Interview: Michael Becker und Gertrud Peters "Tage mit freiem Eintritt im Museum"

Düsseldorf · Der Intendant der Tonhalle und die Leiterin des "KIT - Kunst im Tunnel" über die schwere Aufgabe, mehr Düsseldorfer für Kunst zu begeistern, über die "Strahlkraft" der Kultur - und die Frage, welches Automodell die Kulturstadt Düsseldorf wäre.

 Michael Becker (M.) und Gertrud Peters im Gespräch mit den RP-Redakteuren Uwe-Jens Ruhnau (links) und Arne Lieb im Wirtschaftsclub.

Michael Becker (M.) und Gertrud Peters im Gespräch mit den RP-Redakteuren Uwe-Jens Ruhnau (links) und Arne Lieb im Wirtschaftsclub.

Foto: Andreas Bretz

Der neue OB Thomas Geisel kritisiert, dass in Oper, Schauspielhaus und Tonhalle nur ein kleiner Ausschnitt der Bevölkerung zu finden sei. Er will die Kulturinstitute stärker daran messen, dass sie ein breites Publikum ansprechen. Ist das fair?

Becker Es lag und liegt in der Natur der Sache, dass Hochkultur eine potenziell kleinere Zielgruppe anspricht. Ich kann nur für die Tonhalle sprechen, denke aber, dass wir bereits auf einem intensiven Weg sind, ein breiteres Publikum anzusprechen, zum Beispiel durch unsere erfolgreichen Jugendreihen. Im Vergleich zu anderen deutschen Konzerthäusern stehen wir sehr gut da. Trotzdem fehlen uns sicher bestimmte Publikumsausschnitte.

Was meinen Sie konkret?

Becker Zum Beispiel Besucher mit Migrationshintergrund. Die finden wir in den Symphonie-Konzerten nicht proportional zu ihrem Anteil an der Stadtgesellschaft. An diese Konzerte muss man Besucher mit anderem Kulturhintergrund sicher heranführen. Da müssen andere Angebote her. Deshalb ist zum Beispiel die Singpause für uns so wichtig. Zu diesen Konzerten kommen 12 000 Kinder aller Herkunft. Das ist für viele ein erster Berührungspunkt mit der Kultur eines Konzerthauses. Auch für deren Eltern.

Wie erleben Sie das im KIT?

Peters Ich stelle fest, dass viele Menschen Angst haben, ein Ausstellungshaus zu betreten. Es gibt starke Hemmschwellen. Die müssen wir abzubauen versuchen. Das gilt nicht nur für Migranten. Ein wichtiger Punkt ist sicher immer der Eintritt. Ich fände zwei Tage pro Monat, in denen der Museumsbesuch kostenlos ist, ein gutes Angebot. In England funktioniert das super. Und gute Vermittlung ist gefragt. Fachliche, aber auch übergreifende: Wir haben etwa gute Erfahrungen mit dem Musikangebot der KIT-Bar gemacht.

Sie meinen die Reihe "Strandpiraten" und die Weltmusik-Konzerte.

Peters Ja. Die Leute kommen wegen der Musik, aber wir haben nach jedem Konzert auch 100 neue Likes auf der Facebook-Seite des KIT. Viele Konzert-Besucher gehen auch in die Ausstellungen. Ich glaube, es ist wichtig, Menschen nicht mit elitärem Denken zu verschrecken. Man muss sie abholen.

Becker Damit das noch besser funktioniert, müsste die Stadt die Kulturinstitute aber noch stärker gemeinsam betrachten.

Wie meinen Sie das?

Becker Wir müssen darüber reden, wo wir langfristig hin wollen und dann den Häusern Zeit geben, das zu erreichen. Jedes Haus hat andere Potenziale. Wenn wir ein breiteres Publikum erreichen wollen, muss die Politik mit den Kulturplanern Ziele und Zeitpläne diskutieren und festlegen.

Geisel will auch stärker auf die "Strahlkraft" der Kultur achten. Was strahlt denn an Düsseldorf?

Peters Das Ballett strahlt, die Akademie hat auch einen guten Ruf.

Becker Strahlkraft ist ein vielschichtiger Begriff. Alleinstellungsmerkmale bedeuten Strahlkraft. Denken Sie an die Toten Hosen mit Symphonieorchester. Die New Yorker Philharmoniker mit Lang Lang haben Strahlkraft durch Internationalität. All das gibt es in der Tonhalle schon jetzt. Es muss aber deutlich öfter stattfinden. Über die dafür notwendigen Voraussetzungen wird gerade verhandelt. Echte Düsseldorfer Strahlkraft hat die Konzertreihe mit dem Kabarettisten Christian Ehring. Strahlkraft ist auch etwas, das Zuschauer an Kulturhäuser bindet.

