Heimatreport Knittkuhl Parken Sie doch einfach schräg

Düsseldorf · Der jüngste Düsseldorfer Stadtteil fällt vor allem durch seine Unauffälligkeit auf. Und durch seine besonderen Parkschilder.

 Knittkuhl ist Düsseldorfs Jubiläums-Stadtteil. Für Freunde des kniffeligen Parkens hier ein Beispiel aus der dortigen Siedlung.

Knittkuhl ist Düsseldorfs Jubiläums-Stadtteil. Für Freunde des kniffeligen Parkens hier ein Beispiel aus der dortigen Siedlung.

Foto: Lorentz

Ich gehe hier nicht weg, ehe ich ein Schild gefunden habe, auf dem steht, dass ich meinen Wagen auch längs parken darf. Ich gehe hier nicht weg, bevor ich nicht mindestens einen Sommer lang auf Helges traumhafter Terrasse mit Blick ins Grüne Weißwein gesüffelt habe. Ich gehe hier nicht weg, bevor ich stricken gelernt habe. Kurzum: Ich gehe hier nicht weg!

Ich bin in Knittkuhl. Jenem Stadtteil, der unter dem Namen Hasselberg-Schwarzbach zu Mettmann gehörte, ehe er 1975 im Zuge der Gebietsreform Düsseldorf zugeschlagen wurde, genauer gesagt dem Stadtteil Hubbelrath, von dem er sich 2014 trennte, um selbstständig zu sein. Weshalb Knittkuhl nun Düsseldorfs jüngster Stadtteil ist, und dann auch noch der fünfzigste, sozusagen der Jubiläumsstadtteil.

Patriotismus liegt ja weltweit im Trend. Allenthalben wollen die Menschen austreten, sich abspalten und unabhängig machen. Im Falle von Knittkuhl, das von weitläufigen Wiesen, Hügeln und Kornfeldern umringt ist, lässt sich die Unabhängigkeit von Hubbelrath damit begründen, dass Hubbelrath satte acht Kilometer entfernt ist. Es liegen vielleicht nicht Welten zwischen Hubbelrath und Knittkuhl, aber Wiesen und Weiten. Gleichwohl stellt sich die Frage: Was hat die Abspaltung eigentlich gebracht? Wem hat sie genützt?

Das Erste, was auffällt, wenn man durch die Straße "Am Püttkamp" spaziert, ist, dass nichts auffällt. Das Auffälligste an Knittkuhl dürfte seine Unauffälligkeit sein. Die Straße "Am Püttkamp" hat die Form eines Hufeisens und liegt in einer Wohnsiedlung. Gepflastert mit kleinen Waschbetonsteinen, ist sie von Einfamilienhäusern und Mietwohnungsblöcken, wie man sie in den sechziger Jahren gebaut hat, gesäumt. Reihenweise Garagen mit Vorplätzen. Vorgärten mit Dutzenden Metern von Jägerzäunen. Vogelgezwitscher. Das Rauschen des Windes in den Kronen der Ahörner. Mittagszeit, kaum jemand unterwegs. Das Restaurant "da Franco" ist geschlossen, die Kunststoff-Jalousien sind heruntergelassen. Hinter einer Jalousie steht wohl ein Fenster offen - zu hören ist die klare Stimme eines TV-Nachrichtensprechers und plötzlich ein männliches Husten, das nach 50 Jahren Zigarettenrauchen klingt. Neben der Apotheke befand sich mal ein Supermarkt, heute ist er verwaist. Auf dem Rasen vor einem Mietshaus ein Info-Schaufenster, auf dem "CDU Hubbelrath" steht. Das Schaufenster ist leer. Gegenüber das Haus des Vereins "Kulturfreunde Knittkuhl" - verschlossen. Daneben der Sportverein - Sommerpause.

Ich liebe Wohnsiedlungen. Es gibt nichts Unspektakuläreres. In einer Zeit, in der man sich vor schlechten Nachrichten kaum retten kann, gibt es, finde ich, nichts Gesünderes, als das Unspektakuläre, Alltägliche zu feiern, das sowieso heillos unterschätzt wird. Ich blende die schlechten Nachrichten neuerdings aus, ich höre einfach nicht mehr hin. Ich habe keine Lust mehr, am Tropf von schlechten Nachrichten zu hängen, weil, wer dauernd am Tropf von schlechten Nachrichten hängt, irgendwann selbst zum Tropf wird. Und deshalb Knittkuhl, wo das Spektakuläre, falls man es so nennen möchte, in etwas so Harmlosem besteht wie zum Beispiel darin, dass es hier Parkschilder gibt, wie ich sie noch nie gesehen habe. Auf einem steht die Anweisung "Schrägparken". Auf einem anderen "Querparken". "Längsparken" habe ich zwar noch nicht gefunden. Dafür aber auf einem Auto einen Aufkleber mit den Buchstaben "HRRDN", was für Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation steht. Ein Werbeaufkleber für die Mittelalterzeitschrift "Karfunkel". Das Abseitige - im Verborgenen blüht es am schönsten.

