„Sender Freies Düsseldorf“ läuft ab 3. Oktober Schorsch Kamerun: Vom Punk zum Theaterregisseur

Düsseldorf · Schorsch Kamerun ist einer der vierzehn besten Menschen. So steht es zumindest in seiner Biografie. Doch wer ihn mal persönlich kennen gelernt hat, glaubt dies unbenommen.

 Einst Punk am Timmendorfer Strand, jetzt Theaterregisseur in Wien, Zürich, Berlin - und Düsseldorf. Schorsch Kameruns Stück „Sender Freies Düsseldorf“ ist ab 3. Oktober im Schauspielhaus zu sehen.

Einst Punk am Timmendorfer Strand, jetzt Theaterregisseur in Wien, Zürich, Berlin - und Düsseldorf. Schorsch Kameruns Stück „Sender Freies Düsseldorf“ ist ab 3. Oktober im Schauspielhaus zu sehen.

Foto: Michel Bo Michel

Dabei wuchs er ganz "normal" auf. 1963 dort geboren, wo andere Leute Urlaub machen, in Timmendorfer Strand an der Ostsee, zog er schon bald mit seinen Eltern nach Hamburg. Weil er sich in der Großstadt zu wenig beachtet fühlte und Stress mit seinem Stiefvater hatte, fiel er jedoch schon bald auf, weil er den Unterricht störte oder Briefkästen und Öltonnen in Brand setzte.

Als er mit zehn zurück nach Timmendorf kam, "besserte" er sich zunächst, doch in der Pubertät ging der ganze Trouble weiter. Als Schüler konnte man sich nicht einfach mit Freunden in einem Café treffen und dort abhängen, weil die Plätze Touristen vorbehalten waren, und so wurde aus den Jugendlichen eine verschworene Gemeinschaft, der sein Kumpel Rocko Schamoni mit dem Roman "Dorfpunks" ein Denkmal setzte und auch Daniel Richter angehörte, heute einer der größten zeitgenössischen deutschen Künstler.

Gründung der "Goldenen Zitronen"

Nachdem Kamerun die Schule ohne Abschluss verlassen hatte, absolvierte er eine Lehre als Kfz-Mechaniker in der väterlichen Werkstatt, doch spätestens, nachdem die Toten Hosen mit einem Sarg auf dem Dach ihres Autos in Timmendorf eingefallen waren, war es mit seiner bürgerlichen Karriere wieder vorbei. Thomas Sehl, wie er damals noch hieß, benannte sich, in Anlehnung an Jello Biafra von den Dead Kennedys, um in Schorsch Kamerun und gründete 1984 die Goldenen Zitronen.

Mit Songs über den Sänger von Modern Talking ("Am Tag als Thomas Anders starb") oder der Status-Quo-Verarsche "Rocken durch die ganze Welt" zählten sie schon bald zu den erfolgreichsten Bands des Fun-Punk, der Mitte der Achtzigerjahre groß in Mode kam. Ihr Debütalbum "Porsche, Genscher, hallo HSV" verkaufte sich wie geschnitten Brot, doch die Zitronen waren es schon bald leid, immer wieder die gleichen Lieder zu trällern und Sidesteps für die Bühnenshow zu lernen.

Statt den Toten Hosen, mit denen Kamerun noch heute befreundet ist, oder den Ärzten Konkurrenz zu machen, besannen sie sich lieber auf ihre Wurzeln — die Rebellion gegen das System und die Gesellschaft.

"Cola-Rum ohne Ende" als Bezahlung

Nachdem die Einstürzenden Neubauten das Hamburger Schauspielhaus in Zadeks "Andi" zumindest mit ihrem Sound in seinen Grundfesten erschüttert hatten, bekamen aber auch sie schon bald das Angebot, den eher betulichen Theaterbetrieb etwas aufzumischen. Zunächst nahmen sie das nicht ernst, sondern machten zur Bedingung, dass ihnen eine Loge mit Bier und "Cola-Rum ohne Ende" zu Verfügung gestellt wurde, wenn sie die Musik für ein Stück von Elfriede Jelinek beisteuerten.

