Düsseldorf Wenn Menschen anderen Menschen helfen

Düsseldorf · Beim Amtsgericht sind mehr als 5000 Vereine registriert: Heimat-, Schützen-, Karnevalsvereine, aber auch unzählige Initiativen.

 Die Gründer von "Natürlich Düsseldorf", André Turck, Dennis Darko und Arnd Jäger (v.l.) pflanzten in einer Kita Kräutertöpfe.

Die Gründer von "Natürlich Düsseldorf", André Turck, Dennis Darko und Arnd Jäger (v.l.) pflanzten in einer Kita Kräutertöpfe.

Foto: hans-jürgen bauer

Über der Kö geht die Sonne auf. Mit starker Symbolkraft. Da stehen zwei Menschen und entrollen ein Plakat. Vorübereilende streifen die Szenerie mit einem Sekundenblick, lesen: "Düsselsonne, Tatkraft für Menschen e. V.", fragen sich wohl, was das jetzt wieder soll? Die Antwort würde sie vermutlich überraschen. Wer sich da präsentiert, ist vermutlich der kleinste Verein der Stadt — mit gerade mal zwei aktiven Mitgliedern — der aber in dem einen Jahr seiner Existenz schon viel bewegt hat. Dabei ist er nur ein winziges Rädchen im großen Getriebe: 5000 Vereine sind beim Düsseldorfer Amtsgericht eingetragen — sie spiegeln die Vielfalt der Menschen dieser Stadt.

 Renate Meißner und Marcus Fossel gründeten den Verein "Düsselsonne", um in Not geratenen Senioren zu helfen.

Renate Meißner und Marcus Fossel gründeten den Verein "Düsselsonne", um in Not geratenen Senioren zu helfen.

Foto: andreas endermann

Der Düsseldorfer liebt seinen Verein. Die Gemeinschaft mit anderen lässt die eigenen Ziele näher rücken, gibt einem das Gefühl, mit seiner Vorliebe, mag sie auch noch so verrückt erscheinen, nicht allein zu sein. Der Verein wärmt die Seele und ist ein gutes Mittel gegen die Einsamkeit. Viele wurden vor langer Zeit gegründet, ruhen auf alten Traditionen — wie die Schützenbruderschaften, die Karnevals-, Kleingarten- und Heimatvereine. Andere sind erst in diesen Tagen dabei, den Sprung von der Initiative zum notariell beglaubigten e.V. zu schaffen.

Das einzige gemeinsame Fundament ist bei vielen Vereinen oft nur, dass sie Satzung und Vorstand haben (müssen). Ansonsten werden sie gegründet für alle Lebenslagen, Bedürfnisse, Interessen. So hat der Verein für deutsche Schäferhunde mit dem Verein der Koreaner nichts zu schaffen, und der Verein zur Förderung des Evangelischen Pressedienstes dürfte andere Interessen vertreten als "Weiberkram", in dem sich sportbegeisterte Frauen treffen.

Vor genau einem Jahr ging über dem Vereinsregister im Amtsgericht die "Düsselsonne" auf. Der junge Verein setzt seine Tatkraft für in Not geratene Senioren ein — nach kurzer Prüfung schnell und unbürokratisch. Kopf dieser kleinen Organisation, die bis heute nur die für Vereinsgründungen notwendigen sieben Mitglieder zählt, sind Renate Meissner und Marcus Fossel. Zwei auf den ersten Blick ganz unterschiedliche Menschen, die aber ein Gefühl verbindet: Sie finden es unerträglich, dass Armut, Verwahrlosung und Einsamkeit das Leben vieler alter Menschen prägen, "in einer wohlhabenden Stadt wie Düsseldorf." So greifen sie ein, sobald sie erfahren, dass irgendwo jemand hilflos ist. "Oft sind das die kleinen Dinge", berichtet Marcus Fossel. Er erinnert sich genau an seinen ersten Einsatz, vergangenes Jahr am 21. Dezember, einem Freitag. Ein Mann war aus dem Krankenhaus entlassen worden, noch schwach, in der Wohnung erwartete ihn ein leerer Kühlschrank. "Ich bin mit ihm zum Geldautomaten, dann einkaufen gefahren und hab' ihm alles in die Wohnung getragen." Das war's — und reichte wohl als Stups zurück in die Selbstständigkeit.