Als ich Heide Opitz traf, war ich schon mindestens eine Stunde zu Fuß unterwegs. Heide Opitz, die Anfang siebzig ist, aber wie Anfang sechzig aussieht, zog auf einem Gehweg am Püttkamp ein Paket auf einem Trolley hinter sich her. Ich sprach sie an. Sie erzählte, dass sie 36 Jahre lang in Mülheim an der Ruhr einen Strickmodeladen geführt habe und schon seit 45 Jahren in Knittkuhl, beziehungsweise den Vorgängerstadtteilen, wohne. "Es ist so friedlich hier. Ohne jeden Stress." Es gebe ein Ärztehaus. Eine Apotheke. Zum Einkaufen fahre sie nach Gerresheim. "Viele Kinder. Eine Schule. Hier gibt es alles. Nur nichts zu essen." Sie lachte. Was die Abspaltung von Hubbelrath gebracht habe? "Ich kann keine Vorteile erkennen. Das ist unter den Einwohnern auch kein großes Thema", sagte sie. Und dann: "Vielleicht ist es so, dass Knittkuhl als Knittkuhl erkannt sein wollte." Heide Opitz trägt ihren Teil dazu bei, dass der Stadtteil ein eigenes Gesicht bekommt. Sie gründete einen Strickkreis, der sich im evangelischen Gemeindehaus, wo es auch ein "Lesecafé" gibt, trifft. Das mit dem Strickkreis hat meiner Meinung nach auch einen sprachlichen Grund. Auf Englisch heißt stricken 'to knit' - wo, wenn nicht in Knittkuhl, sollte das Handwerk des Strickens gepflegt werden?

Übrigens habe ich vorhin die Unwahrheit gesagt. Es gibt in Knittkuhl sehr wohl etwas Spektakuläres. Wie ich den Püttkamp verlassen hatte und einen schmalen, an einen hügeligen Acker grenzenden Weg entlangging, der Himmel strahlend blau, im Hintergrund eine Herde von braunen Pferden, noch weiter hinten der Fernsehturm (ganz links) sowie Flugzeuge im Landeanflug (ganz rechts), hielt neben mir ein weißer BMW mit Gelsenkirchener Kennzeichen. Der Fahrer fragte mich: "Wissen Sie, wo ich das Knittelgut, oder wie das heißt, finde?" Na klar wusste ich das, ich wollte ja selber dorthin. Außerdem war das Knittelgut, das tatsächlich ein wenig anders heißt, nur fünfzig Schritte entfernt. Gut Knittkuhle, gelegen an der ewig langen Knittkuhler Straße, ist das Landgasthof-Meisterwerk des frankophilen Radenthusiasten und Ex-Tauchschulenchefs und Ex-Bauunternehmers und Oldtimersammlers und Gastronomen Helge Wolf. "Du kannst Helge zu mir sagen", sagte er, als ich ihn auf dem Parkplatz hinter seinem Gut antraf, wo er gerade mit Frau und Tochter an seinem alten himmelblauen Renault R4 zugange war. Was die Abspaltung von Knittkuhl gebracht habe? "Keine Ahnung", sagte er. Das habe "die Politik" einfach so durchgezogen, vielleicht, damit Knittkuhl ein Steuerparadies werde.

Ich wollte das Thema Steuern nicht vertiefen. Außerdem war es an einem kultivierten Ort wie diesem, wo die Luft nach Waffeln duftete, nur dann interessant, wenn es um das Steuern eines Oldtimers ging. Oder um das Ansteuern der fantastischen Gasthofterrasse, wo eine gepflegte Gesellschaft an fein gedeckten Tischen dem Crémant, dem Sancerre Blanc und dem Chablis zusprach. "Schreib bitte", rief mir Helge hinterher, nachdem wir uns verabschiedet hatten, "dass wir die französischsten Deutschen sind, die in Deutschland leben." Gerne! Ach und ehe ich's vergesse: Ob man bei Helge quer, schräg, längs oder sonstwie parkt, ist, Dieu merci, völlig egal.

(RP)
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