Düsseldorfer Geschichten Eine Venetia auf allen Weltmeeren

Düsseldorf · Das Wiegen der Wellen, das Rauschen des Meeres, die Weite des Ozeans. Gisela Moog hat dafür nur ein Wort: "Hinreißend." Die ehemalige Venetia hat nicht nur eine lange Karnevalskarriere hinter sich. Ein Großteil ihres Lebens spielte sich auf hoher See ab.

 Venetia Gisela Moog mit Andenken an ihre Kreuzfahrten.

Venetia Gisela Moog mit Andenken an ihre Kreuzfahrten.

Foto: Endermann, Andreas (end)

30 Kreuzfahrten hat sie gemacht. Die letzte 2010. Jetzt ist's genug, sagt sie. Und lässt die Reisen von Acapulco bis Kapstadt, von Genua bis Rio de Janeiro, von Los Angeles bis Honolulu noch einmal Revue passieren.

Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen. Wenn es nach dem Volksmund ginge, dürfte Gisela Moog gar nicht mehr aufhören zu berichten. Die ehemalige Venetia hat die ganze Welt gesehen oder zumindest das, was von der ganzen Welt am Wasser liegt. Gisela Moog hat 30 Kreuzfahrten gemacht. 28 davon in 20 Jahren. Ihre erste mit 23, ihre letzte mit 73. Dass es die letzte gewesen sein soll, ist für die 74-Jährige klar. "Ich habe ja alles gemacht, was man machen kann", sagt sie. Das klingt wie "Es ist vollbracht", nur sehr viel unpathetischer.

Zu ergründen, wie es dazu kam, bedeutet, mit Gisela Moog auf eine Reise in die Vergangenheit zu gehen. Und die ist mitnichten fein säuberlich in dutzenden Fotoalben dokumentiert oder wird in Reise-Souvenir-Vitrinen wachgehalten. Auch da ist Gisela Moog eher unsentimental. Vergeblich sucht man in ihrer Wohnung all die Bilder von Acapulco bis Tokio. Das einzige Indiz für ihre "Kreuzfahrerinnen-Karriere" ist ein vergrößertes Foto von einer Reise, auf der sie ihr Mann Karl Fiedler begleitet hat, und auf der er an Bord seinen Geburtstag feierte. Es war eine Reise zum Nordkap, das weiß Gisela Moog noch genau. Ihr Mann bekam eine Geburtstagstorte. Auch die ist auf dem Bild zu sehen.

Die restlichen Fotos hebt Gisela Moog in einem großen Beutel auf. Fürs Gespräch über ihre Reisefreudigkeit erblickt der Riesenstapel unsortierter Bilder nun wieder das Tageslicht. "Ich muss mich erst mal selbst orientieren, wo das alles war", sagt sie. Hilfreich sind da die kleinen Platzteller und Aschenbecher, die ihr plötzlich wieder einfallen und die sie aus einem Schrank in der Küche holt. Gastgeschenke der Reedereien, auf denen die Routen der jeweiligen Kreuzfahrtschiffe abgebildet sind. Dem Betrachter wird schnell schwindelig angesichts all der abgebildeten Seewege von Anchorage in Alaska bis Cairns in Australien. Wo liegen denn jetzt noch mal die Komoren, wo Madagaskar, wo Kap Hoorn?

Der Ausflug in Gisela Moogs Vergangenheit zur See wird ein bisschen zum Geographie-Unterricht. Und je mehr sie die Bilder durchsieht, desto mehr Erinnerungen werden wach. Festspiele in Edinburgh, Oper in Sydney, Große Mauer in Peking, Grab von Evita Peron in Buenos Aires, Napoleons Verbannungsstätte St. Helena, Meru-Nationalpark in Kenia, Flussfahrt in Ghana und, und, und...

Als 19-Jährige wurde sie für den Düsseldorfer Karneval entdeckt

Dabei fing 1959 alles ganz unspektakulär an. Gisela Moog hatte die ersten Abenteuer des Lebens hinter sich. Zu den größten gehörte bis dahin ihre Venetienzeit im Jahr 1956. Als 19-Jährige wurde sie buchstäblich aus dem Volk für den Karneval entdeckt. Der damalige Präsident der Weissfräcke, Hugo Cremer, sah sie im Café Peters auf der Graf-Adolf-Straße und fragte die Cafébesitzerin, wer den das nette Mädchen sei. "Das wär' doch mal eine Venetia!" Gisela Moog, die bis dahin nicht das Geringste mit dem Düsseldorfer Karneval zu tun hatte, willigte spontan ein. 1956 stand sie gemeinsam mit Fritz Krampe an der Spitze der Düsseldorfer Narrenschar. Zu dieser Zeit arbeitete sie als gelernte Kauffrau im Steinmetz-Betrieb ihrer Eltern, Karl und Josefine, mit. 1958 heiratete sie, ihre Tochter kam zur Welt. Und ihre Mutter schenkte ihr die erste Reise. Mit der Hanseatic. Von Bremen Richtung Kanaren, mit Stopps auf Teneriffa, Lanzarote und Madeira und wieder zurück. "Es war eine Weihnachtsreise", erinnert sie sich. Sie fuhr allein, war die jüngste Passagierin auf dem Schiff und — nicht schwer vorzustellen — begehrte Tanzpartnerin der Offiziere. Schon bei ihrer Premiere an Bord durfte sie am Kapitänstisch Platz nehmen.

"Es war neu, es war ein bisschen komisch, aber insgesamt hat mir diese erste Reise unbedingt gefallen." Für Gisela Moog war klar: "Das wird mal meine Art zu reisen."

Bis zu ihrer zweiten Kreuzfahrt sollte es allerdings noch einige Jahre dauern. Wieder sorgte ihre Mutter dafür, dass sie aufs Schiff kam. Doch diesmal ging es nicht darum, die Tochter auf Entdeckungsreise zu schicken, sondern sie vielmehr auf andere Gedanken zu bringen. Gisela Moog hatte zwei Jahre zuvor einen schmerzlichen Verlust hinnehmen müssen, als ihre Tochter mit nur 16 Jahren plötzlich verstarb. Zum 40. Geburtstag machte ihre Mutter ihr das Reise-Geschenk: 14 Tage Mittelmeer, von Genua über Alexandria bis Istanbul und zurück. "Danach", sagt Gisela Moog rückblickend, "haben mich die Schiffsreisen nicht mehr losgelassen." Und irgendwie entstand in ihrem Kopf der Plan, die ganze Welt zu bereisen. "Zum Glück konnte ich meinen zweiten Mann auch dafür begeistern", erzählt sie. Der war bei etwa der Hälfte der Reisen an ihrer Seite. 1977 zum ersten Mal. Die Route: Von Genua durch die Ägäis, den Bosporus bis zur Krim und zurück.

Auf norwegischen Schiffen fühlte sie sich am wohlsten

Am liebsten reiste Gisela Moog mit den Kreuzfahrtschiffen Sagafjord und Vistafjord der Norwegisch-Amerikanischen Linie (NAL). Die fassten rund 400 Passagier und waren nicht so überladen, wie es Kreuzfahrt- und Partyschiffe heute sind. Was ihr besonders gefiel: "Es war immer sehr international an Bord. Das hat mir gefallen." Je häufiger sie mitreiste, desto größer war die Wahrscheinlichkeit, an den Kapitänstisch eingeladen zu werden und auch an entsprechenden Empfängen teilzunehmen. Dutzende Bilder zeigen sie und ihren Mann umgeben von Dienstgraden in Weiß und Blau. An die meisten Kapitäne und Offiziere erinnert sie sich nicht mehr namentlich. Auch die jeweilige Reise-Zuordnung fällt schwer. Uniformen machen, das liegt in der Natur der Sache, Unterscheidungen schwierig. Einfacher wird es, wenn Gisela Moog die Fotos von sich selbst an Deck betrachtet. "Ich hatte oft Kleider von Hanns Friedrichs", erzählt sie. Da fällt ihr schon eher ein, wann sie was, wo getragen hat. Mit Friedrichs ist sie bis heute befreundet. Das ein oder andere Stück des bekannten Düsseldorfer Modezaren hängt immer noch in ihrem Schrank.

Als Kreuzfahrten noch nicht fürs Massenpublikum waren, gehörte gehobene Kleiderwahl zum guten Ton an Bord. Und wenn es es über mehrere Wochen auf Reisen ging, wurde einiges benötigt. "Ich hatte auch schon mal bis zu 80 Kilo Gepäck dabei", erzählt die Düsseldorferin. 80 Tage dauerte ihr längster Trip. Rund 700 Tage hat sie auf See verbracht. Sie war in Alaska und auf den Falkland-Inseln, auf Hawaii und auf den Philippinen, hat alle Weltmeere überquert, sämtliche Kanäle von Suez bis Panama durchkreuzt, die Pyramiden gesehen und Taj Mahal. Der Weg zum indischen Tempel allerdings führte nicht übers Meer. "Ich hatte mir schon in Deutschland überlegt, dass ich unbedingt dorthin wollte", erzählt sie. Das Schiff lag in Bombay vor Anker. Taj Mahal war nur über zwei Inlandsflüge in Propellermaschinen zu erreichen. Für Gisela Moog eine echte Überwindung. "Da hatte ich mehr Angst als auf allen 30 Kreuzfahrten". Aber als sie vor dem Weltkulturerbe auf der Bank Platz nahm, "auf der schon Bundespräsident Lübke gesessen hatte", war alle Angst verflogen. "Das war eine der beeindruckendsten Reisen, die ich gemacht habe." Auch die erste Reise übers Schwarze Meer gehört zu den prägendsten Erlebnissen. Ende der 70er Jahre, als der Eiserne Vorhang die westliche Welt von den kommunistischen Ländern trennte, war eine Reise auf die damals noch sowjetische Krim ziemlich exotisch. "Wir wurden überall kontrolliert und bewacht." Unabhängige Landausflüge, um Städte und Leute kennen zulernen, waren da völlig ausgeschlossen.

