Düsseldorf Wie aus Kita-Kindern i-Dötzchen werden

Düsseldorf · Lernmappen und klassischer Unterricht sind passé. Doch wie bereiten die Kitas Jungen und Mädchen auf die Schule vor? Drei Besuche.

 (v. l.) Paul, Oluwaseun, Erzieherin Babette de Fries, Lara, Paulina, Alexander und Florentin nehmen in der Kita Angeraue die Schulzeit in den Blick.

(v. l.) Paul, Oluwaseun, Erzieherin Babette de Fries, Lara, Paulina, Alexander und Florentin nehmen in der Kita Angeraue die Schulzeit in den Blick.

Foto: H.-J. Bauer

Das letzte Kita-Jahr ist für Eltern spannend und stellt sie vor besondere Herausforderungen: Wie weit ist mein Kind? Kommt es damit klar, bald nicht mehr nur spielen zu können? Muss es auf das, was die Großeltern den "Ernst des Lebens" nannten, besonders vorbereitet werden? Dabei gibt es einen Trend: Lernmappen und klassischer Vorschulunterricht sind passé. Statt dessen setzen die Erzieher darauf, Kinder individuell auf die Schulzeit vorzubereiten. Motto: Stärken ausbauen, Schwächen minimieren. Wie das im Einzelnen funktioniert, haben wir uns an drei Standorten in Gruppen mit Vorschulkindern angeschaut.

Velberter Straße, Familienzentrum Oberbilk Hier sind Tornister ein ganz großes Thema, denn die fünfjährige Dafina darf sich in den kommenden Tagen ihre Schultasche aussuchen. "Ich habe meine schon. Die bringe ich morgen mit und zeige sie euch", freut sich Nitika (5). Die beiden sind "Schukis", gehören zu den 35 angehenden Schulkindern im Familienzentrum. Zweimal die Woche treffen sie sich, um miteinander zu spielen, die Umgebung zu erkunden, oder um gemeinsam Fußball zu spielen. "Letztens waren wir im Theater, das war lustig", berichtet Dafina von ihrem Besuch im Jungen Schauspielhaus. Auf ein Konzept, das auch die Kleineren mit einbezieht, legt Leiterin Kerstin Breuer Wert. So sind Montessori-Lernmaterial, Rechenspiele, Stempel-Buchstaben und Co. für alle jederzeit zugänglich. Auch Ausflüge zu Polizei und Feuerwehr werden den anderen Kindern nicht vorenthalten. Dokumentiert wird die Bildungsgeschichte eines jeden Kindes mit Bildern und den individuellen Interessen in einem persönlichen Portfolio. "Allerdings sind die Kleinen im letzten Kindergarten-Jahr auf einmal groß und spüren das Verlangen, sich anders zu verwirklichen", sagt Breuer. Ihre Schuki-Ausflüge planten sie deshalb selber. Die Kommunikation unter den Gleichaltrigen klappe erstaunlich gut. Um den Übergang so angenehm wie möglich zu gestalten, finden regelmäßige Besuche an den Grundschulen Sonnenstraße, Höhenstraße oder Stoffeler Straße statt; besonders spannend sei natürlich der Besuch des Siegers des Vorlesewettbewerbes an der Höhenstraße, meint Kerstin Breuer. Jedes Jahr komme der, um den Kindern vorzulesen.

Angeraue, Kindertagesstätte Angermund Davon, dass es Lesetalente auch schon im Kindergartenalter geben kann, berichtet Babette de Fries von der Kindertagesstätte Angeraue in Angermund. So kommt es schon mal vor, dass sich ein Kind das Lesen selber beibringt. "Auf den Namenskarten der Trinkbecher identifizieren die Kinder die Anfangsbuchstaben und schreiben sie ab, dann die ersten beiden Buchstaben, und plötzlich erkennen sie ganze Wörter." Wichtig sei, dass die Initiative von den Kindern selbst kommt. De Fries sieht die Kindertagesstätte als erste Bildungseinrichtung für Kinder. Wichtig sei ihr, den Kindern Spaß am Lernen zu vermitteln - und das von Anfang an. Die Kita Angeraue ist ein "Haus der kleinen Forscher", noch letztes Jahr belegte sie den zweiten Platz bei der "Düsseldorfer Kinderuni". Kein Wunder, dass Lara, Paul (beide 5) und Florentin (6) Erfinder werden wollen. Mit einem Zollstock gewappnet zieht Paul durch die Kita und misst alles aus, was ihm in die Quere kommt. Er liebe alles, was mit Zahlen zu tun hat, meint de Fries. "Meine Lieblingsaufgabe ist fünf plus fünf ist zehn", sagt Paul. Und zusammen mit seinem Freund Florentin kann er schon auf Englisch bis zehn zählen. Einmal die Woche spricht eine Erzieherin mit den Kindern eine Stunde lang Englisch. "Damit sie ein Gefühl für die Sprache bekommen", erklärt de Fries. In der Kita gibt es einen Kreativraum, einen Rollenspielraum, eine Buchstaben- und Zahlenecke und einmal die Woche Besuch von einem Musiklehrer der Musikschule. Im letzten Kita-Jahr gehe es dann darum, "Defizite festzustellen und das zu wuppen", sagt de Fries.

Emil-Barth-Straße, Kindertagesstätte Garath Bei den "Bald-Schul-Kids" dieser Kita steht der erste Schulbesuch an. Traditionell schauen sich die Vorschulkinder hier nicht nur den Unterricht einer ersten Klasse, sondern auch die Turnhalle der Willi-Fährmann-Schule an. "Die Kinder müssen sich erstmal an die räumlichen Größenverhältnisse gewöhnen", sagt Margret Hesse, Leiterin der Kita. In der Schule herrschten völlig andere Dimensionen. Auch der Schulweg wird geübt. Deshalb gab es bereits eine Verkehrserziehung. "Wir sind jetzt Ampelindianer", sagt Muriel (6) stolz. Und einen Fußgänger-Führerschein gibt es auch. "Ziel der Kita-Zeit ist es, dass wir den Kindern für ihre Weiterreise einen Rucksack mit Mut, Selbstbewusstsein, Sensorik, Motorik, Empathie und Sprachkompetenz packen", meint Margret Hesse. Sie lege Wert darauf, dass die Vorschulkinder auf die allgemeine Lebenspraxis vorbereitet werden, und sich selbstständig im Alltag zurechtfinden. Dabei gehe es um alltägliche Dinge wie das Tischdecken oder die Uhrzeit, handwerkliche Kompetenzen, aber auch um sprachliche Verständigung und Teamarbeit. So lernen die Kinder zum Beispiel auch, was Backen mit Rechnen zu tun hat, indem sie die Zutaten ordentlich portionieren. "Da ist dann auch schon mal Bruchrechnung gefragt, wenn der Teig geteilt werden soll", erklärt Hesse. Um eine Brücke zu bauen, bekommen die "Bald-Schul-Kids" regelmäßig Besuch von Erstklässlern der Willi-Fährmann-Schule. Die bringen ihre Schultasche mit und erzählen, was sie bereits gelernt haben. Und dann glänzen die Augen der künftigen i-Dötzchen.

(RP)
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