Benrath Görings Roman einer Generation

Benrath · "Spiegelberg" erzählt aus der Sicht der Kinder der Nachkriegszeit. Der dritte Roman von Michael Göring, aus dem er bei der Montagsprosa las, zeigt die Traumata der heute 50- bis 60-Jährigen.

Rund 70 Gäste und damit weit mehr als an anderen Terminen hatten sich am Montagabend in der Orangerie zur Lesung des Autors Michael Göring eingefunden. Der gebürtige Westfale, Leiter der gemeinnützigen Zeit-Stiftung und Honorarprofessor für Musik und Theater stellt mit "Spiegelberg" seinen dritten zeitgeschichtlichen Roman vor.

Spiegelberg liegt in Langenheim und ist eine der typischen trostlosen Arbeitersiedlungen, in denen eine verschworene Kindergruppe - die Fury-Bande - zu Hause ist. 50 Jahre später treffen sich mit Nina und Martin zwei ehemalige Furys, um ihren fünften Freund zu begraben. Ihr Gang über den Friedhof wird zu einer bewegenden, spannenden Zeitreise in die Vergangenheit. Eigentlich leben sie zusammen - Nina (immer noch) am Ort ihrer Kindheit und Martin in Köln. Also "provisorisch nicht endgültig" - weil bei Martin "etwas revoltiert", wenn er über eine Rückkehr nach Langenheim nachdenkt. Zwischen den Friedhofgängen und der Gegenwart spannt Göring Rückblenden zur Kindheit der Fury-Bande.

Ein Kapitel ist der sechsjährigen Nina gewidmet. Ihre Verlassenheit wird für den Zuhörer förmlich greifbar. "Verwöhntes Balg, hör auf zu flennen, du kriegst eine Tracht Prügel", steigert sich der Vater bei einem gemeinsamen Stadtspaziergang in seinen Zorn. "Nina kann nicht mehr gehen oder sprechen, nur noch weinen", liest Göring. Der Vater verschwindet zornentbrannt und Nina bleibt zurück. "Vater ist nervös", erklärt die Mutter solche Zorn-Momente. Das habe mit dem Krieg zu tun; Kinder könnten das nicht verstehen.

Ein anderes Kapitel: Martin erlebt die ersten italienischen Gastarbeiter. Sie wirbeln Spiegelbergs subtile "heile" Welt gehörig durcheinander. Dass Vater sie Spaghettifresser nennt, obwohl sie Bratkartoffeln essen, ist nur eines von vielen Rätseln für den neunjährigen Martin. Ebenso wie das beängstigend dichte schwarze Brusthaar eines Italieners.

Dann ist da Ilona, die irgendwann überraschend bei Martins Familie übernachtet, weil der Vater...?

Martin versteht das nächtliche Getuschel seiner und Ilonas Mutter nicht wirklich. Und diese "Negerinnen", die der katholische Pfarrer aus Brasilien holt - unglaublich. "Der Paul kommt später im Buch, es müssen noch Geheimnisse übrig bleiben", meint Göring zwischendurch amüsiert zu den gebannten lauschenden Zuhörern.

Ob haarsträubende Vorurteile, schwelende Traumata, sprachlose Eltern, rätselhafte Konflikte, Klatsch oder Heuchelei - Michael Göring lässt mit den teils autobiografischen Inhalten und engagierter Vortragsweise gleichsam einen spannenden Schwarz-Weiß-Film aus den 60ern entstehen. Petra Körner sagt begeistert: "Die Interpretation ist ganz toll". Sie sei nicht so aufgewachsen, aber "es ist spannend, zu hören, wie es anderen ergangen ist." Ulrich und Josephine Hendricks meinen: "Wir haben uns in vielen Passagen wiedergefunden." Die authentische und lebendige Vortragsweise des Autors beeindruckte.

(bgw)
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