Düsseldorf "Richard Wagner ist für mich erledigt"

Düsseldorf · Der Holländer Ton Koopman ist ein berühmter Experte für Alte Musik. Mit Bachs "Weihnachts-Oratorium" gastiert er in der Tonhalle.

 Der Musiker Ton Koopman in seinem Arbeitszimmer am Cembalo; im Hintergrund etliche Regalmeter voller antiquarischer Schätze.

Der Musiker Ton Koopman in seinem Arbeitszimmer am Cembalo; im Hintergrund etliche Regalmeter voller antiquarischer Schätze.

Foto: Christoph Vratz

Wer die Schaltzentrale betritt, steht zunächst vor Bücherregalen. Einige Bände türmen sich auf dem Boden. Links den Gang durch: Regale. Rechts in einem Anbau: zwei Schreibtische, zwei Mitarbeiterinnen. Hier laufen die Fäden im Reich des Ton Koopman zusammen; hier wird koordiniert, gefahndet, Gefundenes zugeordnet, Neues in Auftrag gegeben. Er winkt, mit seinem verschmitzten Lächeln, während er noch Termine festzurrt. Eng ist es hier - und gemütlich. Koopman ist ein feingliedriger Künstler, bei Bach ist er ein Gigant. Morgen führt er das "Weihnachts-Oratorium" in der Tonhalle auf; Amsterdam Baroque Orchestra & Choir wirken mit.

In Bussum, seiner Heimat, ist vieles beschaulich. Ein kleines Örtchen im holländischen Niemandsland, eine knappe halbe Stunde von Amsterdam entfernt. Ton Koopmans Wahlheimat. Das Gebäude hat er 1986 erstanden und von Grund auf renoviert. Seither bietet es ihm Ruhe und vor allem genügend Platz. Denn Koopman ist leidenschaftlicher Sammler. Von Noten, Instrumenten, Büchern, Stichen, Bildern, Möbeln, Krimskrams. Schon als Gymnasiast hatte er sich regelmäßig in ein nahegelegenes Antiquariat zurückgezogen, um dort alte von neuen Büchern zu trennen. Die neuen ließ er liegen. "Die alten Bände haben so viel Atmosphäre."

Da er bereits mit 14 Jahren in einer kleinen Kapelle die Orgel spielte, verfügte er schon früh über das nötige Taschengeld. "Meine Eltern waren arm, aber ich konnte Bücher kaufen." Woher diese Passion kommt, weiß er selbst nicht genau. Hauptsache alt, Hauptsache Patina, Hauptsache mit einem Geheimnis.

Als Koopman in den Knabenchor kam, begeisterte ihn die Musik des 17. und 18. Jahrhunderts - nicht die Stücke der Romantik. "Die empfand ich als eher langweilig, das waren nicht meine Emotionen." So ist es bis heute geblieben, von Ausnahmen abgesehen. Mendelssohn ist für ihn Avantgarde, "Beethoven war für mich lange Zeit moderne Musik". Inzwischen hat er sich ihm in homöopathischen Dosen genähert.

Wer so viel sammelt, singt gern das Lied vom Platzmangel. "Als Student hatte ich nur ein Spinett, das nahm nicht viel Raum ein. Außerdem habe ich gelegentlich bei Freunden gefragt, ob sie mir einen Raum zur Verfügung stellen könnten." Einer seiner Studienfreunde ist Jordi Savall, der berühmte Gambist. "Wir sind zusammen durch die Antiquariate gestreift, haben alles, was uns interessierte, auf einen Tisch gelegt und dann - sofern das Geld reichte - verteilt: Er nahm den einen Packen, ich den anderen."

Woher stammt diese Lust, sich in fernere Jahrhunderte zu vergraben? Von den Eltern? Koopman schmunzelt: "Mein Vater war Jazz-Liebhaber, hat Schlagzeug gespielt, Jam-Sessions veranstaltet, und ich saß immer dabei. Ich fand das schön, obwohl ich danach nie wieder etwas mit Jazz zu tun hatte." Geprägt habe ihn die Grundschulzeit, das frühe Singen im Chor, die ersten Übungen auf der Blockflöte. Immerhin, gibt Koopman zu, sein Vater habe neben Jazz auch Beethoven und Wagner gemocht. Wagner bei den Koopmans? "Ich habe mal Vorlesungen über den 'Ring' besucht. Das war unglaublich langweilig. Dann mussten wir auch noch ein Referat über die Leitmotive halten. Damit war Wagner für mich erledigt."

Koopman schwärmt lieber für Heinichen, für Wassenaer, für Buxtehude und für Bach. Er profitiert schon früh davon, dass die Alte-Musik-Szene in den Niederlanden von jeher gut vernetzt war. Koopman hat sein Orgelstudium als Autodidakt begonnen, erst mit 16 bekam er Unterricht, vorher galten seine Beine als zu kurz fürs Pedal; dass er mit seinem unfreiwilligen Spitze-Spiel (ohne Absatz) historisch näher an Bach und seinen Vorgängern war, wurde ihm erst später klar.

Wir betreten das Wohnzimmer. Links vom Kamin hängt das Gemälde eines Flötisten. Das Bild treibt Koopman um, schon seit Jahren. Immer noch weiß er nicht, wen es darstellt. Er hat etliche Anläufe unternommen, alle ergebnislos. Das nagt an ihm. Etwas Altes, worauf er keine Antwort findet, macht ihn unruhig. Daher laufen seine Forschungen unverdrossen weiter. Hinter allem in diesem Haus lauert eine Geschichte. Ob die Bücher, die Tonscherben oder die Kacheln mit Musikermotiven. Kaum vorstellbar, dass Koopman für dieses Haus einst eine Hypothek aufgenommen hat, um sein CD-Projekt mit den Bach-Kantaten finanziell zu sichern. Er wählte das Risiko und fand musikalisch seine Erfüllung. Was er macht, macht er ganz - meist mit dem 1979 von ihm gegründeten Amsterdam Baroque Orchestra und dem 1992 formierten Chor.

Als er das komplette Werk von Buxtehude, den Koopman nach wie vor für unterbewertet hält, ins Visier nahm, wollte er seine Musiker bestmöglich vorbereiten: Wie ist es um die Verzierungspraktiken bestellt? Welche Einflüsse hat Buxtehude wann wo aufgesogen, und wie ist er damit umgegangen? Die manchen Musikliebhabern oft so spröde erscheinende Alte Musik erscheint, wenn Koopman erzählt, wie ein großer Kriminalfall, der nie abgeschlossen ist, aber ständig neue Indizien zutage fördert, die gezielte Suche oder der Zufall an Land spülen.

Wie bewältigt man ein solches Pensum? Der Hausherr zieht die Stirn in Falten. "Ich habe lange Zeit sehr wenig Schlaf gebraucht, drei, maximal vier Stunden." Bis ihn sein Arzt fragte, wie lange er leben wolle. "Hundert!" Dann müsse er mehr schlafen. Seither bringt er es immerhin auf rund sechs Stunden.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Alles Theater
Was es am Düsseldorfer Schauspielhaus zu sehen gibt Alles Theater
Zum Thema
Aus dem Ressort