Expertin über Kinderarmut in Düsseldorf Oft scheitert es schon an der Fahrkarte für den Bus

Düsseldorf · Nirgends in NRW gibt es so viel Kinderarmut wie im Regierungsbezirk Düsseldorf. Ute Dröge ist Armutsexpertin der Diakonie. Im Gespräch erklärt sie, welche Familien hauptsächlich betroffen sind und wie sich die Armut im Alltag der Kinder niederschlägt.

 In Deutschland ist die Kinderarmut nach einer neuen Untersuchung gestiegen (Symbolbild).

In Deutschland ist die Kinderarmut nach einer neuen Untersuchung gestiegen (Symbolbild).

Foto: dpa, ppl;cse dbo lof

Frau Dröge, wie viele in Armut lebenden Familien in Düsseldorf betreuen Sie denn?

Ute Dröge Wir betreuen derzeit 100 Familien, von denen die meisten von Hartz IV leben. Nur ein verschwindend geringer Teil arbeitet.

 Ute Dröge ist Sachgebietsleiterin der kultursensiblen Familienhilfe und Familientherapie der Diakonie in Düsseldorf.

Ute Dröge ist Sachgebietsleiterin der kultursensiblen Familienhilfe und Familientherapie der Diakonie in Düsseldorf.

Foto: Ute Dröge

Laut einer Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) ist Düsseldorf die Hochburg für Kinderarmut in NRW. Die Gründe dafür liegen laut den Autoren in der Flüchtlingswelle, aber auch darin, dass der Arbeitsmarkt in Düsseldorf schlecht ist. Deckt sich das mit Ihrer Erfahrung?

Dröge Wir betreuen derzeit nur drei Flüchtlingsfamilien. Aber das liegt daran, dass nicht jede Flüchtlingsfamilie auch Hilfe vom Jugendamt bekommt — und nur in deren Auftrag werden wir aktiv. Trotzdem bekomme ich auch viel aus Flüchtlingsunterkünften mit und kann sagen, dass diese Kinder wirklich fast immer betroffen sind, denn diese Familien leben quasi durchweg von Hartz IV.

Das heißt aber, dass 97 Familien, die sie betreuen, keine Flüchtlinge sind. Welche Probleme stellen sich dort?

Dröge Die größte Gruppe sind alleinerziehende Frauen. Das ist ein sehr großer Risikofaktor für Armut. Insbesondere wenn die Frauen mehr als ein Kind haben. Als nächstes ist Langzeiterkrankung ein großes Problem und als drittes die Bildung und Ausbildung der Familienmitglieder. Oftmals sind die Personen mit ihrem Wissensstand auf dem Arbeitsmarkt einfach nicht mehr vermittelbar. Und dann kommen noch die hohen Preise in Düsseldorf hinzu.

Wie meinen Sie das?

Dröge Ich ärgere mich zum Beispiel über die hohen Preise der Fahrgeschäfte auf der Kirmes. Das kann sich keine Hartz-IV-Familie leisten. Das gleiche gilt für Schwimmkurse. Die Kosten in Düsseldorf liegen bei 100 Euro pro Kurs. Für viele ist das nicht bezahlbar, erst recht, wenn sie mehrere Kinder haben. Im Sommer bedeutet das aber Ausgrenzung für die Kinder, weil sie nicht mit an den See oder ins Schwimmbad gehen können. Sie sitzen stattdessen alleine zu Hause. Den Kummer darüber hören wir hier oft — und versuchen, den Kurs dann über Spenden zu finanzieren. Ein anderes Problem sind die Kosten für die öffentlichen Verkehrsmittel.

Inwiefern?

Dröge Es kommt immer wieder vor, dass wir Kindern das Bahnticket finanzieren müssen. In einem Fall hätte es sonst nicht zum Fußballverein gehen können. Der Verein kostet nicht viel, aber das Kind muss ja auch hinkommen. Das können sich viele Familien nicht leisten. Und wir reden von 35 Euro, die ein Monatsticket für Kinder kostet.