Peters Die Kulturstadt Düsseldorf hat zum Glück insgesamt eine große Strahlkraft. Internationale Besucher sind oft begeistert, wie viel hier für die Kultur getan wird. Man darf bei allen Diskussionen nicht vergessen: Wir darben hier nicht.

Wie kann man Strahlkraft erhöhen?

Peters Ich bin überzeugt, dass bei den Überlegungen die künstlerische Qualität an erster Stelle stehen muss. Wenn die Qualität gut ist, dann zieht das Menschen an.

Becker Das denke ich auch. Der Ausgangspunkt unserer Kulturhäuser ist im weitesten Sinne die Bewahrung des kulturellen Erbes. Das dürfen wir nicht verbraten, nur um mehr Zuschauer zu gewinnen. Wir müssen uns aber immer wieder fragen, wie wir unser Angebot besser vermitteln können.

Was bringt ein neues NRW-Forum?

Peters Das wäre sehr gut. Das NRW-Forum war ja ein Haus gegen die Hemmschwelle. Denn es beschäftigte sich mit Themen wie Werbung und Mode, die ein breites Publikum interessieren. Es wäre unheimlich wichtig, dass es im NRW-Forum weitergeht.

Es wird immer wieder beklagt, dass Düsseldorf stark von der Vergangenheit zehrt, von Ratinger Hof oder Creamcheese. Fehlen heute Szeneorte?

Becker Na ja, der Salon des Amateurs ist vielleicht so ein Ort. Der ist eine Oase, aber auch eine Seltenheit.

Peters Ich finde, wir haben immer noch eine starke Subkultur. In der Bildenden Kunst bewegt sich sehr viel. Es gibt viele Off-Spaces, wo Künstler mit unglaublichem Einsatz arbeiten. Der Worringer Platz hat sich zu einem Zentrum dieser Szene entwickelt. Dort gibt es den Gasthof, der interessante Projekte macht, und viele Künstler arbeiten in der Nähe. Ich hoffe, das wird auch auf das Image der Stadt abfärben.

Sie stellen im KIT häufig Kunst aus der Akademie aus. Kann man sie stärker in der Stadt präsent machen?

Peters Ich denke, man sollte sich noch stärker bemühen, Akademie-Absolventen zu halten. Da gibt es ein unheimliches Potenzial, das verloren geht, wenn die Künstler wegziehen. Die Stadt könnte so die Früchte ernten, die sie heranzieht. Das gilt genauso für die Musikhochschule.

Was wäre Ihr Traum, wo die Kulturstadt Düsseldorf bei der Kommunalwahl in sechs Jahren steht?

Peters Ich hoffe, wir können dann sagen: Wir strahlen nach innen und außen.

Becker Gleichzeitig würde ich mir wünschen, dass wir dann sagen können, dass wir kein zweites Hamburg oder Hannover sind, sondern ein erstes Düsseldorf.

Wie meinen Sie das?

Becker Die Kulturhäuser müssen das Gesicht einer Stadt spiegeln. Sie müssen zeigen, was diese Stadt von anderen unterscheidet. Es gab und gibt hier eine Reihe von bedeutenden Künstlern, von Schumann über Piene und Mack, Kraftwerk bis Gursky. Ich finde, das sollten wir noch stärker nach außen zeigen, auch bei einem Festival wie der Quadriennale. Das macht Düsseldorf einzigartig. Für die Tonhalle heißt das: Wir müssen die hohe Kunst der Symphoniker und internationale Stars ebenso präsentieren wie ein Laienorchester oder einen Schulchor. Im Idealfall mit Düsseldorf- Mehrwert.

Peters Das sehe ich anders. Ich finde, wir bespiegeln uns schon jetzt zu viel selbst. Ich würde mir wünschen, dass wir mehr über den Tellerrand hinausschauen und internationale Künstler holen. Ich fand es faszinierend, was während der Tanzmesse in der Stadt los war. Beeindruckend, wie international das Publikum war, das sie angezogen hat.

Schwere Frage zum Schluss: Wenn die Kulturstadt Düsseldorf ein Auto wäre: welches Modell? Ein Passat?

Peters Nein. Aber auch kein Porsche. Wir würden auf jeden Fall gern ein schnittiges Elektroauto sein, vielleicht ein Tesla.

Becker Das sind wir aber auch nicht. Vielleicht ein Multivan, so eine VW-Großlimousine. Viel Platz, auch ziemlich familientauglich.

Peters Ja, darauf können wir uns einigen.

ARNE LIEB UND UWE-JENS RUHNAU FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

(RP)
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