Hans-Joachim Kensbock-Rieso Ein Leben für die Polizei

Düsseldorf · Er hat in Afghanistan Polizisten ausgebildet, viele Anschläge erlebt, ganz nah, "einige habe ich im Rückspiegel gesehen, einige waren direkt vor mir". Er hat jahrelang die Polizeiinspektionen Mitte und später Nord geleitet, Fortuna-Spiele begleitet, Rosenmontagszüge, Groß-Demonstrationen. Trotzdem ist das erste Erlebnis, das Hans-Joachim Kensbock-Rieso am letzten Tag seiner Polizisten-Laufbahn einfällt, ein frühes.

Er hat in Afghanistan Polizisten ausgebildet, viele Anschläge erlebt, ganz nah, "einige habe ich im Rückspiegel gesehen, einige waren direkt vor mir". Er hat jahrelang die Polizeiinspektionen Mitte und später Nord geleitet, Fortuna-Spiele begleitet, Rosenmontagszüge, Groß-Demonstrationen. Trotzdem ist das erste Erlebnis, das Hans-Joachim Kensbock-Rieso am letzten Tag seiner Polizisten-Laufbahn einfällt, ein frühes.

Ganz jung im Wachdienst war er da, Anfang der 70er-Jahre, als er mit einem Kollegen zu einem Familienstreit an die Binterimstraße in Bilk gerufen wurde. Als die Beamten eintrafen, arbeitete das Pärchen seine Beziehung auf: "Ich sehe sie noch am Tisch sitzen, mit ihren Teetassen, ganz friedlich."

Mit gutem Gefühl, sagt Kensbock-Rieso mehr als vier Jahrzehnte später, sei man damals wieder weggefahren - und kaum bis zur nächsten Ecke gekommen, ehe ein neuer Funkspruch kam und die Beamten zurückbeorderte. Da hatte der Mann die Teetasse bereits zerschlagen und damit der Frau die Halsschlagader zerschnitten. Sie war schon tot, als die Polizisten eintrafen. "Ich werde diesen Einsatz nie vergessen", sagt er.

Viele denkwürdiges Erlebnisse hat der Leiter der Polizeiinspektion Nord gesammelt, der gestern nach 45 Jahren in den Ruhestand verabschiedet wurde - die meisten in Düsseldorf. 1970 fing er bei der Polizei an, auf Wunsch der Mutter, die sich für ihren Jungen (der eigentlich Mechaniker werden wollte) eine solide Ausbildung wünschte. 1972, als 19-Jähriger, kam der Umzug von Datteln nach Düsseldorf, das für den Vollblut-Polizisten längst Heimat geworden ist.

Einige Geiselnahmen hat Kensbock-Rieso erlebt. Die wohl dramatischste Anfang der 80er-Jahre in der Sparkasse an der Lenaustraße, wenige Fuß-Minuten von der Polizeiinspektion entfernt, in der er die letzten Dienstjahre verbracht hat. Die Täter forderten Bier und Zigaretten: "Und ich habe beides ins Gebäude gebracht, ohne große Absicherung, das wäre heute gar nicht mehr möglich." Erst als er einem Geiselnehmer gegenüberstand, sei ihm die Lage bewusst geworden. "Stell den Scheiß dahin und verpiss dich", habe der Bewaffnete gesagt: "Ich hätte aber leicht die zweite Geisel werden können." Dramatisch endete der Einsatz dennoch: Als die Polizei nach fast 40 Stunden die Bank stürmte, raste die Frau eines Täters mit dem Auto in eine Absperrung, ein 14-Jähriger starb.

Kensbock-Rieso berichtet all das lebhaft, aber nicht dramatisch, gelassen, aber nicht cool. Vielleicht ist die entspannte Haltung ein Erfolgsrezept, das ihm in dramatischen Momenten geholfen hat. Und in denen, über die man nach Jahren auch schmunzeln kann - wie bei einem großen Betrugsfall 1980. Zwei Männer, die einen Konzern um 36 Millionen D-Mark erleichtert hatten, waren seit Wochen auf der Flucht, als Kensbock-Rieso und ein Kollege den Auftrag bekamen, die Wohnung des einen zu überwachen, falls der zurückkehre. Eine dumme Aufgabe, fand er: "So bescheuert kann doch keiner sein."

So saß er in der Bilker Wohnung, der Kollege war unterwegs zur Imbissbude, da öffnete sich die Tür - und der Gesuchte kam herein. "Ich war so perplex, ich habe mich sofort auf ihn gestürzt und ihn fixiert. Dabei war der eigentlich friedlich", sagt der Polizist. Und fügt hinzu: "Ein netter Kerl." Ein bisschen ärgerlich verlief der Einsatz, bei dem er mit Kollegen die von Joseph Beuys besetzte Kunstakademie räumen musste. Denn Beuys machte später aus einem Foto des Einsatzes ein Kunstwerk: "Und ich bin in der Reihe ausgerechnet der erste, der nicht mehr mit auf dem Bild ist", sagt Kensbock-Rieso lachend.

Ernster wird er, als er über seine Erlebnisse in Afghanistan spricht. Zweimal war er dort, erstmals 2005, um die frühere Polizei-Akademie in Kabul wieder aufzubauen, dann nochmal 2009 als Berater unter anderem für den afghanischen Innenminister. "Das Land packt einen. Ich würde wieder hingehen", sagt der 62-Jährige. Obwohl die Gefahr allgegenwärtig war: "Man denkt irgendwann nicht mehr daran", sagt er: "Der Tod gehört dazu, man macht nach einem Anschlag einfach weiter." Einige Verhaltensregeln gewöhnte er sich an - und weil es überall Skorpione gab, schüttelte er eben vor dem Anziehen stets die Schuhe aus, auch nach der Rückkehr noch eine ganze Weile. Kensbock-Rieso genoss den Einsatz: "Meine Frau hat sich um unsere beiden Kinder gekümmert, und ich durfte mich verwirklichen."

Von Afghanistan ging es zur Polizeiinspektion Nord - und die Fußballspiele der Fortuna boten selbst nach den Erfahrungen in einem der umkämpftesten Gebiete der Welt nochmal eine neue Herausforderung. "Jeder Einsatz ist anders, jeden muss man neu vorbereiten", sagt Kensbock-Rieso. Vor einem Risiko-Spiel war das Magendrücken oft schlimmer als vor einem gefährlichen SEK-Einsatz: "Und die Erstliga-Zeit war in dem Punkt nochmal ein Quantensprung."

Mit dem neuerlichen Aufstieg in die Erste Liga pünktlich zum Ruhestand ("Das war fest abgesprochen!") hat es nicht geklappt, eine Dauerkarte hat der Polizist trotzdem von seinem Sohn bekommen. Damit sind die Heimspiel-Tage schon gefüllt - in der restlichen Zeit wird er sich als Ansprechpartner für Flüchtlinge aus Afghanistan engagieren - und Musik machen, endlich wieder so Gitarre spielen wie früher. Den Stones-Hit "As Tears go by" zum Beispiel: "Eben die Lieder, mit denen ich früher solchen Erfolg bei Frauen hatte."

(RP)
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