Wie viel Geld hat eine Familie denn mit Hartz IV für ein Kind zur Verfügung?

Dröge Bis zum 6. Lebensjahr sind das 237 Euro. Zwischen 6 und 14 Jahren sind es 291 Euro und zwischen 14 und 18 sind es 311 Euro. Allerdings wird von diesem Geld noch das Kindergeld abgezogen.

Das Kindergeld wird abgezogen?

Dröge Ja. Viele wissen das nicht. Für das erste Kind gibt es 197 Euro Kindergeld. Die muss man aber beispielsweise auf die 291 Euro für sein 6 Jahre altes Kind anrechnen. Also 291 minus 197, bleiben 97 Euro übrig, die dann zusätzlich zum Kindergeld gezahlt werden. Bleiben also in diesem Fall am Ende 291 Euro — und nicht wie man meinen könnte 488 Euro.

Und davon muss für das Kind alles bezahlt werden? Vom Essen über die Kleidung bis zu den Schulsachen?

Dröge Genau. Ein 6 Jahre altes Kind hat 291 Euro zur Verfügung. Das ist nicht viel. Vor allem, wenn die Einschulung ansteht, und ein Tornister, ein Mäppchen und spezielle Schulordner gekauft werden müssen. Wir haben das mal ausgerechnet. Die Einschulung kostet für ein Kind 140 bis 150 Euro, weil alleine der Tornister 80 bis 100 Euro kostet. Vom Jobcenter bekommen die Familien aber nur 70 Euro Unterstützung.

Warum ist es wichtig, dass alle Kinder gleich ausgestattet sind?

Dröge Abgesehen davon, dass sie das Schulmaterial brauchen, hat es vor allem etwas damit zu tun, Chancengleichheit zu schaffen. Und die beginnt in der Grundschule. Die Erfahrung zeigt immer wieder, dass Kinder aus Hartz-IV-Familien schon in der Grundschule etikettiert werden. Auch viele Lehrer sagen dann, dass wird ohnehin nichts, weil die Grundlagen nicht da sind.

Welche Schulen besuchen die Kinder aus den Familien, die Sie betreuen?

Dröge Fast alle gehen in die Haupt- oder in die Förderschule. Wir sind schon froh, wenn es mal eines in die Gesamtschule schafft.

Merken die Kinder, in welcher Situation sie sich befinden?

Dröge Auf jeden Fall. Sie werden dadurch ja gesellschaftlich ausgegrenzt. Zum einen, weil sie viele Dinge nicht machen können, die andere Mitschüler machen. Zum anderen, weil sie auch andere Kleidung tragen. Sie sind nicht hipp, gehören schon optisch nicht richtig dazu. Für Kinder ist das eine ungeheure Belastung.

Essen fehlt nicht?

Dröge Essen kaufen sie billig ein. Das führt dazu, dass es immer wieder zu Übergewicht kommt, weil sie nicht so gesund essen. Aber das merken die Kinder nicht. Sie sehen nur, dass Essen auf den Tisch kommt.

Was müsste sich in Düsseldorf ändern, damit sich die Situation dieser Kinder verbessert?

Dröge Es müsste mehr auf Chancengleichheit geachtet werden. Konkret bedeutet das, dass sie zum Beispiel in Sachen Computerzugang mehr Möglichkeiten bekommen als 15 Minuten am Gemeinschaftsrechner. Das ist nichts im Vergleich zu einem Kind, das einen eigenen Computer hat. Außerdem bin ich für ein kostenloses gesundes Frühstück in der Schule. Das würde sehr helfen. Und die öffentlichen Verkehrsmittel sollten für Kinder kostenlos sein. Ich glaube, das sind Maßnahmen, die sich eine Stadt auch leisten kann.

Das Gespräch führte Susanne Hamann.

(ham)
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