Düsseldorf OB-Kandidat Geisel und die Entdeckung der Möglichkeit

Düsseldorf · Die SPD hat einen Kandidaten, der sowohl die Partei-Klientel als auch Teile der bürgerlichen Gesellschaft anspricht. Fraglich ist eigentlich nicht, ob er OB kann, sondern ob er wirklich will. Mit Thomas Geisel bei Ikea.

 Auf das rote Sofa in der Ausstellung des schwedischen Möbelkonzerns setzt sich Thomas Geisel gerne. Wie es ihm gefällt? "Es ist halt ein Sofa", sagte der SPD-Kandidat für die Oberbürgermeisterwahl am 25. Mai.

Auf das rote Sofa in der Ausstellung des schwedischen Möbelkonzerns setzt sich Thomas Geisel gerne. Wie es ihm gefällt? "Es ist halt ein Sofa", sagte der SPD-Kandidat für die Oberbürgermeisterwahl am 25. Mai.

Foto: Andreas Bretz

Die Idee war ja, dass wir bei Ikea durch das tägliche Leben gehen, durch Wohnzimmer, Bad und Schlafzimmer, außerdem sollte Thomas Geisel in dieser Umgebung ein wenig fremdeln als ehemaliger, wohlhabender Manager im Mitnahmemöbelmarkt. Doch natürlich fremdelt Geisel kein bisschen, erzählt, welche Möbellinien auch bei ihm zu Hause stehen, wie praktisch der Schwedenkram ist, wenn man Kinder hat, und Geisel hat ja einen ganzen Haufen davon, wie man auf gefühlt 5000 Plakaten in der Stadt sehen kann.

Letztlich spielt der Ort für Geisel keine Rolle. Und irgendwie war das auch vorher klar. Thomas Geisel hat viel von der Welt gesehen, "mir ist nichts Menschliches fremd", sagt er. Und wer ihn beim Wahlkampf im Düsseldorfer Karneval und bei Schützenfesten gesehen hat, hätte wissen müssen, dass er sich in schwierigeren Milieus zurechtfindet. Ikea macht ihn jetzt nicht gerade nervös. Das Warten darauf, dass der Laden endlich aufmacht, hingegen schon.

Geisel ist ein ungeduldiger Mensch. Er versucht, das zu verbergen, doch es gelingt nicht wirklich. Er läuft schneller durch die Gänge, als er müsste, er hält sich nicht auf. Ein Sofa ist eben ein Sofa, und in der Kinderabteilung macht er nur Halt, um einen Stoff-Hund zu zeigen, den die Familie auch zu Hause hat.

Es gibt eine Geschichte, die von ihm auf dem Weg nach Berlin handelt. Geisel steht also an einem Freitagabend mit hunderttausend anderen auf der A 2 im Stau, zwei Spuren sind gesperrt, auf der Dritten zwängen sich auch noch Polizeiautos durch, das Ganze ist ein Chaos, dessen Zweck sich ihm nicht erschließt. Geisel wendet sich, nachdem er in Berlin angekommen ist, an die Autobahnmeisterei, wo man ihm sagt, dass man Jagd auf Schleuser gemacht habe. Danach schreibt er einen Brief an den Innenminister von Sachsen-Anhalt, in dem er erklärt, dass die Aktion wohl ziemlicher Schwachsinn war. Man schreibt ihm zurück, entschuldigt sich und schenkt ihm ein Buch. Außerdem gibt man ihm recht - und erst dann ist Geisel zufrieden.

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Geisel sagt, dass er sich im Rathaus einen anderen Führungsstil wünsche, einen, der den Mitarbeitern das Gefühl gibt, Teil eines großen Ganzen zu sein. Doch ganz bestimmt ist auch Geisel als Chef nicht der nette Thomas. Er ist kein Freund von Laissez-faire, schon dann nicht, wenn es darum geht, wo man den obligatorischen Kaffee im Ikea-Restaurant trinken soll. Er will auswählen, er will bestimmen, wie lange man hier sitzt. Geisel mag es nicht, wenn er die Dinge nicht unter Kontrolle hat. Am härtesten traf ihn das Scheitern seiner ersten Ehe. Über viele Jahre war das Verhältnis zu seiner ersten Ehefrau und deren Mann angespannt, schwierig, belastend. "Ein Rosenkrieg", sagt Geisel. Irgendwie hat er das Verhältnis zu seiner ältesten Tochter aufrecht erhalten, irgendwie hat man sich inzwischen zusammengerauft. "Jetzt läuft es gut", sagt Geisel.

