Burkhard Hirsch "Snowden verdient den Friedensnobelpreis"

Düsseldorf · Der Düsseldorfer Liberale und frühere Innenminister verteidigt die Privatheit und plädiert dafür, kriminelle Ausländer rascher abzuschieben.

 Bücher, Briefe und Faxe statt E-Mails und Dauerpräsenz im Internet: Burkhard Hirsch (FDP), früherer Vizepräsident des Bundestags und NRW-Innenminister, ist ein Verfechter des geschützten Privatbereichs.

Bücher, Briefe und Faxe statt E-Mails und Dauerpräsenz im Internet: Burkhard Hirsch (FDP), früherer Vizepräsident des Bundestags und NRW-Innenminister, ist ein Verfechter des geschützten Privatbereichs.

Foto: Andreas Endermann

Burkhard Hirsch ist einer der Politiker, die viel in Deutschland bewegt haben. Er war Innenminister von NRW, Vizepräsident des Bundestags. Der Freidemokrat ist bis heute überzeugter Sozialliberaler, vor allem aber Kämpfer für Bürgerrechte und die Wahrung der Privatsphäre. Aktuell ist er wieder an einer Klage gegen die Vorratsdatenspeicherung vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe beteiligt. Hirsch wohnt mit wunderbarem Rheinblick - und ohne E-Mail-Adresse.

Herr Hirsch, in der durchdigitalisierten Welt meiden Sie konsequent E-Mails und das Internet?

Hirsch Ja. Wer mich einladen will, muss einen Brief oder ein Fax schicken. Das hat übrigens einen großen Vorteil. Denn das Internet ist zu schnell, man ist überall erreichbar, und es wird erwartet, dass man sofort reagiert. Das führt dazu, dass man zu leichtfertig antwortet.

Haben Sie auch keinen Computer?

Hirsch Ich habe in meinem Büro ein Laptop, auf dem ich bei Google suchen kann. Das ist aber komplett abgetrennt. Ich habe auch eine PC-Anlage, auf der ich schreibe, schütze sie aber vor Zugriffen von außen. Sie ist nicht ans Internet angeschlossen. Ich finde, dass ein PC ein ausgelagertes Gehirn ist. Meine Erinnerungen, mein Schriftverkehr, meine Gedanken - alles ist da drin. Das ist mein Privatbereich, und ich möchte nicht, dass jemand durch einen Trick darauf zugreift. Seit den Enthüllungen von Edward Snowden müsste jeder wissen, was alles gemacht werden kann.

Dennoch ist das vielen Menschen nicht bewusst.

Hirsch Privatheit ist keine altertümliche Sache. Ich wundere mich, dass die Leute in aller Öffentlichkeit ihr Privatleben am Telefon laut ausplaudern. Für mich ist das nichts. Das ist übrigens das Einzige, was ich von Herrn Kohl gelernt habe.

Inwiefern?

Hirsch Er hatte im Kanzleramt eine große Aktenanlage. Nach seiner Regierungszeit wurde alles mitgenommen und der Festplattenmechanismus vernichtet. Der Bundestag initiierte eine Untersuchung. Damals habe ich gelernt, dass es möglich ist, den Zugang zur Datenverarbeitung so zu sichern, dass man nicht dran kommt. In den USA ist das anders geregelt. Alle Notizen, die der Präsident sich macht, sind Staatseigentum. Er kann also nach seiner Amtszeit nicht säubern.

Fühlen Sie sich mit Ihrer Haltung manchmal einsam?

Hirsch Jeder muss wissen, dass er eine Verantwortung hat, nicht nur für sich selber, auch für die Gesellschaft. Ich denke gar nicht daran, zu resignieren, denn ich führe meine Prozesse im Interesse der Freiheit des Einzelnen. Snowden hat den Friedensnobelpreis verdient. Denn er hat für die zivilisatorische Entwicklung unserer Gesellschaft mehr getan als jeder andere. Die Abhöranlage auf der amerikanischen Botschaft ist grotesk. Ich wundere mich nur, dass die Mitglieder des Bundestags das so locker sehen. Einen Friedennobelpreis würde ich übrigens auch großen Reiseunternehmen verleihen.

Weshalb?