Als Theaterregisseur gefragt

Doch der Ausflug in andere Gefilde, hatte für Kamerun weitreichende Folgen. Aus dem Punk "mit den schönen Umgangsformen" (taz) wurde ein recht begehrter Theaterregisseur, der in Hamburg Hubert Fichtes "Palette", in Hannover Wilhelm Hauffs "Das kalte Herz" und an der Bayrischen Staatsoper Leonard Bernsteins "Trouble in Tahiti" (unter der musikalischen Leitung von Kent Nagano) inszenierte, in Köln die erste antiautoritäre Staatsoper "M.S. Adenauer" und in Zürich und Berlin "politische Wochenenden" unter dem Titel "Live and Let Die".

Für sein Stück "Ein Menschenbild, das in seiner Summe Null ergibt" wurde er 2007 mit dem Hörspielpreis der Kriegsblinden ausgezeichnet. Die Münchener Akademie für bildende Künstler betraute ihn, der keinen Schulabschluss vorzuweisen hat, gar mit einer Gastprofessur. Und in Hamburg wählte man ihn zum "Künstler des Jahres" — obwohl er zu der Zeit bereits seit zwei Jahren in München wohnte.

"Warum wilder sein als die Irren?"

Wenn er nicht selbst Regie führte, stand er in Stücken von Christoph Schlingensief auf der Bühne, als deren Nachfolger er nun gilt, weil auch er das Theater benutzt, um politische Themen anzusprechen, die ihm wichtig sind. Mit seinen Inszenierungen will Kamerun "einbrechen in die eingefahrenen Positionen der Hochkultur", als "Quoten-Punk" sieht er sich jedoch nicht. Der Mainstream, siehe "Dschungelcamp", sei doch heute viel heftiger: "Warum sollten wir dann so tun, als wären wir wilder als diese Irren?"

Stück ab 3. Oktober im Schauspielhaus

Das Prinzip Provokation funktioniere eben schon lange nicht mehr, und Schockeffekte würden nichts mehr bewirken. Stattdessen versteht er Texte "als begehbare Installationen", und so will er auch in seinem Stück "Sender Freies Düsseldorf", das ab 3. Oktober am Düsseldorfer Schauspielhaus läuft, den Präsentationsmodus unterlaufen und über das reden, "was verschwindet": eine Welt, die noch nicht gänzlich nach Ratings eingeteilt, ein Leben, das noch nicht vollständig der Ökonomie unterworfen ist.

Inszeniert als Konzertabend des Piratensenders Freies Düsseldorf, sollen die Akteure den Begriff der Selbstverwirklichung überprüfen und die Frage erörtern, wie man sich vor dem (Guerilla) Marketing schützen könne.

Improvisieren statt Erwartungen erfüllen

Dabei geht Schorsch Kamerun ähnlich zu Werke wie bei den Goldenen Zitronen, mit denen er auch schon in den USA und in Rumänien auf Tournee war. Statt mit "vorgefertigten Vorstellungen" zu arbeiten, geht es rauf auf die Bühne, ohne zu wissen, was dann passiert. Er wolle halt keine Erwartungshaltungen erfüllen, sonst sei er ja wie die Scorpions.

Dass es mit dem Theater als geschütztem Raum, in dem man nicht so abhängig von Hypes sei wie in der Musikszene, bald wieder vorbei ist, darüber macht er sich allerdings keine Illusionen. Tendenziell orientierten sich die Stadttheater bereits wieder verstärkt an klassischen Stücken, und der Geldmangel oder die Angst vor Mittelkürzungen führten unweigerlich dazu, dass künftig immer weniger Experimente gewagt würden. Dann muss Schorsch Kamerun, der sich in Timmendorf nie hätte träumen lassen, einmal in Wien, Zürich oder Berlin Theaterstücke zu inszenieren, eben etwas Neues einfallen lassen. Schließlich will er lieber "irgendwas erleben", als sich "das Leben von früher" anzugucken.

(jco)
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