Er sagt, dass Genehmigungsverfahren in Düsseldorf zu lange dauern, dass es ihm lieber sei, jemand träfe zehn Entscheidungen, von denen sieben gut wären, zwei so mittel und eine falsch, als dass man gar keine Entscheidung trifft. Geisel musste nie Wähler und Parteifreunde gewinnen, nie gegen die Widrigkeiten der öffentlichen Verwaltung kämpfen. Dass man in der Politik einen längeren Atem haben muss als bei einem seiner Marathons, hat der Manager nie erfahren. "Jemand, der nicht seit Jahren dabei ist, hat ja oft einen frischen Blick auf die Dinge", sagt Geisel. Und außerdem sei das Schönste, was man machen könne, "to run for a public office". Er verwendet oft Phrasen aus dem Amerikanischen, wenn er Dinge auf den Punkt bringen will, ein Überbleibsel seiner Zeit in Harvard und bei Enron. Wenn allerdings das Kandidieren für ein öffentliches Amt tatsächlich so schön ist, bleibt die Frage, warum er das nicht vorher einmal gemacht hat.

Geisel trinkt schwarzen Kaffee und Wasser, er schaut sich ein bisschen um, inzwischen erkennen ihn die Düsseldorfer, wenn sie mit Frühstückstabletts und Mandeltorten durch das Restaurant gehen. Er sagt, er habe mit 50 immer einen "Re-Start" gewollt, "pathetisch gesagt, will man ja auch etwas zurückgeben".

Seine Partei hat ihm nach seinem Ausscheiden aus der Wirtschaft eine Möglichkeit gegeben, die er ergriffen hat. Hätte ihm Hannelore Kraft einen Posten als Minister angeboten, hätte er den wohl auch genommen, denkt man. Es hätte nicht unbedingt die Kandidatur zum Düsseldorfer Oberbürgermeister sein müssen. Würde man jemanden einen Heiratsantrag machen, und er würde so "Ja" sagen wie Geisel - man selbst würde wohl nicht mehr wollen. Heißen will das nichts. Geisel ist auch keiner, dem bei "Glück auf, der Steiger kommt" die Tränen kommen. Dennoch ist er seit Teenager-Zeiten Mitglied der SPD, ertrug in den 70er Jahren die Kommentare der Lehrer im schwarzen Schwaben, wenn die in der Klasse sagten, alle Sozis seien Mörder, während gleichzeitig sein Vater als SPD-Kandidat antrat, überspielte später das Grinsen der Manager-Kollegen, wenn er vom Büro aus zum Treffen des SPD-Ortsverbandes ging.

Als OB sieht Geisel die Möglichkeit zu gestalten. Den Willen dazu hat er. Für Geisel ist es wohl keine Frage, dass Dirk Elbers gerne Oberbürgermeister seiner Heimatstadt ist. Was Geisel bemängelt, ist der in seinen Augen fehlende Gestaltungswille des Amtsinhabers. "Es bleibt nicht alles, wie es ist, wenn man einfach nur so weiter macht. Wenn man nicht auf die Herausforderungen reagiert", sagt Geisel. Er nennt die wachsende Stadt, den Wohnungsbau, den Zustand der Schulen - da müsse man investieren, auch auf Kosten der Schuldenfreiheit, die ja eh eine Illusion sei. Er sieht die Gefahr, das Düsseldorf lediglich eine "reiche Shopping-Stadt" werde, die im Zentrum mit Großprojekten protze, aber die Menschen in den Stadtteilen vernachlässige. Geisel ist vorsichtig, er will die Stadt nicht schlecht machen. "Er habe großen Respekt vor der Leistung Joachim Erwins, der Düsseldorf seinen Stempel aufgedrückt hat", sagt er. Wir gehen durch die "Ikea-Markthalle", Geisel überlegt, ob er ein paar Gläser für zu Hause mitnimmt, entscheidet sich dann doch anders. Viele Fehler hat er nicht gemacht in diesem Wahlkampf. Da war die Sache, dass er sich auf die Zehenspitzen gestellt hat, als er neben Elbers fotografiert wurde. Wir stehen vor dem Möbelhaus. Geisel muss weiter. "Das war blöd", sagt er.

(RP)
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