Selbstversuch Sitzen bleiben - So rollstuhlgerecht ist Düsseldorf

Düsseldorf · Wie rollstuhlgerecht ist die Stadt? Das wollten unsere zwei Reporter in einem Selbstversuch herausfinden.

 Sie sitzt, er schiebt: Im Selbstversuch testeten die beiden RP-Autoren Florian Rinke und Saskia Nothofer, wie rollstuhlgerecht Düsseldorf ist.

Sie sitzt, er schiebt: Im Selbstversuch testeten die beiden RP-Autoren Florian Rinke und Saskia Nothofer, wie rollstuhlgerecht Düsseldorf ist.

Foto: Andreas bretz

Die Straßenbahn ist das größte Problem. Mehrere Zentimeter liegen zwischen dem Bürgersteig an der Haltestelle Heinrich-Heine-Allee und dem Boden der Straßenbahnlinie 706. An der Haltestelle Jan-Wellem-Platz ist der Abstand sogar noch größer - unüberwindbar für einen Rollstuhlfahrer.

Wie rollstuhlgerecht ist Düsseldorf? Das herauszufinden, war unsere Aufgabe. Den Rollstuhl stellte uns das Evangelische Krankenhaus Düsseldorf zur Verfügung. Dort begann unsere Erkundungstour.

Ihre Sicht Sitzmöglichkeiten gibt es viele. Ein gemütlicher Sessel, ein Liegestuhl, ein weiches Sofa - wer ruht nicht gerne seine müden Beine darauf aus. Doch das Sitzen bekommt eine ganz andere Dimension, wenn man auf einen Rollstuhl angewiesen ist. Mit einem Ruck drückt die Krankenhaus-Mitarbeiterin das faltbare Gestell auseinander. Trotz des freundlichen "Setz dich!" meines Kollegen, kostet es zu Beginn viel Überwindung, im Rollstuhl Platz zu nehmen. Jegliche Selbstständigkeit schwindet sofort. Ich habe mich noch nie so hilflos gefühlt.

Seine Sicht Na gut, ein bisschen schieben - so schwer kann das ja nicht sein, denke ich, als sich die Glastüren des Krankenhauses öffnen und ich den Rollstuhl auf die Straße schiebe. Doch schon am ersten Bordstein bleibt der Rollstuhl hängen. Er ist nur wenige Zentimeter hoch, doch meine Kollegin prallt nach vorne, als wären wir gegen eine Wand gefahren. Ich erschrecke. Einem anderen Menschen, der tatsächlich auf den Rollstuhl angewiesen ist, hätte ich so eventuell Schmerzen zugefügt. Von da an ändert sich mein Blick. Ich schaue mehr voraus, gucke nach Hindernissen. Ich fühle mich für ihr Wohl verantwortlich. Dass sie eigentlich gesund ist, vergesse ich oft.

Ihre Sicht Sobald uns die ersten Menschen begegnen, bekomme ich ein mulmiges Gefühl: Alle starren mich an. Das Schlimmste sind die mitleidigen Blicke. "Was macht so eine junge Frau im Rollstuhl?", scheinen die Menschen sich zu fragen. Die gefühlte ständige Beobachtung ist unangenehm. Egal, ob in der Straßenbahn, im Kaufhaus, im Café oder auf der Straße - als Rollstuhlfahrer wird man unfreiwillig zum Mittelpunkt.

Seine Sicht Es tut mir Leid, dass meine Kollegin immer angestarrt wird. Es stimmt wohl, was Elisabeth Kroker-Christmann von der Arbeitsgemeinschaft der Behindertenvereine sagt: "Eine außergewöhnliche Situation erzeugt Neugierde." Doch dass der zweite Blick der Menschen danach auf mir hängen bleibt, verwundert mich dann doch. Ob sie sich fragen, ob wir eine Beziehung führen und wie diese unter diesen Umständen funktioniert? Immerhin: Viele starren nicht nur, sondern sind auch äußerst hilfsbereit.

Ihre Sicht Die Türen am Eingang des Kaufhofs an der Königsallee sind das nächste Hindernis. Die Schwingtüren sind so schwer, dass wir das Kaufhaus nicht ohne Unterstützung betreten können. Schnell findet sich jedoch ein freundlicher Helfer. "Darf ich?" fragt der Mann, bevor er mich in den Laden schiebt. Ich bedanke mich zwar, kann ihm aber nicht ins Gesicht schauen. Er geht an uns vorbei, ich sehe ihn nur von hinten. In diesem Moment fühle ich mich übergangen - obwohl er es nett gemeint hat, fühle ich mich nicht richtig wahrgenommen. Bis auf den Eingang sind der Kaufhof und auch andere Läden der Innenstadt wie Zara behindertenfreundlich. Es gibt Aufzüge, und die Gänge sind ausreichend breit. Doch ob ich hier auch ohne Hilfe auf die Toilette kommen würde?

Seine Sicht Bislang gibt es weniger Probleme, als ich gedacht hätte. Ich sehe bestätigt, was Elisabeth Kroker-Christmann gesagt hat: Vieles habe sich in den vergangenen Jahren verbessert. Gerade im Vergleich zu anderen Städten stehe Düsseldorf ganz gut da. Allerdings: Die Fahrten mit der Straßenbahn waren eine absolute Katastrophe. Da sollte sich dringend etwas verbessern. Schwierig soll es auch am Rathaus sein. Gleichzeitig fallen uns eigene Versäumnisse auf: Weder meine Kollegin noch ich haben damit gerechnet, wie kalt es werden kann, wenn man sitzend über den Weihnachtsmarkt geschoben wird. Ich gebe ihr meine Jacke, damit sie ihre Beine abdecken kann. Mir ist warm. Das Schieben macht sich bemerkbar.

Ihre Sicht Auch der Rewe-Supermarkt erweist sich wenig später als ausreichend behindertengerecht, als Rollstuhlfahrer erlebe ich den Supermarkt aber aus einem völlig neuen Blickwinkel. Plötzlich bin ich auf Augenhöhe mit den Süßigkeiten und den günstigen Produkten, die meist unterhalb der "normalen" Augenhöhe platziert sind. Zum ersten Mal gucke ich zudem an die Decke, die mit runden, bunten Plastik-Konstruktionen geschmückt ist. Der Sinn dieser Dekoration erschließt sich mir nicht, aufgefallen sind sie mir vorher nie.

Seine Sicht Endlich haben wir das Krankenhaus wieder erreicht. Ich beobachte, wie meine Kollegin ihre Füße auf den Boden setzt und wieder aufsteht. Das Experiment ist zu Ende. Aber nun werde ich mit anderen Augen durch die Stadt laufen.

Ihre Sicht Ich war selten so froh, aufstehen zu können. Ich bin durchgefroren, die Beine sind steif, und ich freue mich, mich endlich wieder bewegen zu dürfen. Ich habe jetzt noch mehr Respekt vor den Menschen, die mit einer solchen Einschränkung leben und positiv damit umgehen.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort