Düsseldorf Reagenzglas der Demokratie

Düsseldorf · Die Bezirksvertretungen feiern in diesem Jahr ihr 40-jähriges Bestehen. Eine Würdigung des undankbarsten Jobs, den die Demokratie zu vergeben hat.

Düsseldorf: Reagenzglas der Demokratie
Foto: Endermann, Andreas (end)

Es gibt kaum etwas Langweiligeres als über den Standort von Mülleimern zu diskutieren, in welchem Turnus ein Grünstreifen gemäht werden muss, wo Blumenkästen aufgestellt und Klettergerüste abgebaut werden. Es ist nicht übertrieben, die zwei Stunden lange Präsentation zur Bauvoranfrage eines neu zu errichteten Mietshauses durch einen Fachmann der Verwaltung als Hölle zu bezeichnen.

Oder das Gemeckere eines querulantischen Rentners, der sich durch den Trainingsbetrieb eines Fußballvereins gestört fühlt. Manche würden schreien oder Amok laufen, doch es gibt einen Menschenschlag, der diese Qualen nicht nur mit stoischer Gelassenheit erträgt, sondern sie annimmt, sie ernst nimmt, sich kümmert.

Das Synonym für diese Menschen lautet Stadtteilpolitiker, und auch wenn wir auf ihre Motive noch eingehen werden, lässt sich jetzt schon sagen: Sie machen den undankbarsten Job, den die Demokratie zu vergeben hat und müssen sich oft dafür noch beschimpfen lassen. Und sie machen ihn in ihrer Freizeit, in schlecht gelüfteten Räumen bis in die Abendstunden.

Winston Churchill hat gesagt, "Demokratie ist eine Einrichtung, die es den Menschen gestattet, frei zu entscheiden, wer an allem schuld sein soll". Stadtteilpolitiker erleben das jeden Tag. Und im Gegensatz zu Premierministern, Kanzlern, Ministern und Oberbürgermeistern, denen die Bürger in den meisten Fällen mit einer natürlichen Hemmung und Unterwürfigkeit begegnen, erleben sie das beim Einkaufen, in der Kneipe und auf dem Schulfest der Kinder.

Eigentlich ist es ein Wunder, dass gerade sie in diesen Tagen das 40-jährige Bestehen der Bezirksvertretungen feiern, ist sie doch Quell ihrer Leiden; eigentlich müssten die Bürger dieses Jubiläum feiern, denn neben dem beschriebenen Phänomen sind die Bezirksvertretungen ein ungeheuer wichtiges Instrument der Demokratie. Sie helfen uns, und das gleich mehrfach.

Zunächst weil in ihr praktische Dinge schnell, aber demokratisch entschieden werden, weitgehend ohne dass Parteipolitik oder Zwang die Debatte darüber bestimmt und die Entscheidung beeinflusst. Man stelle sich nur vor, jeder Neubau müsste durch den Rat, die Standorte der Bänke, die finanzielle Unterstützung eines Heimatvereins.

Sitzungen der Bezirksvertretungen bieten wenig Bühne für Selbstdarstellungen. Die Vertreter können nach ihrem gesunden Menschenverstand entscheiden. Wenn ein Vertreter der Linken einen guten Vorschlag macht, können CDU-Menschen in mittragen. Wenn der eigene Fraktionsvorsitzende einer Schnapsidee aufgesessen ist, können die Parteifreunde dagegen sein, ohne als Nestbeschmutzer oder Intriganten zu gelten.

Das können Ratsmitglieder in Großstädten wie Düsseldorf schon nicht mehr, von Mitgliedern des Landtages und Bundestages mal gar nicht zu sprechen. Deshalb sind die Bezirksvertretungen auch die Reagenzgläser der Demokratie. Hier arbeiten die Demokraten miteinander, hier machen kommende Berufspolitiker erste Gehversuche.

Darüber hinaus haben die Bezirksvertreter noch eine immens wichtige Bedeutung: Als Kontrollinstanz der Verwaltung. Willkürliche Entscheidungen von Beamten, sinnlose Genehmigungen, nach Aktenlage entschiedene Ungerechtigkeiten werden aus dem Dunkel des Schriftverkehrs in das Licht der Öffentlichkeit gezerrt. Sie werden hinterfragt, auf die Probe gestellt und oft genug auch revidiert.

Genauso kontrollieren die Bezirksvertretungen de facto den Rat, gar die höheren Ebenen der Politik. Es sind die Bezirksvertreter, die auf Schützenfesten oder Heimatabenden die Auswirkungen von Politik auf die Menschen direkt erfahren. Auf Parteitagen geben sie diese Erfahrungen weiter und selbst Politiker der höchsten Ebene tun gut daran, sich in den Ortsvereinen umzuhören.

Menschen machen das, was sie machen, weil sie denken, sie können es gut. Jemand, der kein Talent für Zahlen hat, kommt nur selten auf die Idee, Mathematiker zu werden, einer, der zwei linke Hände hat, wird seine Zukunft nicht in der Möbelschreinerei sehen.

Bei Stadtteilpolitikern ist das anders. Vielen von ihnen können nicht sonderlich gut reden, es fällt ihnen auch nicht sonderlich leicht, Menschen für sich zu gewinnen, ihnen ist das Machiavellistische der Politik zuwider, Geltungssucht und der Wille zur Macht ist bei ihnen oft nicht in größerem Maße vorhanden als bei Postboten oder Speditionskaufleuten. Es gibt unter ihnen zwar auch Karrieristen, doch die steigen empor oder verlieren die Lust an der Politik. Die meisten Stadtteilpolitiker treibt die Sorge ums Gemeinwesen an. Und deshalb, um erneut Churchill zu zitieren, gilt: "Never was so much owed by so many to so few" ("niemals haben so viele so wenigen so viel zu verdanken gehabt").

(RP)
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