Meist erfährt das Team von "Düsselsonne" vom städtischen Sozialdienst von solchen Notsituationen, manchmal rufen Nachbarn an. Einer 70-Jährigen in Derendorf, die von Hartz IV lebt, hat Marcus Fossel die Küche in ihrer neuen Wohnung montiert. Das Sozialamt hatte ihr zwar den Umzug bezahlt, die Montagekosten aber nicht. "Manchmal muss nur eine Glühbirne ausgewechselt werden", ergänzt seine Mitstreiterin Renate Meissner, "aber viele alte Menschen sind hilflos und haben einfach niemanden, der das für sie mal eben erledigt." So haben sie erlebt, dass eine alte Dame vier Monate jeden Abend im Dunkeln in ihrer Wohnung saß, bis die "Düsselsonne" wieder für Licht sorgte.

Das Mini-Team empfindet sich als eine Art Lückenfüller, hilft dann, wenn das soziale Netz in Düsseldorf Löcher hat. Fürs nächste Jahr wünschen sie sich dringend Mitstreiter, die nicht unbedingt handwerkliche Fähigkeiten haben müssen. Marcus Fossel: "Ich würde gern bei einer alten Dame einen neuen Teppichboden verlegen, aber dazu müssen ihre Möbel umgeräumt werden, das kann ich nicht allein." Erfolgreich war dagegen der Einsatz bei einer Rentnerin in Derendorf, die seit drei Jahren ohne Heizung lebt. Der kauften sie eine Elektroheizung — Soforthilfe von Spendengeld.

"Es kann doch nicht so weiter gehen wie bisher!" Dieser Satz steht oft am Anfang einer Vereinsgründung. Immer dann, wenn jemand es leid ist, darauf zu warten, dass andere es anpacken. Arnd Jäger (40) ist Betriebswirt, hat ein Büro für PR-Beratung am Wehrhahn. "Einer Geschäftsgegend, die große Probleme hat." In dieser Situation gründete er vor zwei Jahren die Aktion "Linientreu", mit dem Ziel, Geschäftsleute trotz der U-Bahn-Strapazen zum Bleiben zu bewegen und andere möglicherweise anzulocken. "Wir haben verschiedene Aktionen geplant, eine tägliche Mittagskarte aller Restaurants der Gegend zum Beispiel, die wir online an 3000 Adressen verschickt haben, damit die Angestellten aus den umliegenden Büros ihre Mittagspause dort verbrachten."

"Linientreu" hat sich mittlerweile zu "Natürlich Düsseldorf" gewandelt, mit neuen Zielen und Verstärkung durch den Architekten Andre Turck und den Marketing-Fachmann Dennis Darko. Aus einer Idee für die unmittelbare Umgebung wuchs eine Vision für die Region. Das klingt dann so: "Wir wollen Menschen für einen anderen Lebensstil gewinnen, der nachhaltig und verantwortungsvoll ist", sagt Jäger. Ein Satz, der erst mal mit Leben gefüllt werden muss.

Aber wo anfangen, wohin lenken, den neuen Blick aufs Leben? Auf die Kleinsten! Da sind sich die Macher von "Natürlich Düsseldorf" einig. Also rückten sie eines Morgens nach kurzer Planung und schneller Absprache in einer Kaiserswerther Kindertagesstätte an, schleppten unzählige Kräutertöpfe, die ihnen eine Gärtnerei in Willich spendiert hatte, und pflanzten gemeinsam mit den Kindern Basilikum, Schnittlauch, Petersilie. Die Kinder hegten und wässerten die Pflänzchen und erlebten schließlich, wie fein ein grün veredelter Pfannkuchen oder ein frischer Kräuterquark schmecken kann. Ganz nebenbei lernten sie, dass Grünzeug keineswegs fix und fertig gehackt im Kühlregal des Supermarkts wächst.

