Zwei Gewaltverbrechen in Düsseldorf So funktioniert die Therapie von psychisch kranken Straftätern

Düsseldorf · Zwei schizophrene Menschen haben in Düsseldorf schreckliche Gewalttaten begangen. Die beiden psychisch kranken Straftäter kommen nicht in Haft, sondern in den Maßregelvollzug - und zwar auf unbestimmte Zeit. Wir beantworten die wichtigsten Fragen zu diesem Thema.

 Psychisch kranke Menschen sitzen im Maßregelvollzug doppelt so lange, als wenn sie für ihre Tat eine Haftstrafe bekommen.

Psychisch kranke Menschen sitzen im Maßregelvollzug doppelt so lange, als wenn sie für ihre Tat eine Haftstrafe bekommen.

Foto: dpa / Oliver Berg

Zwei Taten in Düsseldorf haben die Menschen in NRW in den vergangenen Tagen erschüttert: Ein Mann schlägt wahllos mit einer Axt auf Passagiere einer S-Bahn am Hauptbahnhof ein und verletzt neun Menschen; ein 16-Jähriger tötet ein Mädchen (15). Beide Täter sind laut Staatsanwaltschaft schizophren und damit schuldunfähig. Sie werden wohl nicht in Haft, sondern in den Maßregelvollzug kommen.

Sind psychisch kranke Menschen gefährlicher als gesunde? Nein. Wenn man Patienten aller Erkrankungsarten den Gesunden gegenüberstellt, gibt es kein potenziertes Risiko zu Gewalttaten. "Es gibt aber einzelne Erkrankungen, zu denen Schizophrenie gehört, die - wenn nicht gut behandelt - durchaus mit einem erhöhten Risiko verbunden sind", sagt Arno Deister, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde und Chefarzt des Zentrums für Psychosoziale Medizin am Klinikum Itzehoe.

Was ist der Maßregelvollzug? Psychisch Kranke sind vermindert oder gar nicht schuldfähig. Sie kommen in den Maßregelvollzug (forensische Psychiatrie). Er ist kein Gefängnis, sondern Teil eines psychiatrischen Krankenhauses. "Die Mauern dort sind genauso hoch wie im Gefängnis", betont Deister. Die Unterbringung von suchtkranken Straftätern ist in der Regel begrenzt auf zwei Jahre, die der psychisch kranken Straftäter unbegrenzt. Jährlich wird bei der zuständigen Strafvollstreckungskammer am Landgericht überprüft, ob die Unterbringung noch gerechtfertigt ist, erklärt Jutta Muysers, Ärztliche Direktorin einer Klinik des Landschaftsverbands Rheinland (LVR) in Langenfeld. "Nicht die Heilung einer Erkrankung entscheidet über die Entlassung, sondern die reduzierte Gefährlichkeit", sagt Muysers. In ihrer Klinik werden 180 Patienten betreut, davon acht in einer offenen Rehabilitationsstation. Der Anteil der Frauen an den Patienten liegt bei unter zehn Prozent.

Wie sieht der Therapie-Alltag aus? Entlassen wird nur der, der sich mit Erfolg am therapeutischen Programm beteiligt. Es besteht aus verschiedenen Therapien, darunter aus Einzel-, Gruppen-, Arbeits-, Sport- und Soziotherapie, in der Patienten lernen, im Alltag draußen zurechtzukommen. Ab einem bestimmten Tag X besteht die Möglichkeit, sogenannte Lockerungen zu erteilen, sagt Muysers. Das bedeutet Ausgang allein oder in Begleitung auf dem Gelände, sehr viel später auch Ausgänge in Begleitung oder alleine in die Stadt oder auch Tages- oder Wochenend-Urlaube. Bedingung dafür ist, dass eine Fallkonferenz in der Klinik die reduzierte Gefährlichkeit festgestellt hat.

Wann wird entlassen? Besonders Schizophrene müssen ein Krankheitsverständnis entwickeln. Das heißt, sie müssen dauerhaft bereit sein, Medikamente einzunehmen. Generell wird nur der entlassen, bei dem die Klinik, ein externer Gutachter sowie ein Gericht festgestellt haben, dass er keine Gefahr mehr für andere darstellt.

Wie lange bleiben Täter? "Menschen sitzen im Maßregelvollzug doppelt so lange, als wenn sie für ihre Tat eine Haftstrafe bekommen hätten", stellt Deister fest. In Deutschland sind das im Durchschnitt etwa acht Jahre, die ein Mensch in der Forensik verbringt. "Es ist schon anstrengender, sich mit sich selbst zu befassen und an sich zu arbeiten, als eine Haftstrafe abzusitzen", sagt Muysers. Nur diejenigen, die die Therapie mit Erfolg absolvieren, dürfen in die Freiheit. "Die anderen bleiben - einige unserer Patienten sind hier weit über 20 Jahre", sagt Muysers.

