Düsseldorf Verkehrskadetten: Die Wächter der Straßen

Düsseldorf · Seit 40 Jahren sichern die Jugendlichen bei Veranstaltungen den Straßenverkehr. Jetzt werden sie als "Düsseldorfer des Jahres" ausgezeichnet.

 Im Einsatz: Karanveer Singh (l.) und Marcel Jansen an der Heinrich-Heine-Allee. Die Verkehrskadetten halten die Leute an der Ampel zurück — und müssen sich wegen ihrer Anzüge schon mal fragen lassen, ob sie auch Müll sammeln.

Im Einsatz: Karanveer Singh (l.) und Marcel Jansen an der Heinrich-Heine-Allee. Die Verkehrskadetten halten die Leute an der Ampel zurück — und müssen sich wegen ihrer Anzüge schon mal fragen lassen, ob sie auch Müll sammeln.

Foto: Bretz, Andreas

Als sich das erste Auto näherte, kroch in Marcel die Panik hoch. Allein stand er auf der Kreuzung, von rechts rollte ein schnaufend ein Bus heran, von links eine Autokolonne. Die Ampel zeigte schwarz, er hatte jetzt das Kommando. Für einen kurzen Moment wusste der 15-Jährige nichts mehr. Keine Handzeichen, keine Vorfahrtsregel. Dann funktionierte er wieder.

Marcel Jansen ist einer von 90 Düsseldorfer Verkehrskadetten. Wenn er heute an seine ersten Übungen auf der Straßenkreuzung denkt, muss er lachen: "Das war ein komisches Gefühl. Man weiß gar nicht, was schlimmer ist: Die Angst, dass gleich alle Autos ineinander fahren oder dass man sich vor den anderen blamiert."

Seit 40 Jahren gehören die Verkehrskadetten in ihren knalligen orangefarbenen Anzügen zum Stadtbild. Kirmes, Karneval, Konzerte — kaum eine Großveranstaltung kommt ohne die Jugendlichen aus. Zwischen 150 und 170 Einsätze haben sie im Jahr, meist am Wochenende. Sie halten Autofahrer ab, in gesperrte Straßen zu fahren, weisen sie auf Parkplätzen zurecht und halten schon mal einen Fußgänger an der Jacke fest, der meint, noch schnell vor der Straßenbahn über die Schienen rennen zu müssen. Das alles im Schnee, in der prallen Sonne, im strömenden Regen. Ehrenamtlich.

Ohne Prüfung wird jedoch keiner von ihnen auf die Straße losgelassen. Dreieinhalb Monate büffeln die Jugendlichen, die Straßenverkehrsordnung und üben Zeichengebung. Wild mit den Armen umher zu wedeln nützt wenig, wenn der Verkehr fließen soll. Auch Erste Hilfe und Pannenhilfe stehen auf dem Stundenplan. Am Ende stehen zwei dicke Ordner voller Zeichen, Regeln und Pläne, die die Kadetten im Kopf haben müssen. "Es ist wie Schule nach der Schule", sagt Karanveer Singh (15). "Und es ist auch anstrengend." Was bringt einen Jugendlichen dazu? Wer sich ehrenamtlich engagieren will, findet so viele Angebote, dass er jeden Tag etwas anderes tun könnte: Hunde ausführen, im Altenheim helfen, beim Roten Kreuz arbeiten. "Das alles ist wichtig, aber bei den Kadetten fasziniert mich die Gemeinschaft", sagt Karanveer. Bis auf die Fahrtkosten zu den Einsätzen bekommen die Kadetten kein Geld.

Freizeitfahrten und Ausflüge sind ein Dankeschön für ihre Arbeit. Für Marcel bedeutet die Arbeit aber noch mehr: "Wir repräsentieren die Stadt und übernehmen Verantwortung", sagt er. "Das ist schon etwas Besonderes." RP-Leser und Zuschauer von center.tv. scheinen das genauso zu sehen. Sie wählten die Kadetten zu den "Düsseldorfern des Jahres 2012". Am Montag wird bei der Gala von center.tv der Preis an sie übergeben: 5000 Euro, die von der Metro gespendet werden.

Dabei war das Projekt in der Stadt noch in den 1970er Jahren umstritten. In der Schweiz, dem Geburtsland der Verkehrskadetten, waren die jungen Helfer längst etabliert. Nach dem Ersten Weltkrieg waren in den sogenannten Kadettenkorps zunächst Soldaten ausgebildet worden, später wurden Jugendorganisationen daraus. Eine dieser Gruppen wurde bei einem Ausflug zufällig Zeuge eines Autounfalls. Kurzerhand leiteten sie Autofahrer an der Unfallstelle vorbei. Das funktionierte so gut, dass aus Kadetten Verkehrskadetten wurden.

Bei einer Reise in die Schweiz beobachtete auch der Düsseldorfer Ratsherr Hermann-Josef Müller die jungen Männer und Frauen bei einem Einsatz und war begeistert. Zurück in Düsseldorf schlug er vor, eine ähnliche Organisation zu etablieren. Doch damit biss der Vorsitzende des Ordnungs- und Verkehrsausschusses auf Granit. Jugendliche als Verkehrshelfer auf der Straße hielten viele für unnötig. Und dieser Name! "Kadett" klang vielen zu militärisch. Erst als eine Düsseldorfer Delegation, darunter der damalige Polizeipräsident Horst Jäger und Vertreter der Stadt, sich das Projekt in der Schweiz angesehen hatte, gab sie grünes Licht: 1972 wurden in Düsseldorf modellhaft die ersten Verkehrskadetten ausgebildet.

Natürlich habe man schon einmal darüber nachgedacht, den altbackenen Namen zu ändern, sagt Felix Kreuzer (29), der seit sechs Wochen Leiter der Verkehrskadetten ist. "Aber der Name ist in der Stadt zu bekannt." Und das soll auch so bleiben. Er ist ein Überrest der militärischen Vergangenheit. Wie die Ränge — und die Disziplin. "Im Einsatz muss sich jeder auf den anderen verlassen können", sagt Marcel. Wer in der Ausbildung unentschuldigt fehlt, muss sich rechtfertigen. Karanveer sagt, er könne sich besser organisieren, seit er Kadett ist. Andere berichten vor allem, dass sie vor einem Einsatz überlegen, ob sich Stoffschuhe wirklich für vier Stunden Schicht eignen. "Fürs Leben lernen", nennt Felix Kreuzer das. Diszipliniert müssen die Verkehrskadetten auch sein, wenn Autofahrer ausfällig werden. Zwar hätten die meisten Respekt, sagt Karanveer. "Aber wenn mich einer anschnauzt, kann ich ja schlecht zurückschnauzen." Vor zwölf Jahren wurden zwei Verkehrskadetten angegriffen: Ein Autofahrer fuhr einen Jungen an, ein Mädchen wurde geohrfeigt. "Das sind absolute Ausnahmen", sagt Felix Kreuzer. Das liegt auch daran, dass sich die Verkehrskadetten zurückziehen, wenn es zu brenzlig wird.

Bei Demonstrationen und anderen gefährlichen Einsätzen wird man die Kadetten vergeblich suchen, sagt der Leiter, der selbst schon seit 13 Jahren dabei ist. "Wir sind kein Ersatz für Polizei und Feuerwehr, sondern immer noch eine Jugendorganisation."

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort