Serie Düsseldorf wächst "Stadt ist mehr als nur eine Kulisse"

Düsseldorf · Interview: Reinhold Knopp ist Professor an der Fachhochschule und erforscht Düsseldorf aus dem Blickwinkel des Soziologen.

 Plädiert für den Erhalt der Vielfalt in der Stadt: Reinhold Knopp, FH-Professor im Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften.

Plädiert für den Erhalt der Vielfalt in der Stadt: Reinhold Knopp, FH-Professor im Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften.

Foto: Andreas Endermann

Herr Knopp, Sie sind überzeugter Wahl-Düsseldorfer. Freut es Sie, dass die Düsseldorfer mehr werden?

Serie Düsseldorf wächst: "Stadt ist mehr als nur eine Kulisse"
Foto: RP/Carla Schnettler

Knopp Grundsätzlich ja. Denn es ist in dieser Zeit für jede Stadt toll zu wachsen.

Ist Wachstum Chance oder Fluch?

Knopp Zunächst haben die wachsenden Städte natürlich bessere Ausgangspositionen als jene, in denen die Einwohnerzahl sinkt. Mit dem Wachstum sind aber auch Herausforderungen verbunden.

Welche sind die Folgen aus Ihrer Sicht des Soziologen?

Knopp Jede Stadt, die wächst, muss auch Entscheidungen treffen: Wie viel der Entwicklung will sie selbst bestimmen, wie viel dem freien Markt überlassen? Auf jeden Fall sollte eine wachsende — wie auch eine schrumpfende — Stadt die Herausforderungen interdisziplinär, also bereichsübergreifend angehen. Wir haben derzeit an unserem Lehrstuhl ein Forschungsprojekt, das interdisziplinär ist. Es heißt "Lebenswerte und umweltgerechte Stadt".

Worum geht es da konkret?

Knopp Wir untersuchen fachübergreifend die Stadtteile Rath und Unterrath auf ihre Lebensqualität. Beteiligt sind Sozialwissenschaftler und -pädagogen, Architekten und Umwelttechniker. Es ist eine sehr spannende und fruchtbare Zusammenarbeit. Stadtteile müssen mehr in den Fokus. Große Feste müssen nicht nur auf dem Burgplatz stattfinden. Oder ein besseres Radwegenetz, damit werden Stadtteile besser erreichbar.

Hat also Thomas Geisel, der OB-Kandidat der SPD, Recht, wenn er in seinem Wahlkampf die Stadtteile ins Zentrum stellt?

Knopp Ich finde, dass wir in Düsseldorf die Stadtteile mehr in den Blick nehmen sollten. Das macht die Industrie- und Handelskammer sehr gut, die sich stark mit der Situation des Einzelhandels in den Stadtteilen auseinandersetzt. Dieser Faktor ist nicht zu unterschätzen. Auch Alten- oder Pflegeheime müssen sich mehr den Stadtteilen öffnen, in denen sie sich befinden. Auch um den Schrecken zu verlieren, wenn ein älterer Mensch aus der eigenen Wohnung dorthin ziehen muss. Gerade bei notwendigen Veränderungen ist das Gewohnte so wichtig.

Vor welchen Herausforderungen steht Düsseldorf?

Knopp Gesellschaftliche Trends sind zwar vorübergehend. Aber einige werden uns die nächsten Jahre bis Jahrzehnte beschäftigen. Das sind zum einen die Folgen der Individualisierung, dass Generationen vielfach nicht mehr an einem Ort leben, dass es viele Alleinerziehende und Kinderlose gibt. Wichtig sind ferner die Themen Migration und demografische Entwicklung. Bei Daten zur Demografie leistet das Amt für Statistik und übrigens hervorragende großartige Arbeit. Doch wir müssen überlegen, welche Folgerungen wir aus den Daten ziehen.

Der Einwohnerzuwachs ist vor allem bei der Gruppe der 18- bis 30-Jährigen zu verzeichnen, kaum bei jungen Familien und Senioren. Was bedeutet das für das Stadtleben?

Knopp Ich habe dazu keine gesicherten Daten. Aber meine Einschätzung ist, dass es in der jungen Altersgruppe nicht in erster Linie Studenten sind, die verstärkt in die Stadt ziehen. Den meisten ist Düsseldorf zu teuer, sie bleiben lieber in ihrem Heimatort und pendeln zur Hochschule. Also handelt es sich vermutlich um Gutverdienende. Ich finde vor allem wichtig, dass Leute, die in die Stadt ziehen, sich dessen auch bewusst sind und nicht nur eine Ideal-Vorstellung davon haben.

Wie meinen Sie das?

Knopp Eine Großstadt hat kleinräumig unglaublich große Unterschiede. Sie ist laut, hat Oasen der Ruhe, aber auch viel Verkehr und Feste. Wer hier herzieht, muss akzeptieren, dass er mal um einen Euro angebettelt wird oder auch mal jemanden grüßen muss. Menschen ziehen doch nicht in innerstädtische Bereiche, um die Vorort-Ruhe zu haben. Das Leben in der Stadt bedeutet auch Belästigung. Begreift man sie nur als Ort der Sicherheit, bleibt die Stadt nur eine Kulisse.

Bei steigenden Einwohnerzahlen wird das Thema Wohnen wichtiger. Hat die Stadt das richtige Konzept?

Knopp Wie das neue Handlungskonzept greift, muss man sehen. Ich finde, dass man allen, die in Düsseldorf leben, das auch künftig ermöglichen sollte. Da reichen die im Handlungskonzept für preiswerten Wohnraum festgelegten 8,50 Euro pro Quadratmeter nicht aus. Deshalb bin ich für mehr sozialen Wohnungsbau. Dabei sollte die Städtische Wohnungsbaugesellschaft stärker eingebunden sein — wie zum Beispiel in Neuss. Sozialer Wohnungsbau darf nicht mit Stigmatisierung einhergehen.

Wie meinen Sie das konkret?

Knopp Weil zu den potenziellen Mietern längst auch Menschen mit hoher Bildung sowie Interesse an Kunst und Kultur gehören, die sich das großstädtische Leben nicht mehr leisten können. Es gibt viele Düsseldorfer, die mit ihrer Stadt verbunden sind. Das ist ein wichtiges Gut. Es muss im Interesse der Stadt sein, diese Leute zu halten und zu beteiligen.

Ist es so schlimm, wenn jemand wegen der niedrigeren Preise in die Region umziehen muss?

Knopp Das hängt von der jeweiligen Lebensphase und -planung ab. Jüngere Menschen sind flexibel. Und warum sollten Ältere ein besonderes Wohnprojekt nicht dort realisieren, wo sie billig ein Haus erwerben können? Aber Menschen, die mit ihrem Stadtteil verbunden sind, sollten die Möglichkeit haben, dort bleiben zu können, auch wenn sie mal umziehen.

DENISA RICHTERS FÜHRTE DAS INTERVIEW.

(RP)
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