Was geschieht nach der Entlassung? "Niemand wird ohne Auflagen entlassen", betont Muysers. Diese bedeuten zum Beispiel eine ambulante Nachbehandlung und Kontrollen, bei denen etwa die Arznei-Einnahme überprüft wird. "So können wir in Krisensituationen eingreifen, bevor es zu einer Straftat kommt."

Wie wirksam ist die Forensik? Laut Muysers haben sich Zwischenfälle - etwa, dass Menschen bei Lockerungen verschwunden sind - in den vergangenen 20 Jahren extrem reduziert. "Das heißt, wir haben viel besser verstanden, was wir tun müssen." Die Rückfallquote liege nach der Forensik unter zehn Prozent, nach einer Haft bei 30 Prozent. Rückfälle bedeuten nicht unbedingt schwere Straftaten.

Wie viele Menschen sind psychisch krank? Etwa ein Drittel der Deutschen werde irgendwann im Leben einmal psychisch krank, sagt Manfred Lütz, Chefarzt im Fachkrankenhaus für Psychiatrie, Psychotherapie und Neurologie der Alexianer in Köln. Etwa eine Million Deutsche ist schizophren. "Jeder kennt jemanden, der schizophren ist, aber er merkt es nicht", sagt Lütz. Denn ein Drittel der Schizophrenen werde wieder völlig gesund, zwei Drittel würden wieder berufsfähig, und nur ein Drittel sei chronisch krank, könne aber mit den heute zur Verfügung stehenden Hilfen ein erfülltes Leben führen. "Dass Tötungshandlungen von Schizophrenen besondere Aufmerksamkeit erregen, ist vor allem ein Medieneffekt, denn solche Taten sind bei Schizophrenen oft skurril oder drastisch." Über die vielen anderen Tötungsdelikte würde viel weniger berichtet.

Wie kommt man in eine Klinik?

Psychisch Kranke können gegen ihren Willen eingewiesen werden, wenn sie "gegenwärtig selbst- oder fremdgefährdend" sind. "Wenn man den Eindruck hat, dass ein solches schadenstiftendes Ereignis unmittelbar bevorsteht und man keine freiwillige Aufnahme erreichen kann, sollte man den Notarzt rufen", rät Lütz. Dieser könne eine solche Einweisung in die Wege leiten. Er muss die psychische Krankheit und die Gefährdung feststellen und das dem Ordnungsamt mitteilen. Das kann auf dieser Grundlage die Zwangseinweisung anordnen, die dann gegebenenfalls mit Hilfe der Polizei durchgeführt wird. Binnen 24 Stunden muss ein Richter feststellen, ob die Einweisung aufrechterhalten wird. "Zwangseinweisungen sind vergleichsweise selten, die meisten Patienten kommen freiwillig", betont Lütz, der auch feststellt: Natürlich sind nicht alle Suizide und Fremdaggressionen zu verhindern.

Wie ist es um die stationäre Versorgung bestellt? In Deutschland gibt es die sogenannte Pflichtversorgung, sagt Lütz. Für jeden Ort in Deutschland gibt es eine zuständige psychiatrische Klinik, wo ein stationär behandlungsbedürftiger Patient das Recht hat, sofort aufgenommen zu werden. Die stationäre Versorgung sei inzwischen sehr gut, die NRW-Landesregierung habe sogar die Bettenzahl erhöht. Künftig gibt es 20.332 Plätze auf Stationen und in Tageskliniken. Wie gut ist die ambulante Versorgung? Dort gibt es laut Deister Defizite. "Die Möglichkeiten zur ambulanten Versorgung von Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen sind in Deutschland oft nicht ausreichend." Es gebe ambulant zu wenig psychiatrisch tätige Ärzte. Mit ein Grund: Die Bezahlung ist zu gering. Im Durchschnitt bekommen Psychiater pro Patient 50 bis 60 Euro pro Quartal, unabhängig vom Aufwand. Ein weiteres Problem: Zu viele Menschen werden psychotherapeutisch behandelt, die eigentlich ein Coaching oder mehr Beratung benötigen. "Somit fehlen für Schwerkranke wie Schizophrene Ressourcen", sagt Deister. Für die Genesung sei Behandlungskonstanz besonders wichtig. Das heißt, Kranke werden eng von einem Arzt betreut, dem auch Veränderungen auffallen und an den sie sich wenden, wenn sie sich schlechter fühlen. Diese Konstanz bleibt oft außen vor, sagt Deister.

(mso)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort