Düsseldorf Traum von Europa endet auf dem Amt

Düsseldorf · Die Mitarbeiter des Bundesamts für Migration entscheiden über Schicksal und Existenz von Asylbewerbern. Angesichts ihrer Not ist diese Arbeit ein Balanceakt zwischen Bürokratie und Mitgefühl. Die meisten werden zurückgeschickt.

 Endstation Bundesamt für Migration, Außenstelle Düsseldorf. Dieser Mann wird abgelichtet.

Endstation Bundesamt für Migration, Außenstelle Düsseldorf. Dieser Mann wird abgelichtet.

Foto: Andreas Endermann

Der Gang, dem Ahmed A. (Name geändert) vom Wartezimmer bis in ein Büro der Außenstelle des Bundesamts für Migration (Bamf) in Düsseldorf folgt, ist etwa 1,50 Meter breit - so schmal wie die Straße zwischen den Baracken des Flüchtlingslagers 13 Kilometer südlich von Damaskus, in dem Ahmed sein ganzes Leben verbracht hat.

Ahmed A. ist an diesem Tag mit dem Bus aus der Erstunterbringungseinrichtung für Flüchtlinge in Burbach hergebracht worden. Im Büro von Melanie Schneider wird aus dem Flüchtling ein Asylbewerber. Auf ihrem Türschild steht "Entscheider"; sie ist eine von 22 in der Außenstelle des Bamf. Sie prüft, ob sie Asyl nach Artikel 16a des Grundgesetzes gewährt. Dazu muss sie wissen, ob Ahmed A. politisch verfolgt wurde.

Palästinenser, aber staatenlos

Ahmed hat bis zu seiner Flucht zwar in Syrien gelebt, aber er ist Palästinenser und daher staatenlos. Doch im Feld "Herkunftsland" seiner digitalen Akte stehen trotzdem die Ziffern 4,7,5. 475, das bedeutet Hoffnung. Denn diese Zahl steht für die Arabische Republik Syrien. Syrische Flüchtlinge haben Priorität, zudem gute Chancen, dass der deutsche Staat ihnen Schutz vor dem Bürgerkrieg gewährt.

Nur ein Drittel der Asylbewerber erhält einen Aufenthaltsstatus, erklärt Volker Mäulen, Leiter der Außenstelle. Mit hochgekrempelten weißen Hemdsärmeln steht er in seinem Büro. Er nennt noch mehr Zahlen: Seit 2009 ist die Zahl der Anträge von 30.000 auf 140.000 erwartete Anträge für 2014 gestiegen. Das Personal sei aber nicht mitgewachsen. Er erzählt, dass seine Mitarbeiter gerade alle Verfahren von 2011 abgeschlossen hätten. So sieht der Alltag einer deutschen Behörde aus. "Ich bin der Bürokrat", sagt Mäulen. "Aber wenn wir keine Mitarbeiter hätten, die Mitgefühl und Empathie zeigen, hätten wir verloren."

Ahmed ist 45 Jahre alt, verheiratet und hat eine zwölfjährige Tochter. Sie hält sich mit ihrer Mutter derzeit im Libanon auf. Ahmed ist vor der syrischen Armee in den Libanon geflohen. Für 4000 US-Dollar kam er mit Hilfe eines Schleppers und gefälschten Dokumenten nach Libyen. Dafür hat er zwei wertvolle Armreifen seiner Frau - Familienerbstücke - verkauft und sich 500 Dollar von seinem Bruder geliehen. Er stieg in ein Boot, das ihn über das Mittelmeer nach Italien brachte. Eigentlich wollte er mit dem Bus über Frankreich und die Niederlande nach Dänemark. Kurz hinter der deutsch-niederländischen Grenze hielt die Bundespolizei seinen Bus an. Weil er kein Visum besaß, schickten ihn die Beamten in die Erstaufnahmeeinrichtung.

Amt prüft Geschichte

Für die Entscheidung des Asylantrags ist der Reiseweg, wie dramatisch er sein mag, nachrangig. Schneider fragt Ahmed in der Anhörung nur zu seinen Motiven, Syrien zu verlassen. "Der Reiseweg ist für die rechtliche Wertung nicht so wichtig", erklärt sie mit schwäbischem Dialekt. Wichtig ist nur, ob ein Asylbewerber direkt nach Deutschland oder über Drittstaaten eingereist ist und ob er in einem anderen europäischen Staat schon einen Asylantrag gestellt hat. Dann wäre die Bundesrepublik nicht zuständig. Schneider muss stattdessen feststellen, ob die Geschichte, die Ahmed A. ihr erzählt, authentisch ist.

Dafür gibt es während des Gesprächs bestimmte Anhaltspunkte, auf die sie achtet - etwa ob der Vortrag in sich schlüssig, zusammenhängend und nachvollziehbar vorgetragen wird. "Wenn jemand detailliert erzählt und auf meine Rückfragen eingeht, ist das auch ein Zeichen, dass er mich nicht anlügt", erklärt sie. Natürlich hat das Bamf auch Verbindungsleute in den betroffenen Ländern, die bestimmte Aussagen überprüfen können.

Schneider nimmt sich Zeit für jede Anhörung: "Ich finde, das hat jeder verdient." Ihr ist es wichtig, auf das persönliche Schicksal der Bewerber einzugehen. Doch ihre professionelle Distanz verliere sie nie, sagt die 26-Jährige. Sie arbeitet seit einem Jahr für das Bamf. Zuvor hat sie in Berlin einen Master in Recht absolviert. Sie fragt Ahmed nach den Ereignissen, die zu seiner Flucht geführt haben. Als er erzählt, dass das Militär im März 2013 neun von seinen Cousins erschossen hat, betätigt er mit dem Finger in der Luft den Abzug eines Gewehrs.

Schneider fragt nach, ob er selbst Schwierigkeiten nach diesem Vorfall gehabt habe. "Ich hatte Angst, dass ich festgenommen werde und sie mich einfach mitnehmen", sagt er. Als sich die Lage in dem Flüchtlingslager zuspitzte, habe er seine Familie mit seinem Bruder in den Libanon geschickt. Er blieb allein zurück.

"Viele vor Hunger gestorben"

Im November 2013 sei schließlich das Militär in das mittlerweile fast verwaiste Flüchtlingslager einmarschiert. Er sei zu Fuß geflohen, erst in eine Kleinstadt in der Nähe, dann in ein Flüchtlingslager nach Damaskus. "Ist in diesem Zeitraum noch etwas vorgefallen?", fragt Schneider. "Die Lage war so schlecht, dass viele vor Hunger gestorben sind. Wir haben Sachen gegessen, die Menschen sich gar nicht vorstellen können", erzählt Ahmed.

Schließlich sei er mit der Organisation Roter Halbmond in den Libanon ausgereist. "Wie war das möglich?", will die Entscheiderin wissen. Er sei in einem schlechten körperlichen Zustand gewesen, habe deswegen älter ausgesehen und habe dazu noch Asthma. Er hält einen Inhalator hoch. Schneider protokolliert handschriftlich, was die Dolmetscherin übersetzt, dann diktiert sie alles per Spracherkennung in ein Worddokument. Zum Abschluss des Gesprächs möchte sie wissen, wovor er Angst hätte, wenn er jetzt nach Syrien zurück müsste. Diese Frage regt Ahmed auf: "Ich kann in der Sahara leben, aber ich kann nicht zurück nach Syrien."

Danach hat Schneider keine Fragen mehr, außer ob er noch etwas ergänzen möchte. Da sagt er noch: "Ich habe keinen schönen Tag in meinem Leben gesehen. Ich möchte nicht, dass meine Tochter so leben muss. Aus ihr kann etwas werden." Seine Hoffnung wird Schneider ihm erfüllen: Er wird subsidiären Schutz erhalten und zunächst für ein Jahr bleiben.

(RP)
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