Stadtmitte Ein Ort mit Vergangenheit

Stadtmitte · Das Atelier von Volker Hermes am Worringer Platz war früher ein Hotel. Die Familie Adrian, die es einst betrieb, ist heute Vermieter.

 Maler Volker Hermes (l.) in seinem Atelier im früheren Hotel Bahia an der Worringer Straße. Das Gebäude gehört der Familie um Dietmar Adrian und seiner Tochter Astrid Hötzel.

Maler Volker Hermes (l.) in seinem Atelier im früheren Hotel Bahia an der Worringer Straße. Das Gebäude gehört der Familie um Dietmar Adrian und seiner Tochter Astrid Hötzel.

Foto: Andreas Endermann

Dietmar Adrian sitzt im einstigen Empfangsbereich des Hotels, der heute Volker Hermes und seinen beiden Untermietern als Aufenthaltsraum dient. Früher gab es hier eine Rezeption, an der Decke hing ein Kronleuchter. Adrian und seine Tochter Astrid Hötzel haben Erinnerungsstücke mitgebracht. Fotoalben. Ordner mit Artikeln. Ein Gästebuch. Dietmar Adrian ergreift das Wort. Man muss ihm keine Fragen stellen. Er erzählt einfach und ist nur schwer zu stoppen.

Der 73-Jährige, der gut und gerne als 15 Jahre jünger durchgehen würde, erinnert sich sehr genau. Auch an das Capitol Theater am Worringer Platz. Viele der Schauspieler, die damals an der Bühne auftraten, stiegen im Hotel Bahia ab. Rudolf Plathe zum Beispiel, der schräg gegenüber in "Der Hauptmann von Köpenick" spielte. Oder seine Schauspiel-Kollegin Hannelore Schroth. "Schroth wohnte immer in Zimmer Nummer 18", weiß Adrian heute noch. Das Publikum im Hotel war sehr international. Im Gästebuch haben sich Besucher aus aller Welt verewigt. "Die Bahnhofslage war damals noch wesentlich besser als heute", so Adrian.

Die Geschichte des Hotel Bahia begann 1961, als das Haus an der Worringer Straße 87 fertiggestellt wurde. Damals sah der Worringer Platz gänzlich anders aus als heute. Wenn man vom Dach des Bahia schaute, sah man hinter dem Bahnhof die Schornsteine der Stahlindustrie. Adrian erzählt von der längst geschlossenen Fußgänger-Unterführung. Von den Geschäften für Miederwaren und Kosmetik, die am Platz ansässig waren. Und von der sogenannten Probierstube, in der man Schnäpse testen konnte.

Sechs Jahre hat Dietmar Adrian selber im Haus an der Worringer Straße 87 gewohnt. Das Leben seiner Familie war eng verknüpft mit dem Platz. Das lag nicht zuletzt an Adrians Tante, Martha Blinten. Blinten war eine für ihre Zeit äußerst ungewöhnliche Figur. An der Worringer Straße 103, dort, wo sich das türkische Restaurant Saray befindet, betrieb sie ein Fachgeschäft für Herde, Öfen, Waschmaschinen und Kühlschränke. Das größte Geschäft dieser Art in der Stadt.

Blinten war Unternehmerin und Geschäftsfrau durch und durch. Sie ließ das Haus an der Worringer Straße 87 bauen. Als es 1961 fertig war, beschloss sie, dort ein Hotel zu eröffnen. Selber betreiben wollte sie es allerdings nicht. Also fragte sie kurzerhand ihren Bruder, den Vater von Dietmar Adrian. "Otto, du kannst doch gut mit Leuten umgehen. Wäre das nicht was für dich?" So wurde Otto Adrian, von Haus aus Elektroingenieur, Hotelier.

Beim Namen Bahia (spanisch für Bucht) ließ sich die Familie von ihrem ersten Besuch in Benidorm inspirieren. "Das war in den Sechziger Jahren noch ein kleines Fischerdorf", erinnert sich Adrian. Das Haus verfügte über 18 Zimmer, jedes davon hatte ein Bett, einen Tisch und ein Waschbecken. Zudem standen den Gästen drei Bäder zur Verfügung. "Damals war man ja froh, wenn man fließend Wasser hatte", sagt Adrian.

Sterne wurden für Hotels in den 1960er Jahren noch nicht vergeben, "aber das Bahia war ein gehobenes Mittelklasse-Hotel". Einzige Angestellte der Adrians war ein Zimmermädchen. Den Rest erledigten die Eltern selbst. Und auch Sohn Dietmar musste parallel zu seiner Arbeit in der Bank mit anpacken. Als Otto Adrians Frau 1966 schwer erkrankte, entschied sich die Familie, das Hotel abzugeben. In der Folge wechselten die Betreiber häufig. "Vom Niveau her war es irgendwann nicht mehr das, was wir damals hatten", so Dietmar Adrian. In den Achtziger Jahren verschwand der Schriftzug "Hotel Bahia" dann endgültig von der Hausfassade.

Weitere 30 Jahre später kam die Kunst ins Haus. Der jetzige Hauptmieter, Volker Hermes, ist Maler. "Ich mag das, dass Orte Geschichte haben", sagt er, "dass man weiß, was vorher da war". Die insgesamt 125 Quadratmeter teilt sich Hermes mit einer dänischen Malerin und einer PR-Texterin. Der 45-Jährige hat an der Düsseldorfer Kunstakademie studiert, in der Klasse von Dieter Krieg. Als er vor anderthalb Jahren einen neuen Raum zum Arbeiten suchte, griffen ihm die Adrians unter die Arme. Hermes war für sie kein Unbekannter: Das Haus, in dem er seit 13 Jahren wohnt, gehört ebenfalls den Adrians. Heute malt der Künstler im ehemaligen Frühstücksraum des Hotels. Er mag den eher rauen Charme der Gegend. "Ich bin ein Bahnhofskind", sagt er.

Hermes hat acht Jahre an der Eisenstraße gelebt, bevor er auf die andere Seite des Bahnhofs zog. Das Leben am Worringer Platz habe ganz andere Maßgaben, findet der Künstler. "Es ist total echt." Seiner Meinung nach habe sich die Gegend in den vergangenen Jahren gar nicht so stark verändert, wie viele behaupten. Natürlich, es habe den "Single-Club" gegeben, Julia Stoscheks Projektraum "Venus & Apoll", Daniel Fritschis "Foyer" und jetzt eben das Hotel Friends. Die Leute, die hier leben, seien davon allerdings ziemlich unbeeindruckt.

Dietmar Adrian würde trotzdem nicht mehr am Platz leben wollen. Er ist vor vielen Jahren an den Stadtrand gezogen. Nach Hubbelrath.

(RP)
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