Gleichzeitig reifte auch das Konzept des Vereins, in dem mittlerweile 25 Unternehmen Mitglied sind — Handwerksbetriebe, Anwaltskanzleien bis zu den Lindner-Hotels. Jede Firma zahlt 350 Euro im Jahr und kann mitbestimmen, in welches Projekt ihr Geld fließen soll. "Viele würden sich gern engagieren, aber ihnen fehlt die Zeit, und sie wissen auch nicht so recht wo", meint Jäger. Einige Firmen aber bieten neben Geld auch Material und Arbeitskraft. Mit dieser Unterstützung entsteht im kommenden Frühjahr auf dem Gelände einer Kita in Bilk eine Natursteinmauer, die Insekten aller Art ein Zuhause bieten soll. "Ein Kind, das dort eine Spinne beobachtet, wird keine mehr einfach tot treten", so Jäger. Und an einer Kita in Flingern soll bald ein Sandspielplatz entstehen — aus umweltfreundlichen Baustoffen, "das Material haben wir schon, wir brauchen aber noch tatkräftige Unterstützung." Dahinter steht der Gedanke, dass sich die Jungen und Mädchen mehr an der frischen Luft und in der Natur bewegen, als Gegenmittel zum Computerspiel.

Einmal im Monat bittet "Natürlich Düsseldorf" Mitglieder und Gäste zum Netzwerktreffen. Da ist dann zu erfahren, was ein Konzern wie die Metro AG unter Nachhaltigkeit versteht oder wie die Düsseldorfer Werkstatt für angepasste Arbeit funktioniert. Und immer geht es um die Frage, wie man Menschen überzeugen kann, ihre bisherigen Lebensgewohnheiten zu überdenken. Arnd Jäger: "Denken Sie an den Fleischkonsum, bei dem sich viele Kunden immer noch ausschließlich vom Preis lenken lassen, als darüber nachzudenken, ob ein Tier artgerecht leben konnte."

Aus der Zusammenarbeit im Netzwerk wuchs ein gemeinsames Projekt mit der Diakonie heran, die für eine Wohngruppe psychisch Kranker eine Gartenparzelle suchte, auf der sie eigenes Gemüse ernten können. "Natürlich Düsseldorf" vermittelte den Kontakt zu einer Firma aus Mönchengladbach, die in Düsseldorf mit Bauern verhandelt, um ein Gelände als Biogarten zu nutzen und weiterzuvermieten. "Wenn das klappt, soll die Wohngruppe eine kostenlose Parzelle bekommen."

Ebenfalls im nächsten Jahr will die Initiative Märkte nach dem Vorbild des amerikanischen "Farmer's Market" in Düsseldorf organisieren. Dort sollen sich "Menschen mit einer Idee" und einem Produkt aus der Region präsentieren, Bauern mit eigenem Gemüse und Obst, Gastronomie, die erklären kann, woher ihr Fleisch stammt, kleine Manufakturen. "Es geht darum, schöne, gesunde, natürliche Produkte zu entdecken", sagt Jäger, der wie seine Partner ehrenamtlich für "Natürlich Düsseldorf" im Einsatz ist. Nur eine geeignete Halle müssen die Organisatoren noch finden. Fragt man Arnd Jäger, warum er das alles macht, erzählt er von seinem kleinen Sohn, der gerade ein Jahr alt ist: "Mich beschäftigt der Gedanke, in welcher Welt er mal leben wird." Er könnte auch Friedrich Schiller zitieren, der schon vor 230 Jahren den Kernsatz sprach, der bis heute für alle Vereine gilt: "Wir könnten viel, wenn wir zusammen stünden."

(RP)
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