Mithu M. Sanyal "Vergewaltigung ist kein Frauenthema"

Düsseldorf · Die Düsseldorfer Autorin Mithu M. Sanyal spricht über die Ursprünge sexueller Gewalt und wandelnde Geschlechterbilder.

 Mithu M. Sanyal hat sich in ihrem neusten Buch "Vergewaltigung" mit sexueller Gewalt auseinandergesetzt. Nächste Woche stellt sie es in der Frauenberatungsstelle in Friedrichstadt vor.

Mithu M. Sanyal hat sich in ihrem neusten Buch "Vergewaltigung" mit sexueller Gewalt auseinandergesetzt. Nächste Woche stellt sie es in der Frauenberatungsstelle in Friedrichstadt vor.

Foto: Andreas Endermann

Mithu M. Sanyal ist eine gefragte Interview-Partnerin. Ende August hat die Autorin und Journalistin ihr Buch "Vergewaltigung - Aspekte eines Verbrechens" veröffentlicht.

Wie schwierig war es, für ein Buch über Vergewaltigung einen Verlag zu finden?

Mithu M. Sanyal Erwartungsgemäß sehr schwierig. Obwohl mein erstes Buch über die Vulva gut gelaufen war und einige Verlage gerne ein Buch mit mir machen wollten, haben bei dem Thema letzten Endes viele abgewinkt.

Mit welcher Begründung?

Sanyal Das Thema sei natürlich wichtig, habe ich häufig gehört, aber es lasse sich nicht verkaufen. Zudem gab es auch die Sorge, wie Opfer reagieren könnten, gerade weil ich ja den Umgang der Gesellschaft mit Opfern noch mal neu beleuchte.

Letztendlich ist das Buch in der Edition Nautilus erschienen. Waren die Silvester-Übergriffe von Köln, der Prozess um Gina-Lisa Lohfink und zuletzt die Äußerungen von Donald Trump nicht die perfekte PR?

Sanyal Allerdings. Ich habe die natürlich alle bezahlt, das war verdammt teuer. (lacht) Mal im Ernst: Als Autorin stehe ich total hinter dem Buch. Trotzdem glaube ich, ohne die genannten Ereignisse hätte es kaum jemand gelesen.

Das sieht jetzt gänzlich anders aus. Zur Buchmesse in Frankfurt ist bereits die zweite Auflage von "Vergewaltigung" erschienen. Es gab Interviews mit Ihnen in der SZ, bei arte, dem ZDF und zuletzt sechs Seiten in der Literatur-Beilage der "Zeit". Wurden Sie eigentlich auch von Männern interviewt?

Sanyal Es waren schon überwiegend Frauen, mit denen ich gesprochen habe. Das allererste Gespräch hatte ich allerdings mit Jo Schück in "Aspekte", da war das Buch noch gar nicht erschienen.

Und stellen Männer andere Fragen?

Sanyal (überlegt) Nein, kann ich nicht sagen. Das Thema wird ja gerne in die Frauen-Ecke gedrängt. Dabei geht es keinesfalls nur Frauen an. Für mich war bei meiner Arbeit an dem Buch der Umgang mit Männern ein weiterer, wichtiger Teilaspekt. Es sollten nicht nur Frauen mit Frauen darüber reden. Und außerdem sind ja auch nicht nur Frauen Opfer von sexualisierter Gewalt. Es ist eine gesellschaftliche Debatte, als solche würde ich sie gerne führen.

Sie sind Jahrgang 1971. Allein im Laufe Ihres Lebens ist der Paragraph 177 drei Mal verändert worden. Was waren die wichtigsten Änderungen vor dem "Nein heißt Nein" in diesem Jahr?

Sanyal Die erste Änderung stammt aus dem Jahr 1974. Damals ging es zum ersten Mal um sexuelle Selbstbestimmung, vorher stand der Schutz von Familie und Ehe im Mittelpunkt. Unter Sexualverbrechen fielen vor 1974 zum Beispiel auch Homosexualität und Prostitution. 1997 wurde dann Vergewaltigung in der Ehe strafbar. Zudem wurden Opfer und Täter geschlechtsneutral formuliert. Zum ersten Mal waren Männer de jure als Opfer denkbar. Frauen als Täterinnen sind natürlich noch mal schwerer vorstellbar.

Wie hoch ist eigentlich der Prozentsatz von männlichen Opfern?

Sanyal Darüber gibt es bis heute keine verlässlichen Zahlen. Untersuchungsergebnisse besagen aber, dass männliche Opfer noch seltener Anzeige erstatten als weibliche. Und dass ihnen noch seltener geglaubt wird. Sexualisierte Gewalt gegen Männer - und vor allem sexualisierte Gewalt von Frauen an Männern - entspricht einfach nicht unserem Geschlechterbild. Wenn ich mich mit meinem Mann auf der Straße streite und er mich anschreit, sind sofort drei Jungs da, die mir helfen wollen. Wenn ich ihn anschreie, kommen drei Jungs und sagen 'Was hat er dir getan'. Vergewaltigung ist ein Verbrechen, das viel mit Machtgefälle zu tun hat. Es gibt zahlreiche Strukturen, die es begünstigen, dass mehr Männer Täter sind. Da müssen wir als Gesellschaft ansetzen.

