Gerresheim Ein Moment der Unaufmerksamkeit

Gerresheim · Miroslav T. kann nicht sagen, was ihm vor 660 Tagen widerfahren ist. Sein Gehirn ist an jenem 31. August 2016 auf der Torfbruchstraße so schwer verletzt worden, dass er wohl nie mehr klar sprechen kann. Gerade mal 50 ist er und ein Schwerstpflegefall. Trotzdem haben Freunde den in Salzburg geborenen Jugoslawen gestern ins Gericht gebracht. Vor dem Saal warteten sie auf das Urteil für den Mann, der schuld sein soll an alledem.

Angeklagt ist einer, der es auch nicht leicht hat im Leben. 53 Jahre alt, ein Handwerker mit eigenem Einmannbetrieb, für den er ständig im Auto unterwegs ist. Vor zehn Jahren hat er schon einmal einen Unfall verursacht, vier Jahre später fuhr er ohne Führerschein. Und dann dieser Spätsommernachmittag in Gerresheim: Nicht zu schnell, nicht zu langsam fuhr er auf der schnurgeraden Strecke immer geradeaus und - so hat es eine Zeugin gesehen - fast ungebremst auf Miroslav und sein Fahrrad. Den habe er nicht bemerkt, beteuert der Angeklagte. Womöglich habe das Rad einen Schlenker gemacht. Doch dagegen sprechen die Spuren an seinem Lieferwagen. Unaufmerksam müsse er gewesen sein, sagt die Staatsanwältin, wenn nicht durchs Handy, dann vielleicht durch "Essen oder Nachdenken" - bei der Sache jedenfalls könne er nicht gewesen sein, sonst wäre der Unfall nicht passiert.

Und Miroslav, der Jugoslawe, der vor zwölf Jahren vergaß, seine Papiere zu verlängern, obwohl er seit seinem dritten Lebensjahr in Deutschland lebt, der seitdem illegal in Düsseldorf mal bei diesem, mal bei jenem Freund wohnte und vom Flaschensammeln lebte - der könnte heute noch gesund sein. Seinen Aufenthaltstatus haben die Freunde inzwischen über eine Härtefallregelung geklärt. Er hat jetzt wieder ein festes Zuhause, in dem er im Rollstuhl sitzt und zu epileptischen Anfällen neigt. Er wird von einem gesetzlichen Vormund betreut.

Von Augenblicksversagen spricht der Verteidiger. Die Richterin hat ihre Zweifel. Dass der Angeklagte schon bald nach dem Unfall erneut mit dem Handy am Steuer erwischt wurde, spreche nicht dafür, dass er aus dem Unfall gelernt habe. Sie verurteilte den 53-Jährigen zu drei Monaten Haft, die zur Bewährung ausgesetzt wurden. Und verhängte ein ebensolanges Fahrverbot, das den Kleinunternehmer deutlich härter trifft. Jetzt kommen auch noch Schadenersatz und Schmerzensgeld auf ihn zu.

(RP)
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