Flingern Ruha will Ärztin werden

Flingern · Mit ihren Eltern ist sie aus Syrien über das Mittelmeer geflohen. Jetzt macht Ruha ihren Vater stolz und geht auf die Grundschule.

 Eine Schultüte, fast so groß wie das Mädchen selbst: Ruha (6) ist mit ihren Eltern aus Syrien geflohen. Gestern verbrachte sie ihren ersten Schultag an der Grundschule Flurstraße, später will sie einmal Ärztin werden.

Eine Schultüte, fast so groß wie das Mädchen selbst: Ruha (6) ist mit ihren Eltern aus Syrien geflohen. Gestern verbrachte sie ihren ersten Schultag an der Grundschule Flurstraße, später will sie einmal Ärztin werden.

Foto: Anne Orthen

Einen Tornister braucht Ruha noch nicht, es ist ja der erste Tag. Also trägt sie eine Schultüte, blau und mit kleinen Blümchen gemustert, die fast so groß ist wie sie selbst. Sie ist so schwer, dass Ruha beide Hände braucht, um sie zu tragen. Ihre Schwester Buruig drückt ihr zusätzlich noch einen Strauß hübscher gelber Blümchen in die Hand. Das ist ein bisschen zu viel für die kleine Ruha. Aber sie strahlt. Etwas schüchtern vielleicht, aber Ruha ist auch erst sechs. Sie darf etwas schüchtern sein. Außerdem hat Ruha einen aufregenden Tag vor sich: ihren ersten Schultag an der Gemeinschaftsgrundschule Flurstraße.

Schon um Viertel vor acht am Donnerstagmorgen ist Ruha hellwach. Ihr Schulprogramm fängt zwar erst um neun mit einem Gottesdienst und ein paar Spielen an, aber weil die größere Schwester Buruig (10) schon in die vierte Klasse geht und frühen Unterricht hat, ist die Familie auf den Beinen. Jedenfalls der größte Teil der Familie. Ruha hat neben Buruig noch zwei weitere Geschwister: Mustafa (16) und Tassnim (14). Sie gehen schon auf weiterführende Schulen, müssen und wollen nicht mehr von den Eltern begleitet werden.

Vater Amir ist stolz auf seine Familie. Er steht auf dem Schulhof in Flingern, schaut auf seine Tochter Ruha, die sich an Mama Raua festhält und sagt: "Ich habe das Leben meiner Frau, meiner Kinder und mein eigenes aufs Spiel gesetzt. Vor allem für meine Kinder." Amir, der 51-Jährige, lernt gerade Deutsch im Integrationskursus, ein paar Sätze kann er schon. Aber um solche komplexen Gefühle auszudrücken, braucht er einen Dolmetscher. In der Heimat Syrien hatte Amir eine Fabrik für Getränke. Zur Mittelschicht habe er gehört. All das ist vorbei. "Mein Land ist total kaputt", sagt Amir. Er ist mit seiner Frau und den vier Kindern aufgebrochen in eine ferne Welt in Flingern.

Alles mussten sie hinter sich lassen, Freunde, Verwandte, die Fabrik, das Haus. Was bleibt, ist die Erinnerung und die Hoffnung auf ein besseres Leben in Sicherheit. Für diese Hoffnung hat sich die Familie in die Hände von Schleusern begeben. Sie ist in die Türkei gereist und dort in ein Boot gestiegen, das sie bis nach Sizilien gefahren hat. Ein Boot, das auch hätte untergehen können, das nie im fernen Ziel Europa angekommen wäre. Dann wären sie bloß in einer Statistik aufgetaucht, bei denen, die es nicht geschafft haben.

Aber Amir hat es geschafft, er hat seine Familie heil und sicher nach Deutschland gebracht, in das Land seiner Träume. Es habe einen so guten Ruf, sagt er. Deswegen ging es aus Italien über Österreich direkt nach Bielefeld. Im Mai hat die Familie ihren Aufenthaltstitel bekommen - nach anderthalb Jahren in diesem Land. Jetzt wird alles besser, die Zukunft beginnt. Sie fühlen sich alle wohl in Düsseldorf, die Menschen sind so herzlich hier, sagt Amir. Bei Hannah Konietzny von "Flingern mobil", die ihnen überall hilft, bedankt er sich vor allem. Mit Behörden, mit der Integration oder halt mit dem ersten Schultag. Amir ist ein höflicher, herzlicher Mensch, sein Lächeln wirkt entwaffnend.

Da steht Ruha nun, vor den schweren Türen ihrer neuen Grundschule. Ob sie all das versteht, was ihren Vater bedrückt? Er wünscht sich so sehr, dass sie ein gutes Leben hat, eine gute Bildung. "Das ist meine Pflicht", sagt Amir. Ruha sagt, sie will Ärztin werden. Da lächelt der Papa stolz.

(RP)
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