Serie So Wohnt Düsseldorf Wer im Glashaus sitzt

Düsseldorf · Eine gläserne Fassade holt die Natur in ein Gerresheimer Gebäude und weckt Feriengefühle - mehrfach wurde die Architektur ausgezeichnet.

 Architekt Alexander Pier entwarf das Haus am Waldrand, von der Galerie lässt sich das Erdgeschoss überblicken.

Architekt Alexander Pier entwarf das Haus am Waldrand, von der Galerie lässt sich das Erdgeschoss überblicken.

Foto: Andreas Bretz

Neulich haben sie im Garten ein Oktoberfest gefeiert. Nur so ist zu erklären, dass nun ein Lebkuchenherz (Zuckerguss: "Mein Engel") an einer Wand im Wohnraum hängt. Neben einem Hirschgeweih, unter einer milde lächelnden Madonna. Eine Szenerie wie ein ironisches Augenzwinkern. Dazu passt der Satz des Hausherrn: "Ich mag solche Brüche." Zumal sie Perfektion spielerische Grenzen setzen. Denn dieses Haus, man muss das einfach zugeben, ist fast zu schön, um wahr zu sein. Und deshalb steht es nicht nur ganz real in Gerresheim, sondern auch im Architekturmuseum in Frankfurt - in einer Ausstellung über die 50 besten Einfamilienhäuser dieses Jahres.

 Transparenz erwünscht: Die gläserne Rückfront des Hauses öffnet sich zum Garten.

Transparenz erwünscht: Die gläserne Rückfront des Hauses öffnet sich zum Garten.

Foto: Michael Reisch

Das Eindrucksvollste an diesem Haus? Die markante Form, die klaren Linien, die rohen Materialien? Oder die komplett gläserne Rückfront, die den Blick frei gibt in ein nahes Wäldchen, die die Natur ins Haus holt? Durch diese Transparenz geschieht mit Besuchern (und sicher auch mit den Bewohnern) etwas Merkwürdiges: Automatisch stellen sich Feriengefühle ein. Was die Hausherrin bestätigt: "Seit wir hier wohnen, ist unser Bedürfnis, übers Wochenende wegzufahren, stark geschrumpft." Denn wo sonst kann man vom Bett aus (oder von der Badewanne, die im Schlafzimmer steht) ins Grüne schauen?

 Wohnen wie im Schaufenster. Wenn die großen Schiebetüren des Wohnraums geöffnet sind, fühlen sich die Bewohner fast wie auf einer überdachten Terrasse.

Wohnen wie im Schaufenster. Wenn die großen Schiebetüren des Wohnraums geöffnet sind, fühlen sich die Bewohner fast wie auf einer überdachten Terrasse.

Foto: ist Michael Reisch

Seit zwei Jahren bewohnt das Paar mit seinen zwei kleinen Töchtern dieses Refugium in einer stillen Sackgasse in Gerresheim. Früher stand auf diesem großen Grundstück in Hanglage ein Haus aus den 1960-er Jahren, das aussah wie seine Nachbarschaft bis heute: Klinkerfassade, Glasbausteine, Schrägdach. "Zunächst war von einem kleinen Umbau die Rede", erinnert sich Architekt Alexander Pier. Dann wurden schon größere Veränderungen in Erwägung gezogen. Schließlich blieb von der Vergangenheit nur ein Rest übrig, ein paar Mauern wie diese schräge Wand mit raffinierter Beleuchtung im Wohnraum, die einst mal eine Außenmauer war.

"Bauen im Bestand gilt in der Architektur als besondere Herausforderung", so Architekt Pier, "denn die vorhandene Situation gibt viel vor." Auch an Bestimmungen und Richtlinien. So lauteten die städtischen Vorgaben in diesem Fall, dass der Neubau zur Straße hin eingeschossig bleiben sollte. Durch einen geschickten Versatz in der Fassade wirkt das Haus nun von dieser Seite, zu der es sich mit einer grauen Eternitfassade ziemlich zugeknöpft gibt, auf den ersten Blick eingeschossig. Tatsächlich aber hat es eine Etage mehr, die vor allem von der gläsernen Gartenseite sichtbar ist. Da die großen Schiebetüren nahezu rahmenlos sind, wirkt das Gebäude - gerade in der Nacht - völlig offen. Für die Bewohner kein Problem: "Uns kann niemand reinsehen."

Dafür ist ihr Ausblick ungetrübt: Im Wohnraum, der sich teils über zwei Etagen öffnet, ist diese gläserne Fassade fast sechs Meter hoch. Die übrigen Innenwände sind aus coolem Sichtbeton (bis auf die eine Wand aus Holz mit Hirschgeweih und Herz), Stahlstützen und -Treppen morbide angerostet, der Fußboden ist aus veredeltem Estrich. Dieses Erdgeschoss besteht aus einem riesigen Raum mit offener Küche, die erste Etage bietet dagegen Rückzugsräume: zwei Kinderzimmer, das Elternschlafzimmer, ein Bad mit Spa-Charakter - Dampfbad und Sauna inklusive. "Hier ist beides genau richtig, viel besser als im Keller", meint der Hausherr.

Es ist eben jedes Detail genau durchdacht, bis hin zum Energiekonzept: Eine Photovoltaikanlage auf dem Dach versorgt das Haus mit Strom. Geheizt (und im Sommer gekühlt) wird es über Geothermiesonden im Erdreich. Gäbe es den beheizbaren Pool auf der Terrasse nicht, der nun zur Winterzeit zugedeckt ist, "würde sich das Haus fast selbst versorgen", so der Architekt. Spätestens auf dieser Terrasse, die durch die Hanglage über dem Garten zu schweben scheint, lässt sich nachvollziehen, warum sich das Paar für dieses Grundstück entschieden hat: "Wir wollten stadtnah und trotzdem im Grünen leben." Ein irgendwie abgehobener Ort - mit Fernblick bis zum Silvesterfeuerwerk am Rhein.

(RP)
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