Kriegsende im März 1945 Wie der Nazi-Oberbürgermeister aus Düsseldorf floh

Düsseldorf · In den letzten Kriegstagen setzte sich Carl Haidn in einer Nacht-und-Nebel-Aktion nach Franken ab.

 Carl Haidn bei einer Trauerrede nach einem Luftangriff 1940.

Carl Haidn bei einer Trauerrede nach einem Luftangriff 1940.

Foto: Stadtarchiv

Im März 1945 spitzt sich die Lage immer weiter zu. US-Soldaten erobern das Linksrheinische und belagern die Stadt. Es fehlt an Nahrung, der Terror der Nationalsozialisten steigert sich angesichts der sicheren Niederlage noch. Gauleiter Friedrich Karl Florian erlässt am 28. März den Wahnsinnsbefehl, die ganze Stadt zu evakuieren - der nicht mehr umgesetzt wird.

Der Erste Bürger Düsseldorfs macht sich am selben Tag aus dem Staub. Oberbürgermeister Carl Haidn lässt sich gegen 23.30 Uhr von einem Fahrer abholen, dann geht es los in Richtung Süddeutschland. Es ist der Abschied eines ehrgeizigen Parteigängers, der steil Karriere gemacht hat - und eine Randnotiz der letzten Kriegstage, die davon erzählt, wie sich die alte Machtordnung auflöst.

Haidn, Jahrgang 1903, ist Bauernsohn aus Niederbayern. Der Jurist ist schon 1931 in die Partei eingetreten, ab 1934 arbeitet er im Reichsamt der NSDAP. Als Verwaltungserfahrung kann er nur vorweisen, dass er mal für weniger als ein Jahr Bürgermeister seines Heimatdorfs war. Das reicht aber, damit er auf Geheiß der Partei 1938 Beigeordneter und ein Jahr später Oberbürgermeister der Großstadt wird. Im Rathaus bleibt er in Erinnerung als harter Mann, den Mitarbeiter fürchten.

Die Verwaltung, die Haidn leitet, erhält in den letzten Kriegstagen nur noch einen Notbetrieb aufrecht. Das Rathaus ist beschädigt. Die Dienststellen sind fast alle in die Außenbezirke verlegt, hauptsächlich nach Gerresheim. Zeitzeugen berichten später, dass belastende Akten verbrannt werden. Auch andere Nazi-Größen bereiten eine Flucht vor: Gauleiter Florian weist den Polizeipräsidenten an, Blanko-Ausweise für seine Mitarbeiter bereitzuhalten.

Kurz bevor die Amerikaner am 17. April auch die Kontrolle über den Rest der Stadt übernehmen, verlagert die Verwaltung ihren Sitz zurück in die Innenstadt, wie ein Verwaltungsbericht nach dem Krieg festhält. Sie zieht großteils ins Stadthaus an der Mühlenstraße, das Gebäude, in dem sich die Stadtgeschichte spiegelt wie in kaum einem anderen. In der NS-Zeit war das ehemalige Kloster unter anderem auch Sitz von Gestapo und SS, ab 1946 wird es zentraler Ort der Entnazifizierungsverfahren werden.

Haidn will sich seiner politischen Verantwortung nicht stellen. Der Fahrer erinnert sich später im Detail an die angebliche Dienstreise, die keine war. Die Schilderung lässt sich im Stadtarchiv nachlesen, das auch viele weitere Dokumente zu Haidn beherbergt. Dem Fahrer sagt der Oberbürgermeister, man werde in 24 Stunden zurück sein. Es deutet aber viel darauf hin, dass Haidn nicht in offiziellem Auftrag unterwegs ist. Er hat einen großen Koffer dabei, zudem eine Kiste Weinbrand und Zigaretten. Und er trägt eine Uniform des Roten Kreuzes.

Die Fahrt führt ins Unterfränkische, nach Bürgstadt, nach Amorbach. Haidn übernachtet bei der Schwägerin. Immer mehr Familienmitglieder kommen dazu, irgendwann ein zweites Auto. In Eisenach wird dem Fahrer die Sache zu heikel. Er will sich nicht mitschuldig machen und geht zur Polizei. Haidn kommt wenig später in Haft.

 Das Stadthaus an der Mühlenstraße im Jahr 1935. Damals war es auch Sitz des Polizeipräsidiums. Heute befinden sich in dem Gebäude die Mahn- und Gedenkstätte und das Hotel Medici.

Das Stadthaus an der Mühlenstraße im Jahr 1935. Damals war es auch Sitz des Polizeipräsidiums. Heute befinden sich in dem Gebäude die Mahn- und Gedenkstätte und das Hotel Medici.

Foto: Stadtarchiv

Beim Entnazifizierungsverfahren wird er als belastet eingestuft, später praktiziert er als Rechtsanwalt, unter anderem vertritt er Florian vor Gericht. Seiner Gesinnung bleibt er offenbar treu. Einem Zeitungsbericht aus den 1950er Jahren zufolge kandidiert er für die neonazistische Sozialistische Reichspartei.

Die Amtszeit hat ein langes Nachspiel vor Gericht. Haidn will seine Pensionsansprüche durchsetzen. Von einer angeblichen Flucht will er nun nichts mehr wissen. Er gibt an, die Reise habe dazu gedient, "kleinformatige Kunstgegenstände" zu sichern - während 230 000 Düsseldorfer in einer existenzbedrohenden Lage waren. 1959 einigt man sich auf einen Vergleich, er erhält immerhin die Leistungen eines Oberregierungsrats.

Bilder vom Kriegsende im Rhein-Kreis Neuss
7 Bilder

Bilder vom Kriegsende im Rhein-Kreis Neuss

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1971 strengt Haidn eine Beleidigungsklage gegen einen Mann an, der ihm öffentlich vorgeworfen hatte, die Stadt damals "im Stich gelassen" zu haben. Die weist das Landgericht ab. Begründung: "Der Tatsachenkern ist als wahr erwiesen."

(RP)
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