Kolumne Auf Ein Wort Von den Flüchtenden lernen

Düsseldorf · "Ich bin ein Hamster im Rad", sagt mein Gesprächspartner, "ich fühle mich nur noch getrieben." Dann erzählt er von seiner anstrengenden Arbeit und einem festgezurrten Alltag. Seine Lebensträume verschiebt er schon seit Jahren auf später. So gern würde er etwas verändern. Aber die Sorge, materiell nicht abgesichert zu sein, hält ihn davon ab, das zu tun, was er sich so sehr wünscht. Auf einmal sagt er nachdenklich: "Gestern bin ich an einer Flüchtlingsunterkunft vorbeigefahren. Und da habe ich tatsächlich gedacht: Mensch, die können neu anfangen. Die haben alles hinter sich gelassen."

Kolumne Auf Ein Wort: Von den Flüchtenden lernen
Foto: Hans-Juergen Bauer

Die Worte meines Gesprächspartners haben mich nicht mehr losgelassen. Könnte es sein, dass uns die Flüchtlinge auch deshalb verunsichern, weil sie zeigen, dass Aufbruch und Neubeginn tatsächlich möglich sind? Konfrontieren Sie uns vielleicht auch mit der Frage, warum uns manchmal der Mut fehlt, unser Leben zu ändern? Die Flüchtlinge sind auf gefährlichen Wegen gekommen. Sie sind geflohen vor Gewalt, Hunger oder Folter. Ohne Sicherheiten haben sie sich auf den Weg gemacht in eine ihnen völlig unbekannte Welt, in der großen Hoffnung auf Frieden und ein Leben ohne Angst.

Viele sind geflohen im tiefen Glauben, dass Gott ihnen den richtigen Weg weisen wird. Die Flüchtenden stellen uns damit auch vor die Frage, was wir bereit sind aufzugeben oder einzusetzen für das, was uns wichtig ist oder einmal wichtig war. Sie zeigen uns, wie man mutig eingeschlagene Wege verlassen und Neues wagen kann. Sie erinnern uns daran, dass auch wir uns aus vermeintlichen Zwängen lösen und auf Gott vertrauen können.

Jesus sagt in der Bergpredigt: "Sorgt nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr als Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung?" (Mt 6,25) - Jesus macht uns Mut und die Flüchtenden erinnern uns daran, uns weniger um die materiellen Dinge zu sorgen und uns zu besinnen auf das, was wirklich zählt: Friede, Menschlichkeit, Nächstenliebe und auch die Lebensträume, die jeder von uns in seinem Innersten hat.

AUTORIN HEIKE SCHNEIDEREIT-MAUTH IST PFARRERIN UND EVANGELISCHE KLINIKSEELSORGERIN IN DER UNIKLINIK DÜSSELDORF.

(RP)
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