Hirsch Das Massenreisen war der wichtigste Beitrag für die Völkerverständigung. Außerhalb unserer Grenze sind wir alle Ausländer. Diese Erfahrung war ein großer Gewinn für unsere Gesellschaft.

Die Völkerverständigung stößt aber auch an Grenzen. Düsseldorf machte zuletzt auch Schlagzeilen wegen Kriminalität im sogenannten Maghreb-Viertel, Übergriffen wie Silvester in Köln und als Hochburg für ausländische Einbrecher-Banden. Sorgt Sie das?

Hirsch Ja, weil das Fehlverhalten Einzelner und eine gewisse Lässigkeit unserer Sanktionen die Integrationsbereitschaft verringert und das Ansehen vieler Ausländer, die nichts anderes wollen, als in Frieden zu leben, in Mitleidenschaft zieht. Wir müssen deshalb klare Konsequenzen ziehen.

Welche?

Hirsch Wir müssen endlich akzeptieren, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Wenn unser Sozialsystem nicht kollabieren soll, brauchen wir pro Jahr 250.000 bis 300.000 gut integrierbare Einwanderer. Das ist seit langem bekannt. Als ich noch im Düsseldorfer Stadtrat saß, gab es eine Untersuchung, was passieren würde, wenn alle, die keine deutsche Staatsangehörigkeit haben, Düsseldorf verlassen würden. Flughafen, Bahnhof, Schauspielhaus, Oper, ein großer Teil der Gastronomie - alles müsste sofort zumachen. Manche unserer Landsleute machen sich das nicht klar. Wir leben nicht auf einer Insel. Wichtig ist aber die Fähigkeit und Bereitschaft zur Integration - für beide Seiten. Mit einem Einwanderungsgesetz könnten wir entscheiden, wie viele gute Leute wir bei uns brauchen.

Was ist aber mit kriminellen Ausländern?

Hirsch Ich bin dafür, dass jene, die Freiheitsstrafen von mehr als einem Jahr bekommen oder Mehrfachtäter sind, ausgewiesen werden auf mindestens zehn Jahre. Wer nicht bereit ist, sich den Gegebenheiten in einem Land anzupassen, muss die Konsequenzen spüren. Das gilt auch für kriminelle maghrebinische Gesellschaften, die sich in Düsseldorf gebildet haben. Das muss mit einer schnellen Abschiebung verbunden werden. Ich hatte schon vor 20 Jahren gefordert, dass der Strafrichter nicht nur über die Strafe, sondern gleichzeitig über die Ausweisung entscheidet. Das würde die Verfahren immens verkürzen. Man sollte sich nicht nur den Kopf darüber zerbrechen, wie stark die Polizei sein muss, sondern ob unsere Gerichte ausreichend ausgestattet sind.

Kippt die Stimmung?

Hirsch Die Haltung gegenüber Ausländern hat sich nicht verbessert. Von Kippen würde ich aber nicht reden. Den Bürgern ist nach wie vor bewusst, dass Menschen zu uns kommen, weil ihnen in der Heimat Gefahr für Leib und Leben droht. Die Frage ist aber, wie lange die Bereitschaft hält, diese Menschen offen aufzunehmen. Und man sollte nicht vergessen, dass laut dem Asylrecht Asylbewerber zunächst nur zwei Jahre bleiben. Die Frage wird also auch sein, ob wir bereit sind, die Leute dann wieder nach Hause zu schicken. Andernfalls gibt es das Problem der Familienzusammenführung. Das hatten wir mit den Gastarbeitern auch schon.

Was ist die Lösung?

Hirsch Wir brauchen zum einen ein Einwanderungsgesetz, aus dem sich glasklar ergibt, wer hier bleiben darf und wie diese Menschen integriert werden. Wir müssen aber auch viel mehr tun, um die Lage in den Ländern zu verbessern, aus denen die Menschen kommen. Wir Europäer haben zu wenig und die falsche Entwicklungshilfe geleistet. Und dass es keine europäische Solidarität in der Flüchtlingsfrage gibt, emotionalisiert die Bürger weit mehr als alles andere.

Profitiert die AfD?