Sie wurde dreimal seekrank und erlebte ein Feuer an Bord

So richtig frei fühlte sich Gisela Moog aber sowieso nur auf dem Meer. "Ich liebte die Seetage, den Blick in die unendliche Ferne. Davon konnte ich gar nicht genug kriegen." An schlechtes Wetter auf hoher See kann sie sich kaum erinnern. Drei Tage Nebel an Kap Hoorn fallen ihr ein, die Ozeanüberquerungen sind ihre hingegen alle in sonniger Erinnerung.

Auch wenn sie dreimal seekrank wurde, konnte das ihrer Kreuzfahrt-Leidenschaft nichts anhaben. Und nicht mal ein Schiffsunglück 1996 im Chinesischen Meer hielt sie davon ab, einige Monate später wieder an Bord zu gehen. Obwohl es dramatisch hätte enden können. "Es gab ein Feuer im Maschinenraum", erinnert sich Gisela Moog. "Es konnte nicht gelöscht werden. Das untere Deck musste geflutet werden." Wenn das nicht erfolgreich gelungen wäre, wäre das Schiff innerhalb weniger MInuten gesunken. "Wie die Estonia", sagt Passagierin Moog. Die Schotten blieben dicht, doch das Schiff war manovrierunfähig. Es gab keinen Strom und kein Wasser mehr. "Wir wurden ganz langsam von zwei Schleppern in einen amerikanischen Miltärhafen in Manila gezogen." Die Verpflegung übernahmen Versorgungsschiffe. Gisela Moog machte das nichts aus. "Für mich bedeutete es ja: Mehr Seetage", lächtelt sie.

Das Leben an Bord — das war ihres. Unabhängig von den vielen Eindrücken an Land gab es dort ja immer etwas zu erleben. Die Shows, Bälle und Galas mochte Gisela Moog besonders. "Mit der Sagafjord fuhren sehr viele schicke Amerikaner", erinnert sie sich. Und für das gut betuchte Publikum aus den USA wurden auch schon mal Show-Größen aus Las Vegas eingeflogen. Auch Kostümbälle fanden regelmäßig statt — für eine Düsseldorfer Karnevalistin natürlich ein Heimspiel. Und nicht zu vergessen das bunte Leben an Deck. Äquatortaufen hatten vor den Enthüllungen über die Exzesse auf der Gorch Fock noch einen anderen Klang. Gisela Moog erinnert sich: "Das waren harmlose Späße. Der Kapitän wurde samt Uniform in den Swimmingpool geworfen. Oder er musste einen toten Fisch küssen."

Heimatverbundenheit und Fernweh hielten sich die Waage

Je mehr sie reiste, umso mehr Bekanntschaften machte sie. "Wir waren mit verschiedenen Ehepaaren auch aus dem Düsseldorfer Raum über Jahre befreundet. Ein ums ander Mal hat man sich dann auch für eine weitere gemeinsame Schifffahrt verabredet und traf sich spätestens beim Kapitäns-Cocktail, in der Kapitänskabine, zu der die "Wiederholungstäter" an Bord eingeladen wurden. Im Rückblick kommen ihr die vielen Reisen gar nicht so mächtig vor. Ihr Mann war geschäftlich oft eingebunden, ihre Mutter beschloss Ende der 60er Jahre, den Betrieb am Südfriedhof zu verkaufen. So blieb Raum und Zeit für das Hobby. "Mein Leben hat nach dem Tod meiner Tochter eben diesen Verlauf genommen", sagt Gisela Moog, ohne sich tiefer in die Seele blicken zu lassen. Mag sein, dass das Meer und die Weite ihr Trost gegeben haben. Doch Fernweh und Heimatverbundenheit hielten sich Zeit ihres Lebens die Waage. Auf dem Grundstück des elterlichen Betriebes steht heute ein Wohnkomplex mit mehreren Wohnungen. Sie lebt in einer davon und hält das Erbe ihrer Eltern in Erinnerung. Auch aus dem Karneval und dem gesellschaftlichen Leben ist sie nicht wegzudenken.

Die 30. Kreuzfahrt 2010 soll ihre letzte gewesen sein. "Ich wollte noch nach Vietnam und Kambodscha. Das habe ich gemacht. Nun habe ich per Schiff alles gesehen. Dabei bleibe ich." Die Ziele, die ihr an Land noch fehlen, ließen sich noch nachholen. "Ich war noch nie in Moskau", fällt ihr ein. Tibet hat sie gestrichen. Das dürfte zu anstrengend werden. Auch wenn es eine Reise im Andenken an ihren inzwischen verstorbenen Mann würde. "Der hat immer gesagt: Es müsste eine Schiffstour zum Himalaya geben."

(RP)
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