Benrath Ein Leben wie aus einer Chronik

Benrath · Gestern feierte Ursula Zaertling ihren 100. Geburtstag. Sie überlebte in Japan sogar den Abwurf der Atombombe.

 Dass diese Dame gestern 100 Jahre alt geworden ist, sieht man ihr nicht an. 1948 flüchtete sie mit ihrem Mann nach Benrath, wo sie sich ein komplett neues Leben aufbauen mussten.

Dass diese Dame gestern 100 Jahre alt geworden ist, sieht man ihr nicht an. 1948 flüchtete sie mit ihrem Mann nach Benrath, wo sie sich ein komplett neues Leben aufbauen mussten.

Foto: Staschik, Olaf

Ihr Leben liest sich wie eine Chronik des 20. Jahrhunderts: 1915 in Berlin geboren, zwischenzeitlich in Japan gelebt, ab 1948 in Benrath heimisch. Ursula Zaertling feierte gestern ihren 100. Geburtstag. Mit ihrem Mann, Adolf Zaertling, der Regionalchef der Firma Bayer für Japan und Korea war, zog sie in jungen Jahren nach Japan. Dort erlebte sie auch das Ende des Zweiten Weltkrieges mit. "Als die Atombombe auf Hiroshima abgeworfen wurde, waren wir wenige Kilometer entfernt", erzählt sie. Eine der vielen historischen Landmarken in ihrem Leben.

So fiel ihr erster Hochzeitstag auf den 1. September 1939, den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. Weitestgehend unbeschadet vom Abwurf der Atombombe wurden sie mit dem Einmarsch der Amerikaner interniert, enteignet und später deportiert. "Als Deutscher war man sofort ein Nazi und wurde auch dementsprechend behandelt", sagt Zaertling. Dass sie heute noch lebe, verdanke sie einer großen Menge Glück.

Ihre Ausreise nach Deutschland glich einer Odyssee durch halb Asien. "Viele Schifffahrtsstrecken waren vermint, nicht wenige Flüchtlinge sind dabei umgekommen", berichtet sie. Nach einer letzten Station in Shanghai sei es ihnen jedoch gelungen, auf ein Schiff zu kommen, das Deutschland ansteuerte. "Die Fahrt hat sechs Wochen gedauert. Wir mussten durch zwei Taifune hindurch, bevor wir schließlich Bremerhaven erreichten", sagt sie.

Als das Ehepaar sich 1948 in Benrath niederließ, musste es komplett von vorne anfangen. Ausgestattet mit nur 40 Reichsmark und keinem Eigentum begann ein neuer Abschnitt in Ursula Zaertlings Leben. Weil beide durch die abgeworfene Atombombe in Hiroshima Strahlung abbekommen hatten - wenn auch nur geringfügig - beschlossen sie erstmal, aus Angst vor einer Behinderung, keine Kinder zu bekommen. "Ende der 40er Jahre gab man mir dann jedoch Entwarnung", erzählt sie. 1949 kam ihre einzige Tochter zur Welt, die noch heute bei ihr im Haus lebt. Da ihr Mann bei Bayer nicht sofort eine gleichwertige Stellung erhielt, begann sie im Anschluss eine dreijährige Ausbildung zur Kosmetikerin. "Ich bin von Haus zu Haus gegangen und habe die Frauen hübsch gemacht",sagt Zaertling. Ihren Vater, der sich in der DDR weigerte, der SED beizutreten, holte sie nach fast vier Jahren Gefängnis zu sich - ebenso wie ihre Mutter, die von Ursula Zaertling nach einem Schlaganfall gepflegt wurde. "Mit Erfolg", wie sie ergänzt. Aus Interesse belegte sie zudem an der Volkshochschule Kurse in Philosophie und Psychologie. "Ich wusste ja nicht, wozu das dann führte", sagt sie. Durch Zufall sei sie dann an Paul Mikat geraten. Mikat war seinerzeit nordrhein-westfälischer Kultusminister und musste einenerheblichen Lehrermangel ausgleichen. Seine Lösung: Ein Lehramtsstudium im Schnellverfahren. Einzige Bedingung war das Abitur. Da sie wegen des Krieges jedoch keine schulischen Nachweise mehr besaß und auch die Archive zerstört waren, machte sie 1967, mit 52 Jahren, ihr Abitur nach. "Ich wollte unbedingt Lehrerin werden. Als ich dann den Abschluss hatte, war ich ein Mikätzchen", erzählt sie schmunzelnd.

Zu ihren liebsten Beschäftigungen zählen fast ihr gesamtes Leben Yoga und Reisen. "Ich habe jeden Tag einen Kopfstand und später auch Yoga gemacht", sagt sie. Inzwischen seien es jedoch nur noch ein paar Übungen am Morgen. Auch die Reiselust ist ihr nicht vergangen, auch wenn sie inzwischen meist mit dem Bus innerhalb Deutschlands und nicht wie früher in ferne Länder verreist. Zuletzt war sie vor sechs Wochen auf einer achttägigen Reise an der Mosel unterwegs. Nach der obligatorischen Ehrung der Stadt Düsseldorf zu ihrem Geburtstag, fuhr Ursula Zaertling zur Geburtstagsfeier mit ihrer Familie ins Alte Fischerhaus, natürlich mit ihrem eigenen Auto. "Dafür habe ich eine schriftliche Sondergenehmigung. Ich wurde schließlich preußisch erzogen", sagt sie lächelnd.

(maxk)
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