Garath Plaudereien aus dem französischen Nähkästchen

Garath · "Ausverkauft" prangt auf dem Plakat, das eine Autorenlesung mit dem Journalisten und Frankreichkenner Ulrich Wickert ankündigt. Die Buchhandlung Dietsch hat Mittwochabend in die Freizeitstätte Garath eingeladen. Der frühere Leiter des ADR-Studios in Paris und Tagesthemen-Moderator liest aus seinem Buch "Frankreich muss man lieben, um es zu verstehen".

 Eineinhalb Stunden fesselte Ulrich Wickert die Zuhörer in der Freizeitstätte Garath.

Eineinhalb Stunden fesselte Ulrich Wickert die Zuhörer in der Freizeitstätte Garath.

Foto: Anne Orthen

Letztlich hätte Wickert, der im lockeren Plauderton seine Zuhörer fesselt, kaum sein Buch gebraucht. Der 74-Jährige beherrscht die Erzählkunst. Er diagnostiziert bei den Franzosen eine Identitätskrise, das war der Impuls zu seinem vierten Buch über Frankreich. Der Beruf seines Vaters führte ihn mit 13 Jahren zu den Franzosen. "In einem dreiviertel Jahr konnte ich französisch sprechen. Und ich habe nicht nur das Land, sondern auch das Denken kennengelernt."

Im Prolog unternimmt der Autor einen Abstecher zu einer Begegnung mit Emmanuel Macron, dem französischen Präsidenten "Ich fragte ihn, wer 2007 Präsident wird, Sarkozy oder Hollande", erzählt Wickert. "Wer auch immer, er wird gegen Jean-Marie Le Pen gewinnen", habe Macron - damals ein unbekannter Mann geantwortet. Wickert spannt seinen Bogen von historischen Bezügen über das nationale Selbstverständnis bis hin zur politischen Elite und ihren Pikanterien. "Noch heute bei ihren Demos berufen sie sich auf den Zug der Frauen noch Versailles", erklärt der 74-Jährige die Verbundenheit der Franzosen mit der Revolution. Unersetzlich auf dem Weg in ein politisches Amt sei die "Kaderschmiede", der Besuch einer Pariser Eliteschule. "Die Privilegien der Macht sind mehr wert als ein hohes Einkommen", erklärt er die Prioritäten unserer Nachbarn.

Dass die Franzosen sich über den Feudalismus ihrer Politiker aufregen, sei bekannt. "Aber sie wollen keinen normalen Präsidenten", ist sich Wickert sicher. Anekdotenreich nimmt er die Themen Liebe und die Küche ins Visier. Dass sich der Chefkoch des Elysée-Palasts per Telefon bei seinem marokkanischen Kollegen Rat holt, um den perfekten Tee für Mitterand zu kochen - das sei Frankreich. "Gefehlt hat mir die Kolonialzeit und das Problem mit ihren Ausländern", meint Andras Flieszer, nachdem sich das "politische Nähkästchen" geschlossen hat. "Das war ein launiger, kenntnisreicher Schnellkursus über Frankreich. Wie er das bringt, ist ganz toll", sagt Ellen Maaßen. "Es war authentisch, weil er selbst dort gelebt hat", ergänzt ihr Mann Hans-Jürgen. Mit den Erkenntnissen vor allem über die historischen Bezüge hätten sie jetzt ein besseres Verständnis für die Franzosen.

Bei Hartmut Kiefer hat die Lesung Sehnsuchtsschübe nach Paris ausgelöst. "Ich habe 20 Jahre in Frankreich gelebt und sehne mich jeden Tag zurück."

(RP)
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