des vorhandenen Abwehrmittels hat der Verteidigende nur dann das für den Angreifer am wenigsten gefährliche zu wählen, wenn ihm Zeit zum Überlegen zur Verfügung steht und durch die weniger gefährliche Abwehr dieselbe, oben beschriebene Wirkung erzielt wird."

Frage der Verhältnismäßigkeit

Im Fall einer akuten Bedrohung bleibt vermutlich keine Zeit zum Abwägen. Ja, die Abwehr dürfte nicht selten alles andere als "verhältnismäßig" sein. Doch wenn aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken Grenzen überschritten werden, bleibt dies nach § 33 StGB ebenfalls straffrei. Anders verhält es sich, wenn sich das Opfer aus Wut oder Kampfeseifer zu einem "Notwehrexzess" hinreißen lässt und etwa auf einen bereits am Boden liegenden Angreifer immer wieder eintritt.

Unverhältnismäßig und daher strafbar wäre es auch, wenn ein Gartenbesitzer zur Schusswaffe greifen würde, um Obstdiebstahl zu verhindern. Ob man auf einen Einbrecher schießen darf, gilt unter Juristen als umstritten. Auch hier kommt es auf den Einzelfall an. Ist der Dieb bereits auf der Flucht, wäre ein Schuss sicherlich rechtlich anders zu bewerten, als wenn der ertappte Einbrecher Anstalten machte, den Hausherrn zu attackieren. Die Kripo rät in solchen Fällen ohnehin, nicht den "Helden" spielen zu wollen, sondern die Polizei zu benachrichtigen.

Notwehr wichtiges Thema bei Polizei

Für die Polizei spielt das Thema Notwehr eine große Rolle. Natürlich darf sie ihre Schusswaffen einsetzen, um Täter angriffs- oder fluchtunfähig zu machen. Auf Drängen der Polizei wurde 2010 der "finale Rettungsschuss" ausdrücklich im NRW-Polizeigesetz verankert. Diese Präzisierung soll den Polizeibeamten mehr Rechtssicherheit bringen. Der "finale Rettungsschuss" darf aber nur das letzte Mittel sein, wenn andere Abwehrversuche ausscheiden. Nach Angaben der Innenministerkonferenz (IMK) haben im vergangenen Jahr in Deutschland in 36 Fällen Polizisten auf Menschen geschossen, davon 35 Mal in lebensbedrohlichen Situationen und ein Mal, um die Flucht eines Schwerverbrechers zu vereiteln. In den 36 Fällen gab es acht Tote und 20 Verletzte.

Der Düsseldorfer Rechtsanwalt Günter Keisers erinnert sich, dass vor etlichen Jahren in der Landeshauptstadt ein Jäger vor Gericht Notwehr geltend machen wollte. Der Mann hatte abends Geräusche an seiner Wohnungstür gehört. Er riss sie auf und setzte dem vermeintlichen Eindringling, der offenbar in betrunkenem Zustand die falsche Tür hatte aufschließen wollen, mit der Waffe nach. Ein Schuss fiel, der den Betrunkenen tödlich verletzte. Das sei keine Notwehr gewesen, entschied das Gericht. Der Jäger kam hinter Gitter.

(RP)
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