Engagement Vom Leben und Überleben in Indien

Düsseldorf · Max Frisch hat mal gesagt, dass wir auf Reisen einem Film gleichen, der belichtet und erst durch die Erinnerung entwickelt werde. Bei vielen Urlaubs-Rückkehrern sind es oft Bilder von einer sorglosen Zeit - am Strand, beim Shopping oder Essen. Doch wenn Simone Fischer ihren Film entwickelt, gewinnen Menschen Farbe und Kontur, die auf einer Müllhalde nach etwas Essbarem suchen. Deren Lepra-Wunden verarztet werden. Oder die trotz Armut und Not in die Kamera lächeln.

Max Frisch hat mal gesagt, dass wir auf Reisen einem Film gleichen, der belichtet und erst durch die Erinnerung entwickelt werde. Bei vielen Urlaubs-Rückkehrern sind es oft Bilder von einer sorglosen Zeit - am Strand, beim Shopping oder Essen. Doch wenn Simone Fischer ihren Film entwickelt, gewinnen Menschen Farbe und Kontur, die auf einer Müllhalde nach etwas Essbarem suchen. Deren Lepra-Wunden verarztet werden. Oder die trotz Armut und Not in die Kamera lächeln.

Sechs Wochen, ihren ganzen Jahresurlaub, hat Simone Fischer - im Hauptjob Sprecherin der Hochschule Düsseldorf, im Nebenjob Journalistin - Ende 2015 in Indien verbracht, um Pater Franklin Rodriguez, einen Projektpartner der Indien-Hilfe, bei Bildungsprojekten und der Armutsbekämpfung zu begleiten und unterstützen. Wenn Fischer Internet und Strom für ihren Laptop hatte, hat sie in einem Blog über ihre Erlebnisse, Eindrücke und Begegnungen geschrieben, aus dem ein Buch mit dem schlichten Titel "Tage in Indien" entstanden ist.

"Wie oft hatte ich darüber nachgedacht, einfach ein Ticket nach Kabul oder Johannesburg zu kaufen und einfach wegzugehen, neue Themen zu finden, gute Reportagen zu machen", sagt sie. Doch erst nachdem eine Kollegin ihren Job kündigte, ohne etwas Neues zu haben, und Fischers Vater ihr kurz vor seinem Tod das Versprechen abnahm, niemals ihre Träume aus den Augen zu verlieren, sei der Gedanke konkreter geworden, der Mut gewachsen. Ihr bester Freund habe sie dann mit der Indien-Hilfe in Kontakt gebracht.

7000 Kilometer hat Fischer in Indien zurückgelegt, verschiedene Projekte in Bhopal, Kalkutta, Goa, Delhi, Coimbatore und Mumbai, vor allem aber die Menschen kennengelernt, die ohne diese Arbeit keine Chance auf ein Überleben und eine bessere Zukunft hätten: "Ich habe gerade in Kalkutta viel Elend gesehen, vor allem aber Menschen erlebt, die dennoch aus einer inneren Schönheit heraus lächeln, Freude empfinden und versprühen können."

Da ist zum Beispiel diese Frau, die zusammengekauert und regungslos zwischen Plastik- und Gemüseabfällen, umringt von Ratten, streunenden Hunden und Fliegen, liegt. Als Suresh Desai, der früher an der Seite von Mutter Teresa arbeitete, sie weckt und Fischer ihr einen Teller mit Reis, Dal (einem Linsengericht) und Kartoffeln reicht, lächelt sie aber sofort. Und isst. Da sind die Menschen, die wegen ihrer Lepra-Krankheit sprichwörtlich am Rande der Gesellschaft leben. Wenn Fischer und die anderen Helfer zu ihnen gehen, deren Wunden säubern, desinfizieren, einsalben und verbinden, bekommen sie ein Lächeln: aus Dankbarkeit für die Hilfe, die Gespräche, die Berührungen.

Eindringlich und bewegend schildert Fischer das, was sie gesehen, empfunden und erlebt hat, hinterfragt aber auch kritisch die Missstände und macht gesellschaftliche und politische Zusammenhänge sichtbar. Bereits Monate vor ihrer Reise hatte sie Berichte, Statistiken und Romane über Indien gelesen.

Ihr Buch ist daher mehr als die Geschichte einer Frau, die sich ehrenamtlich engagiert und ihre Erlebnisse aufgeschrieben hat. "Oft frage ich mich, wie es den Kindern in den Schulen, den Menschen, denen ich eine warme Mahlzeit reichen durfte, oder den Patienten in der Lepra-Kolonie geht", sagt Fischer.

Zum Abschied habe ihr Pater Franklin gesagt, dass dies erst der Anfang sei. Daran glaubt inzwischen auch Fischer: Sie ist in den Beirat der Indien-Hilfe berufen worden und wird Weihnachten ihren nächsten Film in Indien "belichten": Dann wird sie die Biografie des Mannes schreiben, der sie inspiriert und vielen Menschen in Indien beim Leben und Überleben geholfen hat: Pater Franklin. Semiha Ünlü

(semi)
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