Hirsch Diese Partei schwimmt auf der Welle der Emotionen. Ich denke, dass Herr Seehofer bei der Wahrung der bayerischen Interessen wesentlich dazu beigetragen hat, die AfD zu stärken. Ich würde der Bundeskanzlerin deshalb dringend raten, die Vertrauensfrage zu stellen. Solange die Bevölkerung den Eindruck hat, dass die Politik nur herumstreitet, wird sie kein Vertrauen haben.

Wie würde das für Merkel ausgehen?

Hirsch Es gibt zu ihr keine Alternative, deshalb wäre die Vertrauensfrage für sie kein Risiko.

Agiert Merkel in der Flüchtlingspolitik richtig?

Hirsch Ihre Erklärung, dass wir bereit sind Flüchtlinge aufzunehmen, war notwendig, würdevoll und politisch richtig. Sie hätte aber dazu sagen müssen, dass dies auch von der Aufnahmebereitschaft der Bevölkerung abhängt. Denn es werden extreme Kosten für Bildung und Integration auf uns zukommen.

Wie soll das finanziert werden?

Hirsch Ich fände eine Solidaritätsabgabe wie für den Aufbau Ostdeutschlands richtig. Die wird über die Einkommensteuer erhoben und richtet sich nach der Leistungsfähigkeit des Einzelnen. Das ist noch ein Tabu, ich halte es aber für richtig.

Glauben Sie ernsthaft, dass Parteien mit einem so unpopulären Thema in Wahlkämpfe gehen?

Hirsch Das sollten sie. Denn der Bürger wird honorieren, wenn die Politik ehrlich ist und er ernstgenommen wird. Das würde die Wahlbeteiligung wieder erhöhen.

Von der großen zur kommunalen Politik. Heute stehen in Ihrem FDP-Kreisverband Vorstandswahlen an. Sind Sie zufrieden mit Ihrer Partei?

Hirsch Ich denke, dass die Ratsfraktion eine ordentliche und seriöse Politik gemacht und sich fern von Streitigkeiten gehalten hat.

Ein zentrales Thema ist der Erhalt der Schuldenfreiheit ...

Hirsch Man kann dazu stehen, wie man will, es ist jedenfalls eine starke Bremse gegen mehr Schulden.

Ist es richtig, dass Partei- und Fraktionschefin Strack-Zimmermann die Schuldenfreiheit so stark betont?

Hirsch Ich habe Kommunalpolitik immer als Sorge um das alltägliche Leben jener Menschen verstanden, die nicht beliebig den Wohnort wechseln können. Es gibt Bedürfnisse, die unbedingt befriedigt werden müssen. Dazu zählen der schulische Bildungsbereich und die Kitas, Schwimmbäder, die Müllabfuhr und der Straßenverkehr, auch eine attraktive Atmosphäre in der Stadt.

Sie sind Sozialliberaler. Freuen Sie sich, dass die FDP im Rathaus jetzt auch mit der SPD regiert?

Hirsch Das Entscheidende ist nicht die Koalition, sondern dass die Partei ihr eigenes Gesicht behält. eine Koalition ist nicht das Ziel, sondern das Mittel nach einer Wahl.

Sind Sie zufrieden mit der neuen Stadtregierung?

Hirsch Herr Geisel hat sich als sehr kontaktfreudig erwiesen, auch wenn er dazu neigt, zu wenig abzustimmen. Manche Schwierigkeit in der Ampel zeigt, dass Kommunalpolitik ein hohes Maß an Zusammenarbeit erfordert. Da muss jeder zurückstecken. Es kann nicht darum gehen, wer wen besser über den Tisch zieht.

Sie sind nicht in allem mit der FDP-Spitze einer Meinung. Sie plädieren offen für eine Benennung des Flughafens nach Johannes Rau. Weshalb?

Hirsch Ich finde, dass er als Bundespräsident und langjähriger Ministerpräsident des Landes NRW hervorragendes als Brückenbauer geleistet hat, und das weit überregional. Wenn es schon üblich ist, Flughäfen nach verdienten Leuten zu benennen, warum nicht den in Düsseldorf nach Johannes Rau? Dass die CDU jetzt nachkartet und die Entscheidung im Stadtrat erzwingen will, statt ein Jahr abzuwarten, ist kleinlich und etwas abgeschmackt.

(RP)
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