Analyse Warum der Kantholz-Prozess richtig war

Meinung | Düsseldorf · Nach dem Freispruch im Kantholz-Prozess drängt sich die Frage auf, ob Verhandlungen mit einem absehbaren Ausgang dennoch geführt werden müssen. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt die Notwendigkeit.

Haltestelle "An der Piwipp" in Düsseldorf: Mann mit Vierkantholz geschlagen
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Haltestelle "An der Piwipp" in Düsseldorf: Mann mit Vierkantholz geschlagen

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Foto: Bretz, Andreas

Die Justiz rechnet nicht, heißt ein Grundsatz im deutschen Recht. Nach dem Prozess über den Kantholz-Fall, der beim Landgericht mit einem wenig überraschenden Freispruch für den Angeklagten zu Ende ging, kann man sich fragen: Wozu sind solche Prozesse gut?

Sicher ist, dass die Staatskasse etwa mit einem fünfstelligen Euro-Betrag für den dreitägigen Prozess belastet wird. Sicher war auch, dass außer der Freundin des Opfers, dem Angeklagten und dessen beiden Freunden kein neutraler Zeuge zur Verfügung stand, weil sich keiner der anderen Rheinbahn-Fahrgäste, die jene Prügel-Szene an der Haltestelle beobachtet haben dürften, als Zeuge meldete.

Damit war klar, dass eine Aufklärung des tödlichen Kantholzschlages auf den Bahnsteig schwierig, wenn nicht unmöglich wird. Aber wäre es besser, wenn Richter und Justiz wirtschaftliche Überlegungen mit berücksichtigen, bevor ein aussichtsloser Fall mit so großem Aufwand betrieben, untersucht, verhandelt wird?

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Foto: Polizei

In der Praxis tut die Justiz das längst - nicht mit dem Rechenschieber, aber doch durch eine juristische Abwägung im Vorfeld. Nur bei hinreichendem Tatverdacht werden weitere Ermittlungsschritte unternommen. Und nur, wenn die Überführung eines Verdächtigen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit erreichbar erscheint, werden Anklagen erhoben, Prozesse eröffnet.

Beim Kantholz-Fall war die Besonderheit, dass der Staatsanwalt mit den wenigen Aussagen zum Tatgeschehen keine Chance sah, die Notwehr-Version des Angeklagten zu erschüttern, deshalb keine Anklage gegen den zur Tatzeit 17-jährigen Schüler erhob. Erst ein Anwalt der Tochter des Opfers hat über ein Klage-Erzwingungsverfahren doch noch die Staatsanwaltschaft zur Anklage, das Landgericht zum Prozess gebracht. Das ist rechtens, zumal wenn es darum geht, die Umstände eines gewaltsamen Todes gerichtlich prüfen zu lassen.

So wie im Mordfall Susanne Lucan, die 2004 in ihrer Wohnung an der Benzenbergstraße tot aufgefunden worden war. Hier hatten die Ermittler nach Jahren sogar neue Erkenntnisse zusammengetragen, hatten den Ex-Freund der jungen Frau damit 2013 vor Gericht gebracht. Obwohl es ebenfalls nicht zum Schuldspruch kam, sondern zum Freispruch, erschien der Prozess nicht überflüssig. Gerade in solchen kapitalen Fällen ist der Rechtsstaat in der Pflicht, für bestmögliche Aufklärung zu sorgen - ohne sich danach zu richten, ob die Staatskasse dafür voll genug ist.

Als beispielhaft gilt auch der so genannte Videotheken-Mord von der Münsterstraße. 1993 war eine 28-jährige Mitarbeiterin auf bestialische Weise getötet worden. Ein Verdächtiger wurde aber in einem Indizienprozess trotz erheblich belastender Beweise freigesprochen - bis sich 2006 eine unzweideutige Spur fand, die auf ihn als Täter hinwies. Nur sind die Ermittler dann an einem Rechtshindernis gescheitert. Damals galt der Grundsatz, dass es keine zweite Anklage wegen desselben Sachverhalts geben darf. Es folgte eine Gesetzesinitiative des NRW-Justizministeriums, wonach bei derart gravierenden Fällen doch eine Wiederaufnahme möglich wird. Die Kosten für kriminalistische Zusatz-Untersuchungen oder die Frage nach dem Sinn von weiter geführten Ermittlungen waren für die Justiz nicht entscheidend.

Dass ein Rechtsstaat bemüht ist, Recht zu schaffen, gilt nicht als Makel, sondern als Errungenschaft. Auch, wenn das wie beim Kantholz-Fall jetzt dazu führt, dass selbst bei sorgfältiger Prüfung durch ein Gericht keine weiteren Erkenntnisse zum Tathergang möglich waren.

(RP)
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