Ein zentraler Aspekt in Ihrem Buch ist der gesellschaftliche Umgang mit den Opfern. Was genau kritisieren Sie daran?

Sanyal Die Frauen werden regelrecht entmündigt. Sie müssen Opfer sein. Und zwar für den Rest ihres Lebens. Es existiert eine klare Vorstellung davon, wie Frauen, die vergewaltigt worden sind, zu sein haben: traumatisiert, ängstlich, männerfeindlich. Verstehen Sie mich nicht falsch: Das kann natürlich so sein. Muss aber nicht.

Sehr interessant ist in dem Zusammenhang eine Äußerung von Natascha Kampusch: "Ich habe gesagt, dass ich kein Opfer bin, weil ich wusste: Wenn ich das allen sage, würden sie mich nachher nie mehr als normalen Menschen akzeptieren." Wie fielen die Reaktionen aus?

Sanyal Ich habe mir viele Interviews mit Natascha Kampusch angeschaut. Sie hat schon kurz nach ihrer Befreiung unglaublich souverän agiert. Das hat mich extrem beeindruckt. Die Medien wollten den Täter natürlich als Monster zeichnen. Diesem Schwarz-weiß-Denken hat Kampusch widersprochen und damit die Erwartungshaltung nicht bedient. Dafür ist sie massiv angegangen worden. Der Höhepunkt war, dass ihr ein Liebesverhältnis mit dem Täter unterstellt wurde. Unglaublich, zumal sie zum Zeitpunkt ihrer Entführung zehn Jahre alt war!

Noch mal kurz zurück zur Parole "Nein heißt nein". Die erscheint uns heute selbstverständlich. Dabei galt im 18. und 19. Jahrhundert das Nein durchaus als Ja. "Ist ein Weib geistig normal entwickelt und wohlerzogen, so ist sein sinnliches Verlangen ein geringes" schrieb der Begründer der Sexualwissenschaft Richard von Krafft-Ebing. Heißt: Bevor es zum Beischlaf kam, musste die Frau sich zunächst einmal zieren. Wie viel weiter sind wir in dem Punkt heute?

Sanyal Frauen wird bis heute vermittelt, dass die Männer den ersten Schritt machen sollten. Dass sie nicht auf seine E-Mails reagieren sollen, weil es sonst wirke, als seien sie leicht zu haben. Die Männer sind also in der Situation, es immer weiter probieren zu müssen. Gleichzeitig sollen sie aber erkennen, welches Nein nun tatsächlich Nein heißt, beziehungsweise wann die Grenze erreicht ist. Mich hat bei der Arbeit an dem Buch deshalb auch die Frage beschäftigt, wie sich Genderisierung auf Jungs auswirkt. Jungs lernen schon früh, ihre Gefühle abzuspalten, sich nicht so anzustellen. Die Folge: Sie sind sich selbst gegenüber nicht emphatisch. Und können es natürlich auch gegenüber anderen nur schwer sein. Mir geht es bei der Debatte nicht zuletzt darum, den Schmerz der anderen Seite auch ernst zu nehmen.

Sie selbst sagen, dass Sie als Jugendliche von vielen gewarnt worden seien. 'Pass auf' hieß es. Das habe Sie eher verunsichert.

Sanyal Mir wurde vermittelt, dass es für mich als Mädchen draußen gefährlich ist, dass ich aber auch gar nichts tun kann, um mich zu schützen. Gleichzeitig wurde mir beigebracht, immer freundlich zu sein, nicht zu ablehnend zu agieren. Wie viele Frauen habe ich einfach nicht gelernt, klare Grenzen zu ziehen. Das hat sich geändert, als ich WenDo, eine Selbstverteidigungstechnik für Frauen, erlernt habe. Das hat meine Welt verändert, im wahrsten Sinne des Wortes: Die Stadt ist danach eine andere geworden, und ich bewege mich anders darin.

Die zentrale Frage des Buchs ist: Wie kann man Vergewaltigungen verhindern. Zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen?

Sanyal Generell gesagt sollte unsere Gesellschaft egalitärer werden, aber das ist natürlich ein sehr hochgestecktes Ziel. Ich würde mir ein obligatorisches, sinnvolles Konsens-Training an Schulen wünschen. Die Jugendlichen sind ja heutzutage unter einem viel größeren Stress als unsere Generation. Sie wissen viel mehr über sexuelle Stellungen, haben viel mehr Bilder gesehen, mehr Vorgaben, wie ihr Körper aussehen soll. Man sollte ihnen vermitteln, dass es beim Sex nicht in erster Linie wichtig ist, gut zu performen, sondern ihn zu genießen. Lehrer sind mit dieser Aufgabe allerdings überfordert. Man sollte vielmehr externe Konsens-Trainer einsetzen. Das kostet viel weniger, als den ganzen Ärger hinterher aufzuarbeiten.

DAS GESPRÄCH FÜHRTE ALEXANDRA WEHRMANN.

(RP)
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